Besser verträglich

So lässt sich die MTX-Therapie korrigieren

Stuttgart - 03.09.2021, 17:50 Uhr

Ein prominentes Beispiel für unerwünschte Wirkungen von MTX ist Haarausfall. Alopezie ist jedoch meist keine Folge von der Therapie, sondern eher in der Grunderkrankung begründet. Die Patienten sollten beruhigt werden, dass sich das oft subjektiv wahrgenommene Problem meist von selbst löst. (Foto: New Africa / AdobeStock)

Ein prominentes Beispiel für unerwünschte Wirkungen von MTX ist Haarausfall. Alopezie ist jedoch meist keine Folge von der Therapie, sondern eher in der Grunderkrankung begründet. Die Patienten sollten beruhigt werden, dass sich das oft subjektiv wahrgenommene Problem meist von selbst löst. (Foto: New Africa / AdobeStock)


Methotrexat (MTX) ist Fluch und Segen zugleich: Eigentlich sind die Patienten froh, dass ihnen ein gut wirksamer Arzneistoff hilft, ihren Alltag trotz Krankheit bewältigen zu können. Wären da nicht unangenehme Begleiterscheinungen wie Übelkeit, die sie ein oder sogar zwei Tage der Woche kosten. In der aktuellen DAZ gibt ein Rheumatologe Tipps, wie man Nebenwirkungen in den Griff bekommen und die Patienten für die Therapie motivieren kann.

Patienten fürchten sich in der Regel nicht vor den seltenen Komplikationen von MTX wie Leberversagen oder Atemstillstand, sondern vor den häufig auftretenden Beschwerden, unter denen sie Woche für Woche nach der Anwendung leiden. Gerade innerhalb der ersten 48 Stunden kommt es bei mehr als einem von zehn Patienten zu mindestens einer der folgenden Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Schwindel, Husten, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Erschöpfung, Unwohlsein und Konzentrationsstörungen erschweren den Alltag zusätzlich. Viele Patienten möchten MTX deshalb lieber früher als später wieder loswerden.

Wasser ja, Kaffee nein

Der Rheumatologe Professor Dr. med. Christoph Fiehn, Baden-Baden, weiß um das schlechte Image von MTX: „Leichte Nebenwirkungen treten tatsächlich häufig auf, geschätzt bei mehr als jedem dritten Patienten.“ Immerhin besteht berechtigte Hoffnung, dass sie im Verlauf der Therapie weniger werden. „Leider ist jedoch oft das Gegenteil der Fall, so kann Übelkeit als Reflex auf die Medikation auch zunehmen.“ Es sind also andere Maßnahmen gefragt, die die Therapie verträglicher gestalten. Ein ganz profaner Tipp ist es, ausreichend zu trinken, denn ein Flüssigkeitsmangel kann die Nebenwirkungen von MTX verstärken. Den Mythos von Kaffee als Wundermittel räumt Fiehn dagegen aus: „Die Daten dazu, ob Coffein gegen Nebenwirkungen von MTX hilft, sind widersprüchlich. Ich habe jedenfalls noch keinen Patienten gesehen, dem Kaffee geholfen hat.“ Standardmäßig wird 24 bis 48 Stunden nach der MTX-Gabe 5 bis 10 mg Folsäure substituiert – was kann man sich von dieser Maßnahme erhoffen? „Ein Anstieg von Transaminasen wird seltener beobachtet. Auch haben die Patienten das Gefühl, dass sich der Haarausfall bessert. Übelkeit und Durchfall sprechen dagegen nicht so gut auf Folsäure an“, dämpft Fiehn die Erwartungen. 

Tablette oder Fertigpen? Morgens oder abends?

Ausschlaggebend ist dagegen die Anwendung des richtigen Präparats in der richtigen Dosis zur richtigen Zeit. Es kann mehrere Wochen dauern, bis die niedrigste noch wirksame Dosis gefunden wird. Entgegen der allgemeinen Meinung treten gastrointestinale Nebenwirkungen unter subkutaner Applikation genauso häufig auf wie unter oraler Gabe, da sie zentralnervös bedingt sind. Die Bioverfügbarkeit ist bei parenteraler Gabe aber deutlich höher. Ein Fertigpen, in dem man die gelbe Arzneistofflösung nicht sieht, kann einigen Patienten gegen ihre Übelkeit helfen. „Andere haben mit dem Klickgeräusch oder dem Plastikmüll, der durch die Einmalgabe entsteht, ein Problem und favorisieren die Spritze“, kann Fiehn aus der Praxis berichten. Bei der oralen Gabe besteht dagegen die Möglichkeit, die Wochendosis auf zwei Tage zu splitten, was die Verträglichkeit verbessern kann. 

Anmerkung der Redaktion vom 5. April 2023: 

Das BfArM weist darauf hin, „dass in dem europäischen Risikobewertungsverfahren von 2019 die Empfehlungen zur Aufteilung der wöchentlichen Dosis auf zwei oder mehrere Einzelgaben aus der Produktinformation für die Tablettenformulierung gestrichen wurden. Dies war eine der Maßnahmen zur Vermeidung von Dosierungsfehlern bei methotrexathaltigen Arzneimitteln.“ 

Ansonsten erfolgt die Anwendung von MTX einmal wöchentlich, möglichst nicht zu den Mahlzeiten und am besten am Abend, um die Nebenwirkungen zu verschlafen. Einige Patienten legen die Gabe auf das Wochenende, um Ruhe zu haben, falls sie sich unwohl fühlen. Andere nehmen lieber ein paar kräftezehrende Arbeitstage in Kauf, um ihre Freizeit am Samstag und Sonntag genießen zu können – reine Geschmackssache, meint der Rheumatologe: „Grundsätzlich rate ich bei Erstanwendung oder auch bei milden Verträglichkeitsproblemen aber zur Anwendung am Freitag oder Samstag, nicht zuletzt auch wegen der unter Umständen eingeschränkten Fahrtüchtigkeit.“ Die Applikation um einen Tag nach vorn oder hinten zu verschieben, ist aber ausnahmsweise möglich. 

Was Professor Fiehn von einem generellen Zweiwochen-Rhythmus und Arzneimitteln zur Linderung der Nebenwirkungen hält und was passieren muss, damit MTX gänzlich abgesetzt wird, erfahren Sie im Artikel „Keine Angst vor MTX“ in der aktuellen DAZ.  

Überdosierung kommt teuer zu stehen

Werden Komplikationen rechtzeitig erkannt, lassen sich lebensbedrohliche Verläufe und bleibende Schäden unter MTX-Therapie fast immer vermeiden. Gefährlich wird es bei einer Überdosierung, beispielsweise durch die versehentliche tägliche Anwendung der Wochendosis oder einer fehlenden Dosisreduktion bei eingeschränkter Nierenfunktion. Auch im Rahmen einer hochdosierten Krebstherapie ist diese Gefahr real, bestätigen Dr. Stefan Schönsteiner und Dr. Markus Thalheimer von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO): „Diese Komplikation ist bei guter Vorauswahl der Patient:innen sehr selten, aber nicht vollständig zu vermeiden. Es handelt sich in aller Regel nicht um einen iatrogenen Dosierungsfehler.“ Zur Neutralisation toxischer Nebenwirkungen steht Calciumfolinat zur Verfügung. In schweren Fällen sollte eine Hämodialyse oder die Anwendung von Glucarpidase erwogen werden.  

Bei Glucarpidase handelt es sich um das biotechnologisch gewonnene Enzym Carboxypeptidase G2, das MTX spaltet und so inaktivieren kann. Die Substanz wird als Ultima Ratio zur Behandlung toxischer Methotrexat-Plasmakonzentrationen bei Patienten mit einer verzögerten Methotrexat-Clearance eingesetzt, um irreversible Schäden (z. B. am Knochenmark) zu verhindern. Das Präparat Voraxaze ist seit 2012 in den USA zugelassen, in Europa bisher nicht. Dennoch kommt es in Deutschland seit Jahren als Notfallmedikament zum Einsatz. „Die Substanz liegt meist nicht in den einzelnen Zentren bereit, kann aber innerhalb kürzester Zeit in ganz Deutschland appliziert werden. Der Bezug erfolgt über die Klinikapotheken“, so die Vertreter der DGHO. Dabei geht die Klinik ein hohes finanzielles Risiko ein: Für eine Einmalgabe sind etwa mit Gesamtkosten von ca. 90.000 bis 110.000 Euro zu rechnen, auf denen die Klinik sitzen bleibt, da Glucarpidase nicht zugelassen ist und keine Vereinbarung als „Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“ (NUB) existiert. Die DGHO stellte in diesem Jahr den Antrag, Glucarpidase den NUB-Status 1 zu verleihen, um dessen Einsatz über Case-Mix-Änderungen zu finanzieren – laut Schönsteiner und Thalheimer nicht das erste Mal: „Die Anträge wurden in den letzten Jahren häufig und von vielen Kliniken gestellt. Für 2022 wird erneut ein NUB-Antrag durch die DGHO vorformuliert, da ein Zulassungsgesuch in Europa eingereicht wurde.“



Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Biologicals

von Harald Schmidt am 04.09.2021 um 7:00 Uhr

Wie gerechtfertigt ist MTX noch in Anbetracht der guten Wirksamkeit und Verträglichkeit von Biologicals?

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