Kommentar

Übeltäter Paracetamol!?

24.10.2014, 13:15 Uhr


Paracetamol hat eine geringe therapeutische Breite und ist wegen seiner Lebertoxizität zu Recht gefürchtet, keine Frage. Schon bei mehr als acht Tabletten à 500 mg pro Tag drohen Leberschäden bis hin zum Leberversagen. Aber nicht nur deshalb wird immer wieder gefordert, Paracetamol der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Ein Kommentar von Doris Uhl.

Der prominenteste Kämpfer für die Verschreibungspflicht ist Prof. Dr. Dr. Kay Brune aus Erlangen, der von 1981 bis zum Erreichen der Altersgrenze im Jahr 2006 den Lehrstuhl für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Erlangen innehatte. Immer wieder betont er, dass es gerade für die Schwangerschaft und für Kinder mit Ibuprofen ein risikoärmeres Schmerz- und Fieber-senkendes Mittel gibt. Auch wenn seine Bemühungen bislang nicht zum Erfolg geführt haben, gibt er nicht auf. Jetzt warnt er publikumswirksam auf Spiegel online und in weiteren Medien vor Paracetamol-Nebenwirkungen, die schon im therapeutischen Dosierungsbereich auftreten können. Belege dafür soll ein Review liefern, den Brune zusammen mit Kollegen auf Basis von Datenbank-Analysen und Fall-Kontroll-Studien erstellt hat, der aber noch nicht öffentlich zugänglich ist. 

Nun sind wir in der Vergangenheit immer wieder durch diese Datenerhebungen in Sachen Paracetamol aufgeschreckt worden. Einmal waren es Indizien, dass Paracetamol – in der Schwangerschaft eingenommen – Asthma im Kindesalter fördert, dann wird das Schmerzmittel für Hodenhochstand und Fertilitätsprobleme bei Jungen verantwortlich gemacht, dann für Entwicklungsstörungen im Kindesalter – und vor wenigen Wochen sorgte die Nachricht für Verunsicherung, dass auch das Risiko von ADHS bei Kindern verdoppelt war, wenn deren Mütter in der Schwangerschaft über 20 Wochen (!) Paracetamol eingenommen hatten.

Solche Datenanalysen enden in der Regel mit dem Hinweis, dass Kausalitäten nicht erwiesen und weitere Studien erforderlich sind. Daran kommt auch der Review von Brune nicht vorbei, denn eigene Daten wurden nicht erhoben. Jeder, der sich mit der Datenlage beschäftigt hat, kennt die Limitationen der Studien. Wie viel Paracetamol tatsächlich eingenommen wurde und gegen welche Beschwerden, ist in den meist Jahre später durchgeführten Befragungen kaum mehr zweifelsfrei zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund muss daher auch die Frage gestellt werden, ob nicht die Gründe für die Paracetamol-Einnahme, also z. B. Schmerzen infolge von Migräne oder fieberhafte Infekte, für die späteren Probleme der Kinder verantwortlich sein können. Interessant wäre zudem die Antwort auf die Frage, wie sich eine ähnlich exzessive Einnahme von Ibuprofen in der Schwangerschaft auf die spätere Entwicklung der Kinder auswirkt. Und dass nun tatsächlich der Paracetamol-Metabolit NAPQI für fetale Entwicklungsstörungen verantwortlich ist, das können auch Brune und Kollegen bislang nur vermuten, nicht beweisen.

Angesichts so vieler offener Fragen bleibt letztlich nur, darauf hinzuwirken, dass Schmerzmittel in der Schwangerschaft, egal welcher Art, so selten und so niedrig dosiert wie möglich eingenommen werden. Aber das gilt nicht nur für die Schwangerschaft und nicht nur für Schmerzmittel, das ist schlicht eine Binsenweisheit.

P.S. Das unabhängige deutsche Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie - Embryotox (www.embryotox.de) - empfiehlt neben Paracetamol nur im ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittel das von Brune propagierte Ibuprofen. Im dritten Trimenon gibt es laut Embryotox zu Paracetamol keine Alternative. Wird Ibuprofen im letzten Schwangerschaftsdrittel eingenommen, dann drohen ein vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus Botalli und eine Einschränkung der fetalen und neonatalen Nierenfunktion bis hin zur Anurie.


Dr. Doris Uhl