Barmer GEK Arzneimittelreport 2011

Fragwürdige Verordnungstrends unter der Lupe

Berlin - 15.06.2011, 14:19 Uhr


Der Arzneimittelreport der Barmer GEK zeigt in diesem Jahr exemplarisch Bereiche der Über- und Fehlversorgung auf: So bekommen gut 13 Prozent der alkoholabhängigen Menschen in Deutschland Benzodiazepine verordnet, obwohl eine klare Kontraindikation besteht.

Bereits seit zehn Jahren nimmt Glaeske alljährlich die Arzneimittelverordnungsdaten der GEK unter die Lupe – seit dem vergangenen Jahr hat sich die Datenmenge durch die Fusion von GEK und Barmer deutlich erhöht. Rund 9 Millionen Versicherte zählte die Kasse 2010. Wie gewohnt, legt der Report einen Fokus auf problematische Trends. Benzodiazepin-Verordnungen werden schon lange kritisch beäugt – zumeist werden die Schlafmittel zu lange verordnet. Der Barmer GEK-Report zeigt nun auf, dass sie auch häufig den falschen Patienten verschrieben werden. Glaeske spricht von einem „Kunstfehler“, wenn alkoholabhängige Patienten Benzodiazepine erhalten. Dass es diese Verordnungen dennoch gibt, ist kaum zu erklären.

Auch der Umstand, dass Demente sechsmal häufiger Neuroleptika erhalten als Patienten ohne Demenz, ist für Glaeske schlicht eine Gefährdung von Menschenleben. Diese Medikamente seien nur in seltenen Fällen indiziert, führten aber zu einem um 1,6 bis 1,7-fachen Sterblichkeitsrisiko. Dass diese Arzneimittel – vor allem auch in Pflegeheimen – so oft zum Einsatz kommen, ist vielfach einem Personalmangel geschuldet. Weitaus sinnvoller sei es aber in Personal zu investieren als in Arzneimittel, betonte Glaeske, zumal die Zahl der Demenz-Patienten in den kommenden Jahren stark steigen wird.

Weiterhin beklagen die Autoren, dass junge Frauen häufig neue Antibabypillen einnehmen, die gegenüber älteren Präparaten der 2. Generation fast ein doppelt so hohes Thromboembolierisiko bergen. In Zahlen: Von 100.000 Frauen, die ein Jahr lang eine Pille der 2. Generation einnehmen, erleiden 20 einen Verschluss. Kommen aber Pillen mit neueren Gestagenen zum Einsatz, liegt die Zahl der Verschlüsse bei 30 bis 40. Das mag noch immer eine recht geringe Anzahl sein – doch für Glaeske ist es nicht verständlich, warum man das größere Risiko eingehen sollte. Vor allem, wenn man bedenkt, dass viele junge Frauen rauchen. Lediglich für die Firmen sei es interessant, neue Präparate zu entwickeln, wenn der Patentschutz älterer Pillen ausläuft. Glaeskes will daher junge Frauen ermuntern, mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin über ihre Antibabypille zu sprechen.  

Was die Arzneimittelausgaben betrifft, so freut sich der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, über die Wirkung der vergangen Arzneimittelspargesetze: Im ersten Quartal 2011 sind die Ausgaben bei der Kasse um rund 5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesunken. Allerdings seien bei Spezialpräparaten weiterhin Zuwachsraten von 10 Prozent und mehr zu verzeichnen. Bei Biologicals seien die Steigerungsraten sogar noch höher – und das, obwohl hier dank Biosimilars Einsparpotenzial bestehe. Glaeske geht davon aus, dass eine Biosimilar-Quote von 50 Prozent die Barmer GEK um 100 bis 200 Mio. Euro entlasten könnte. Bei Epoetin liegt der Biosimilar-Anteil bereits bei rund 50 Prozent – allerdings gibt es starke regionale Unterschiede: Im Saarland liegt er bei 16 Prozent, in Bremen bei 69 Prozent. Dagegen beträgt der Biosimilar-Anteil beim Biological Somatropin (Indikation: Minderwuchs) für ganz Deutschland erst bei knapp 5 Prozent, wobei in Rheinland-Pfalz bereits über 30 Prozent, in Bayern oder Niedersachsen aber gerade 1,3 bzw. 1,8 Prozent erreicht werden.

Den Barmer GEK-Arzneimittelreport finden Sie auf der Webseite www.barmer-gek.de oder direkt hier.  


Kirsten Sucker-Sket