Keine Entscheidung zum Apothekenabschlag

Richter zweifelt an Daubenbüchels Rechenansatz

Berlin - 09.03.2011, 15:13 Uhr


Überraschung im Gerichtsverfahren um den Apothekenabschlag: Kurzfristig vom GKV-Spitzenverband vorgelegte neue Berechnungen zum Gesamtapothekenhonorar haben dazu geführt, dass heute noch keine Entscheidung getroffen wurde. Zugleich stellte der Vorsitzende Richter klar, dass er die Klage des GKV-Spitzenverbandes keinesfalls für aussichtslos hält.

###VIDEO_42###

Der Richter am Sozialgericht Gunter Rudnik hätte heute sicherlich gern das Urteil im Verfahren des GKV-Spitzenverbandes gegen die Schiedsstelle für Arzneimittelversorgung und -abrechnung gesprochen. Für Erleichterung in Apothekenkreisen hätte dies vermutlich nicht gesorgt: Nach dem Verlauf der gut eineinhalbstündigen mündlichen Verhandlung deutet einiges darauf hin, dass der Richter mit der Art und Weise, wie der Schiedsstellen-Vorsitzende Rainer Daubenbüchel den Apothekenabschlag von 1,75 Euro errechnet hat, nicht ganz einverstanden ist. Doch die Verfahrensbeteiligten und die gespannt wartenden Apothekenleiter müssen sich noch gedulden. In etwa zwei Monaten könnte das Urteil fallen. Und gleich wie es ausgeht: Dass die unterlegene Partei in die nächste Instanz gehen wird, ist absehbar.

Ausführlich legte der Vorsitzende Richter in seinem einleitenden Sachvortrag die Historie des 2004 eingeführten Apothekenabschlags sowie Einzelheiten zu den Berechnungen Daubenbüchels dar. Die Reduzierung des Apothekenabschlags von 2,30 auf 1,75 Euro im Jahr 2009 begründete der Vorsitzende der Schiedsstelle in der im Dezember 2009 ergangenen Entscheidung mit der Entwicklung der Personal- und Sachkosten. So hat er errechnet, dass infolge des erhöhten Beratungsbedarfs in den Apotheken (Stichworte: Aut-idem, Rabattverträge) 3.154 neue Vollzeitstellen geschaffen wurden – umgelegt auf die einzelne Arzneimittelpackung seien dies zusätzliche Aufwendungen von 23 Cent. Berücksichtigt wurden zudem Tariferhöhungen, die pro Packung weitere 19 Cent ausmachten sowie höhere Sachkosten, die mit 13 Cent pro Packung zu Buche schlugen – in der Summe sind dies für jede abgegebene Arzneimittelpackung 55 Cent weniger für die Apotheker.

Der GKV-Spitzenverband – in der mündlichen Verhandlung gleich mit drei Vertretern von der Partie – schoss scharf gegen die Berechnungen: Von einer verfassungswidrigen Doppelberücksichtigung des Personalaufwandes war die Rede, da dieser schon im Apothekenzuschlag von 8,10 Euro „voll abgebildet“ sei. Zudem sprach man von Ungleichbehandlung, weil es auch Kassen gebe, die keine Rabattverträge geschlossen hatten. Mit der „enormen“ Absenkung um 55 Cent habe die Schiedsstelle überdies ihren Gestaltungsspielraum überschritten. Zudem wies die GKV-Vertreterin darauf hin, dass im fraglichen Zeitraum von April 2007 bis Ende 2008 die Zahl der zulasten der Kassen abgegebenen Packungen stark gestiegen sei – sie sprach von 30 Millionen Packungen mehr, der Richter von 5,7 Prozent zusätzlich. Von diesen zusätzlichen Packungen hätten bereits 2.840 der von Daubenbüchel berechneten zusätzlichen 3.145 Vollzeitstellen finanziert werden können. Damit reduziere sich der zusätzliche finanzielle Aufwand für diese Stellen von 23 auf zwei Cent – so man überhaupt dieser Berechnungsweise folgen wolle.  

Dass auch das Gericht seine Zweifel an den Berechnungen der Schiedsstelle hat – wurde in der ersten guten Stunde der Verhandlung deutlich. So sei die steigende Packungszahl „offensichtlich“ gewesen, in der Entscheidung der Schiedsstelle aber unerwähnt geblieben. Der Vorsitzende Richter räumte ein, dass der Spruch einer Schiedsstelle nur bedingt gerichtlich überprüfbar ist – hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen bestehe ein „volles Prüfrecht“. So sei bei der Festsetzung des Apothekenabschlags die gesetzliche Vorgabe (§ 130 Abs. 1 SGB V) zu beachten, dass die Summe der Vergütungen der Apotheken leistungsgerecht sein müsse – und zwar „unter Berücksichtigung von Art und Umfang der Leistungen und der Kosten der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung“. Dabei komme es auch darauf an, in welchem Maße die gestiegenen Personal- und Sachkosten durch gleichzeitige Umsatzsteigerungen aufgefangen worden seien – man müsse sich die Veränderungen „konsequent“ ansehen, so Rudnik. Bei seinen eigenen Berechnungen sei er zu dem Ergebnis gekommen, dass die Apotheken von April 2007 bis Ende Dezember 2008 ihre Umsätze um etwas über 6 Prozent hätten steigern könne. Stelle man dem die Berechnungen der Schiedsstelle zu den zusätzlichen Kosten gegenüber, so seien diese immer noch geringer als die Umsatzzuwächse. Hier müsse man sich fragen, inwieweit dies „noch leistungsgerecht“ sei, sagte der Richter.

Daubenbüchel erbat sich angesichts der Vielzahl frisch vorgelegter Zahlen – erst einen Tag vor der Verhandlung waren weitere Schriftsätze bei Gericht eingegangen – eine Unterbrechung der Verhandlung. Nach einer halben Stunde auf den Fluren des Sozialgerichts ging es dann weiter: Daubenbüchel blieb bei seinem Antrag auf Klageabweisung und begehrte zudem einen Schriftsatznachlass von drei Wochen. Diese Zeit sei nötig, um dezidiert auf die neuen Argumente der Klägerinnenseite reagieren zu können. Die Klägerin wiederum machte deutlich, dass auch sie dann noch Gelegenheit zur Replik haben wolle. Der Richter ließ sich darauf ein, schlug aber vor, dass er dann ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden wolle. Damit ist nicht vor Ende April mit einer Entscheidung zu rechnen.

Die Anregung des Richters, zugunsten einer rascheren endgültigen Entscheidung eine Sprungrevision zuzulassen – also die Berufungsinstanz auszulassen und gleich das Bundessozialgericht anzurufen – fand weder beim Beklagten noch bei den beigeladenen Vertretern des DAV Zustimmung. Hier spielt man auf Zeit – auf eine weitere Tatsacheninstanz werde die Schiedsstelle nicht verzichten, so Daubenbüchel.


Kirsten Sucker-Sket