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OVG Niedersachsen zu Apotheken-Bonussystemen
Auch Apothekerkammern dürfen Wettbewerbsrecht nicht ausblenden
Die Apothekerkammern werfen weiterhin ein scharfes Auge auf Apotheken-Bonussysteme im Zusammenhang mit der Abgabe von Rx-Arzneien. Nun hat das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen klargestellt, dass die Aufsichtsbehörde bei der Ahndung von Verstößen gegen das Arzneimittelpreisrecht die wettbewerbsrechtliche „Spürbarkeitsschwelle“ nicht ganz ausblenden darf.
Das Gericht geht klar davon aus, dass das Vollzugsinteresse der Apothekerkammer die geschäftlichen Interessen des Antragsgegners überwiegen. Die Ausgabe und Einlösung der „APOTaler“ verstoße gegen die Arzneimittelpreisbindung. Damit greife § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG als Ermächtigungsgrundlage. Danach können die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter und Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen treffen. Dabei habe die Aufsichtsbehörde eine Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hält es der entscheidende Senat des OVG aber für „denkbar“, dass sich „bei der Frage der Eingriffsschwelle die gesetzlichen Wertungen des Wettbewerbs- und Heilmittelwerberechts zumindest widerspiegeln müssen“. Zwar hätten das Heilmittelwerberecht und das Arzneimittelpreisrecht unterschiedliche Ansätze – Ersteres nämlich den Schutz der Verbraucher vor unsachlicher Beeinflussung, Letzteres dagegen die Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. In der Zweckrichtung gebe es aber auch Überschneidungen: Sowohl das Heilmittelwerberecht als auch das Arzneimittelpreisrecht liefen nämlich auf einen Ausschluss des (Preis-)Wettbewerbs unter Apotheken hinaus. Dies zeige auch das 2006 ins Heilmittelwerbegesetz eingefügte Barrabattverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel: Dieses flankiere mit dem gleichen Schutzzweck das Arzneimittelpreisrecht. „Vor diesem Hintergrund erscheint es als fragwürdig, ob von einer Aufsichtsbehörde gegenüber einem werbenden Apotheker öffentlich-rechtlich etwas durchgesetzt werden kann, was zivil- bzw. wettbewerbsrechtlich ein konkurrierender Marktteilnehmer oder ein Wettbewerbsverband unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mit Erfolg verlangen könnte“, so das OVG. Es erschließe sich auch nicht ohne Weiteres, dass eine für konkurrierende Apotheken als „nicht spürbar“ zu qualifizierende Werbemaßnahme gleichwohl geeignet sein soll, die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu beeinträchtigen. Daher sei es „nicht fernliegend“, dass sich die gesetzlichen Grenzen des der Aufsichtsbehörde nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eingeräumten Ermessens zumindest auch an den einschlägigen Wertungen außerhalb des Arzneimittel(preis)rechts im engeren Sinne zu orientieren haben.
Allerdings ist es aus Sicht des Gerichts nur dann gerechtfertigt, die öffentlich-rechtliche Durchsetzung der Arzneimittelpreisbindung im Ermessenswege zurücktreten zu lassen, wenn die im Einzelfall in Rede stehenden Werbegaben die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsschwelle „offenkundig und eindeutig“ nicht überschreiten. Dabei, so der OVG-Senat weiter, sollte man sich nicht starr an die Leitplanken des Bundesgerichtshofes halten, der als Wertgrenzen für die Spürbarkeit einen Euro (nicht „spürbar“) bzw. 2,50 Euro („spürbar“) pro Arzneimittel annimmt. Dazwischen befindet sich auch nach den BGH-Urteilen weiterhin ein Graubereich. Aus Sicht des OVG ist der zulässige Wert einer Werbegabe umso niedriger anzusetzen, je mehr das fragliche Kundenbindungssystem einem unzulässigen Barrabatt gleichkommt – dies sei etwa der Fall bei Einkaufsgutscheinen, die auf einen bestimmten aufgedruckten Geldbetrag lauten. Je weiter sich das System dagegen von einem Barrabatt abhebt, desto „wertvoller“ dürften auch die Werbegaben ausfallen. Das können beispielsweise Punktesammelsysteme sein, bei dem der Kunde erst später bei einem weiteren Geschäft in der Apotheke oder bei einem Kooperationspartner den Gegenwert zurückerhalten kann.
Und noch eine Überlegung stellt das OVG an: Es will die Spürbarkeitsschwelle bei lokalen Geschäftsmodellen niedriger ansetzen als bei Systemen, die auf Kunden im gesamten Bundesland bzw. bundesweit abzielen.
Im vorliegenden Fall der „APOTaler“ sieht das Gericht die arzneimittelpreisrechtliche Eingriffsschwelle unter diesen Gesichtspunkten auf jeden Fall überschritten – vom Vorliegen einer geringwertigen Kleinigkeit könne nicht ausgegangen werden. Zwar liegen 1,50 Euro pro Arzneimittel bei bloßer Betrachtung des Wertes im skizzierten betragsmäßigen „Graubereich“ – die weiteren vom Gericht entwickelten Kriterien sprechen jedoch gegen die Apotheke: Zum einen handele es sich um einen einem Barrabatt nicht unähnlichen Einkaufsgutschein, der auf einen bestimmten Euro-Betrag lautet. Zum anderen sei der Kundenkreis, den die Versandapotheke des Antragstellers mit dem im Internet beworbenen Bonusmodell erreichen wollte, nicht auf einen bestimmten lokalen Bereich beschränkt.
Damit muss der klagende Apotheker trotz anhängiger Klage schon jetzt auf seine 1,50 Euro-APOTaler verzichten.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 8. Juli 2011, Az. 13 ME 94/11
Lüneburg - 14.07.2011, 13:01 Uhr