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Zyto-"Skandal"
LG München: Apotheker handelte nicht strafbar
Mithilfe des Medikaments Gemzar zubereitete Zytostatika-Lösungen sind patientenindividuelle Rezepturanfertigungen und keine Fertigarzneimittel. Auch wenn bei ihrer Zubereitung ein nicht verkehrsfähiges Präparat verwendet wurde, darf der Apotheker für die Abrechnung die Preise der Lauer-Taxe entsprechend zugrunde legen. Damit macht er sich nicht strafbar. Dies entschied das Landgericht München bereits im Juli – nun liegen die Urteilsgründe vor.
Im vorliegenden Fall war dem angeklagten Apotheker vorgeworfen worden, in den Jahren 2006 und 2007 bei der Zubereitung von Zytostatika-Lösungen in Deutschland nicht zugelassene Chargen des Medikaments Gemzar (Gemcitabin) – eine Ausführung der Firma Axios mit der Bezeichnung „733Gemzar1000“ – verwendet zu haben. Das Präparat ist günstiger als das in Deutschland zugelassene Gemzar. Die Münchener Staatsanwaltschaft sah hierin ein Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln ohne Zulassung und damit einen Verstoß gegen § 96 Nr. 5 Arzneimittelgesetz (AMG). Gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen und Privatpatienten habe sich der Apotheker zudem des Betruges nach § 263 StGB strafbar gemacht – er habe sich mit seinem Vorgehen einen Vermögensvorteil von fast 60.000 Euro verschafft.
Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II sah denn Fall jedoch anders und sprach den Apotheker frei. Sie wollte die Anklage schon von vornherein nicht zur Hauptverhandlung zulassen. Doch die Staatsanwaltschaft erwirkte beim Oberlandesgericht München (OLG) einen Eröffnungsbeschluss. Im nun vorliegenden Urteil führt das Landgericht aus, der Apotheker habe schon deshalb keine in Deutschland nicht zugelassenen Fertigarzneimittel in Verkehr gebracht, weil die hergestellten Lösungen keine Fertigarzneimittel seien. Vielmehr handele es sich um patientenindividuell zubereitete Infusionslösungen, in denen das Fertigarzneimittel Gemzar enthalten war. Sie wurden gerade nicht – wie es § 4 Abs. 1 AMG für Fertigarzneimittel definiert – im Voraus hergestellt, sondern erst in der Apotheke des Angeklagten auf eine Verschreibung hin. Zudem mussten sie in der Dosierung nach ärztlicher Vorgabe auf den jeweiligen Patienten angepasst werden.
Dezidiert geht das Gericht darauf ein, warum es nicht der Auffassung des OLG München und der Staatsanwaltschaft folgt. Das OLG hatte in seinem Eröffnungsbeschluss ausgeführt, dass es sich bei den Infusionslösungen durchaus um Fertigarzneimittel handele. In der Apotheke fänden keine wesentlichen Herstellungsschritte statt: Das Auffüllen des Arzneimittels mit Kochsalzlösung und das Umfüllen in ein anderes Behältnis stelle keine qualitative Veränderung des ursprünglichen Fertigarzneimittels dar, sondern lediglich eine Überführung in eine andere Applikationsform. Damit liege lediglich eine Rekonstitution, nicht aber eine „Herstellung“ vor. Dem hält die Kammer des Landgerichts entgegen, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 14 AMG weit gefasst sei und ausdrücklich auch das Umfüllen und Abpacken umfasse. Aus ihrer Sicht ist jegliche Rekonstitution eine Herstellung im Sinne dieser Definition.
Die Staatsanwaltschaft vertrat die Ansicht, dass der Angeklagte durch die Abgabe der Infusionsbeutel das darin enthaltene Fertigarzneimittel Gemzar in den Verkehr gebracht habe. Dies wies das Landgericht mit dem Hinweis auf wesentliche Unterschiede der Infusionslösung zum Fertigarzneimittel zurück: So befinde es sich in einem anderen Aggregatszustand, enthalte andere Inhaltsstoffe, unterliege gesonderten Kennzeichnungspflichten und sei nur noch 24 Stunden haltbar.
Auch die bestehenden Regelungen zur Abrechnung lasse die Annahme von Fertigarzneimitteln bei Zytostatika-Lösungen gerade nicht zu: Es gebe eine Regelung für die Preisbildung für Fertigarzneimittel (§ 3 AMPreisV) und eine für die Zubereitung aus Stoffen (§ 5 AMPreisV). Zytostatika-Zubereitungen würden in der Praxis nach der letztgenannten Vorschrift abgerechnet, gerade weil die zusätzliche Labortätigkeit des Apothekers mit entgolten werden solle.
Das Gericht sprach den Apotheker auch von dem Betrugsvorwurf frei: Er habe die gesetzlichen Krankenkassen und Privatpatienten nicht getäuscht, dass die abgegebenen Infusionslösungen nicht abrechenbar waren. Da die abgegebenen Zubereitungen verkehrsfähig gewesen seien, stehe dem Apotheker für diese auch ein Entgelt zu. Bei Privatversicherten ergebe sich dies aus dem abgeschlossenen Kaufvertrag, bei gesetzlich Versicherten begründe sich der Zahlungsanspruch gegen die Krankenkassen aus § 31 Abs. 2 SGB V.
Mangels entsprechender Vorschriften sah das Landgericht auch keine Offenbarungspflicht des Angeklagten über die tatsächlichen Einkaufspreise. Er habe die Kassen und Privatpatienten auch nicht getäuscht, indem er überhöhte, ihm nicht zustehende Preise angegeben habe. Die von ihm berechneten Preise verstießen weder gegen vertragliche, noch gegen gesetzliche Vorgaben. Bei der Abrechnung gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen standen dem Apotheker laut Gericht zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Die Abrechnung entsprechend der Anlage 3 des Vertrags zur Hilfstaxe, unter Zugrundelegung des Lauer-Taxen-Preises für Gemzar oder durch Rückgriff auf die gesetzliche Regelung. Der Apotheker hatte ersteren Weg beschritten – und dieser war für das Gericht durchaus nachvollziehbar: Die gegenständlichen Zubereitungen unterschieden sich in nichts von den Zubereitungen, die aus Gemzar mit deutscher Zulassung hergestellt werden. Im Ergebnis hätten die Infusionslösungen die gleichen Inhalts- und Wirkstoffe, sie entsprächen denselben qualitativen Standards, sie wiesen dieselbe Haltbarkeit auf und seien auch identisch verpackt. Aus der Qualität des Endprodukts ergebe sich daher keine Anhaltspunkte, weshalb sie einer unterschiedlichen Preisbildung unterliegen sollten. Auch ein vom Apotheker wegen des günstigeren Einkaufspreises erzielter „zusätzlicher“ Gewinn müsse laut Gericht nicht an die gesetzlichen Kassen weitergegeben werden. Hätte der Angeklagte gleich deutsche Gemzar-Einheiten mit PZN verwendet, wäre dieser Gewinn beim Hersteller dieser Chargen verblieben.
Selbst der unmittelbare Rückgriff auf die gesetzliche Regelung hätte nicht zu einem anderen Ergebnis geführt, so das Gericht weiter. Danach erfolgt die Preisbildung auf Basis des Apothekeneinkaufspreises, der sich durch Großhandelsaufschläge auf den Herstellerabgabepreis berechnet. Der Apothekenabgabepreis errechnet sich dann durch feste Aufschläge auf den Herstellerabgabepreis, orientiert am maximalen Großhandelsaufschlag. Auch danach hätte der Apotheker also nicht den tatsächlich gezahlten Einkaufspreis, sondern den durch gesetzliche Zuschläge festgelegten Einkaufspreis, der in der Lauer-Taxe veröffentlich ist, angeben müssen.
Landgericht München II, Urteil vom 15. Juli 2011, Gz.: W5 KLs 70 Js 25946/08
Berlin - 22.09.2011, 15:20 Uhr