Beurteilungsfehler des G-BA

LSG kippt Paliperidon-Festbetrag

Potsdam - 31.07.2012, 13:58 Uhr


Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat die Festbetragsfestsetzungen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon aufgehoben. Nach Auffassung der Richter litten die den Festbetragsfestsetzungen zugrunde liegenden Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusse an Beurteilungsfehlern.

Im Juni 2009 hatte der G-BA die Neubildung der Festbetragsgruppe „Antipsychotika, andere, Gruppe 1“ der Stufe II (pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen) beschlossen. Sie besteht aus den Wirkstoffen Risperidon und Paliperidon – beide Atypika haben die Behandlung der Schizophrenie als gemeinsames Indikationsgebiet. Der GKV-Spitzenverband legte daraufhin für die Festbetragsgruppe einen Festbetrag von 50,43 Euro fest.

Gegen diesen Beschluss wehrte sich der Hersteller Janssen-Cilag, dessen Invega®-Umsatz im ambulanten Bereich von rund 15 Millionen Euro (bis August 2009) auf rund 420.000 Euro (2010) und 600.000 Euro (2011) zurückgegangen war. Mit Erfolg: Die Festbetragsfestsetzung ist aus Sicht des Senates rechtswidrig, weil „beachtliche Beurteilungsfehler“ bestehen. Der G-BA sei zwar fehlerfrei davon ausgegangen, dass Risperidon und Paliperidon pharmakologisch und therapeutisch vergleichbar im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V seien.

Das Gericht hielt es jedoch nicht für nachvollziehbar, dass die Festbetragsgruppenbildung keine notwendigen Therapien einschränke (§ 35 Abs. 1 S. 3 SGB V). Der G-BA habe nämlich nicht ausreichend beachtet, dass Paliperidon nicht mehr nur zur Behandlung der Schizophrenie, sondern auch zur Behandlung psychotischer oder manischer Symptome bei schizoaffektiven Störungen zugelassen sei. Bei älteren Demenz-Patienten wird Risperidon laut Janssen-Cilag tatsächlich in mehr als 50 Prozent der Verordnungen eingesetzt. Und während bei Paliperidon – über alle Altersstufen hinweg – zu 86 Prozent die Schizophrenie ausschlaggebende Indikation für die Verordnung sei, gelte dies nur für rund 30 Prozent der Verordnungen von Risperidon.

Unabhängig davon konnten die Richter nicht nachvollziehen, weshalb der G-BA dem Wirkstoff Paliperidon im Vergleich zu Risperidon relevante Vorteile bei der Behandlung von schizophrenen Patienten mit Nierenfunktionsstörungen abgesprochen hatte. „Bereits nach einer ersten Durchsicht der Fachinformationen […] zeigt sich, dass es jedenfalls für die Behandlung manischer und psychotischer Störungen bei (Alzheimer-)Demenzerkrankten jüngeren Alters als 65 Jahre […] keine Alternative zur Invega® gibt, zumal wenn bei diesem Personenkreis zusätzlich Nierenfunktionsstörungen […] bestehen“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung.

Gegen die Entscheidung des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg kann der GKV-Spitzenverband innerhalb eines Monats seit Zustellung des Urteils Revision zum Bundessozialgericht einlegen. Bisher ist dies nach Auskunft der Gerichts noch nicht geschehen. Auf Nachfrage teilte ein Sprecherin des GKV-Spitzenverbands mit, man werde Revision einlegen – im August.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Juni 2012, Az. L 1 KR 269/09 KL – nicht rechtskräftig


Juliane Ziegler