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Retax bei Nicht-Abgabe von Rabattarzneimitteln
BSG: Wer das Substitutionsgebot verletzt, geht leer aus
Bereits am 2. Juli hatte das Bundessozialgericht (BSG) in zwei Musterstreitverfahren entschieden: Gibt ein Apotheker ohne weitere Angabe von Gründen ein Nicht-Rabattarzneimittel an einen gesetzlich Versicherten ab, obwohl dessen Krankenkasse einen Rabattvertrag über den Wirkstoff abgeschlossen hat, so kann die Kasse ihn auf Null retaxieren. Nun liegen die Urteilsgründe vor.
Beide Verfahren – sie kamen von den Sozialgerichten Kiel und Lübeck – waren im Wege der Sprungrevision vor das BSG gelangt. Die Parteien dieser Musterstreitverfahren hatten sich entschieden, die Berufungsinstanz auszulassen, um rasch zu einem höchstrichterlichen Urteil zu kommen. Dieses Urteil fiel allerdings nicht zugunsten der Apotheker aus. Das BSG bestätigte das Sozialgericht Kiel, das davon ausging, dass dem Apotheker kein Vergütungsanspruch entstanden sei. Insofern habe die Kasse, die das Arzneimittel zunächst dennoch beglich, mit einem eigenen Erstattungsanspruch aufrechnen können. Das Urteil des Landgerichts Lübeck, das eine Null-Retaxation nicht für zulässig hielt, hatte vor den Kasseler Richtern hingegen keinen Bestand.
Das BSG führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass der Apotheker keinen Vergütungsanspruch erworben hat, weil er zur Abgabe des betreffenden (Nicht-Rabattvertrags-) Arzneimittels nicht berechtigt gewesen sei. Er habe damit nicht seine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht erfüllt, sondern das Substitutionsgebot für „aut idem“-verordnete Rabattarzneimittel missachtet. Eine Verletzung dieses auf § 129 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V und ergänzendem Vertragsrecht (Rahmenverträge auf Bundes- und Landesebene) beruhenden Verbots schließe einen Vergütungsanspruch aus.
Das BSG erläutert, dass die Apotheken nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Aut-idem-Substitution verpflichtet seien, wenn die Voraussetzungen der Norm vorliegen, insbesondere der verordnende Arzt den Austausch nicht ausgeschlossen hat. Aus den Rahmenverträgen ergebe sich nichts anderes. Dieser Lieferberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben, stehe ein gesetzlicher Anspruch auf Vergütung gegenüber.
Fehle es jedoch wie vorliegend an einer Lieferberechtigung und -verpflichtung, könne aus einer dennoch erfolgten Abgabe des Arzneimittels kein Vergütungsanspruch des Apothekers entstehen. Das gesetzesergänzende Normenvertragsrecht regele, welcher Vertragspartner oder Vertragsunterworfener welche Risiken trage. Dazu heißt es im Urteil: „Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko. Die Krankenkasse muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nicht zahlen.“
Die Richter verweisen darauf, dass eine Vergütungspflicht für unter Verletzung des Substitutionsgebots abgegebene Arzneimittel auch dem Zweck dieser Regelung widersprechen würde. Der Gesetzgeber habe die Rabattverträge durch das Gebot bewusst wirksamer gestalten wollen. Ein weiteres Argument der Kasseler Richter: Auch der Versicherte habe keinen Anspruch auf eine Arzneimittelabgabe unter Verstoß gegen das Substitutionsgebot. Wer von einem Vertragsarzt ein Arzneimittel unter der Wirkstoffbezeichnung verordnet bekomme und die Ersetzung nicht ausgeschlossen sei, habe nur einen Sachleistungsanspruch auf die Verschaffung eines Rabattvertragsarzneimittels.
Da die Krankenkasse den Apotheker also rechtsgrundlos vergütet hat, kann sie mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aufrechnen. Und zwar vollständig – mit einer Retaxation auf Null hat das BSG kein Problem. Der Anspruch sei der Höhe nach nicht auf den Betrag beschränkt, der sich – nach Abzug des Apothekenrabatts – aus der Differenz der gezahlten Vergütung für das abgegebene Arzneimittel und einem Rabattvertragsarzneimittel ergebe, heißt es im Urteil. Die Regelungen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen seien nicht anwendbar. Ihre Anwendbarkeit zugunsten des Leistungserbringers würde den Zweck des Substitutionsgebots missachten.
Letztlich liege auch kein Verstoß gegen höherrangiges Recht vor – insbesondere nicht gegen die Berufsfreiheit (Artikel 12 Abs. 1 GG). Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen vernünftige Gründe des Gemeinwohls das Substitutionsgebot als Berufsausübungsregelung.
Urteile des Bundessozialgerichts vom 2. Juli 2013, Az. B 1 KR 5/13R und B 1 KR 49/12R.
Kassel - 02.12.2013, 13:59 Uhr