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Die letzte Woche
Mein liebes Tagebuch
Das sind die heißen Wochen des Jahres: Beim Bundesnachrichtendienst und der Bundesregierung ist alles so geheim, dass sie vor lauter Geheimnissen selbst nicht mal wissen, was sie wissen, Papst Franziskus ist gegen legales Rauschgift (steht so in der Zeitung!) und in Bayreuth versucht die Prominenz den Fliegenden Holländer zu verstehen. Aber eins ist klar: It’s a boy – der Fortbestand der englischen Monarchie ist gesichert – und Mick Jagger ist immer noch ein boy, und was für einer – trotz seiner 70 Jahre. Mein liebes Tagebuch, im Vergleich zu diesen Schlagzeilen sind die News in der Apothekenwelt geradezu putzig. Dennoch: sie berühren uns – direkt. Und darauf kommt’s an. Hier also die Tops und die Flops, die Aufreger und die Kracher.
22. Juli 2013
Da wollten es sich Krankenkassen und Ärzte mal wieder ganz einfach machen – auf dem Rücken der Apotheker. Anfang des Jahres drückten sie durch, dass Impfstoffe produktneutral verordnet werden, also der Arzt schreibt auf „Impfstoff gegen …“ Die Apotheke sollte dann den passenden verfügbaren, aber auf jeden Fall natürlich rabattierten Impfstoff auswählen. Die Kassen wollte sogar eine Liste derjenigen Apotheken erstellen, die bei dieser Art der Verordnung mitmachen würden, um sie dann an die Ärzte zu verschicken. Ganz schön dreist von der Kasse. Denn da das weder eine Wirkstoffverordnung ist noch die Verordnung eines konkreten Impfstoffs, verstößt eine solche Verordnung gegen geltendes Recht. Da machten die Apotheker nicht mit, der Landesapothekerverband Baden-Württemberg ließ das beim Sozialgericht klären. Und er bekam Recht: die produktneutrale Verordnung von Impfstoffen ist unzulässig. Die Kasse musste zurückrudern und empfahl den Ärzten, ab sofort ausnahmslos alle rabattierten Impfstoffe namentlich zu verordnen. Für das Verhalten des Landesapothekerverbands hätten Kassen und Ärzte allerdings kein Verständnis, so die AOK Baden-Württemberg, die hier federführend agiert, da das zu Mehrarbeit in den Arztpraxen führe. Mein liebes Tagebuch, das ist wieder ein Paradebeispiel dafür, wie Kassen mit Apotheken umspringen. Von der Mehrarbeit, die Apotheken erneut kostenlos für Kassen (und Ärzte) erbracht hätten, spricht keiner. Gut, dass das Sozialgericht die Verhältnisse gerade rückte. Die Kassen wollen aber erneut dagegen vorgehen.
„Geliefert wird sofort, bezahlt wird später“ – das bietet ab sofort der niederländische Versender DocMorris den privatversicherten Beamten an, die ihre Arzneimittelrechnungen nun erst sechs Wochen später bezahlen müssen. DocMorris will damit die Beamten als Kunden gewinnen, damit diese nicht ihr Konto überziehen müssen. Denn die Kostenerstattung durch staatliche Beihilfestellen verzögere sich oft wochenlang. Neu ist das nicht, was DocMorris hier großspurig propagiert. Aber DocMorris-üblich groß aufgeblasen. Viele Apotheken räumen den Privatzahlern bereits Zahlungsfristen ein. Und es gibt bereits Abkommen zwischen Privatkassen und Apotheken, wonach zwischen ihnen sogar direkt abgerechnet wird.
Eine Antwort des Präsidenten muss reichen. Auf die Beantwortung eines zweiten Offenen Briefes können die „Protest-Apotheker“ nicht hoffen. Da sie nämlich mit den Antworten auf den ersten Brief mit Fragen zur Zukunft des Apothekerberufs, zum Apothekenhonorar und zu den Kassenangriffen nicht zufrieden waren – sie erschienen in ihren Augen zu weich, zu allgemein, zu nichtssagend – schickten Sie einen zweiten Brief hinterher. Mein liebes Tagebuch, egal wie man darüber denkt, allein schon die Tatsache, dass man Offene Briefe schreiben muss, um überhaupt Informationen "von oben" zu bekommen und eine Diskussion am Leben zu erhalten, zeigt doch, dass irgendwie die Kommunikation zwischen unten und oben nicht rund läuft. Die in den Briefen angesprochenen Fragen sind durchaus von dieser Welt, sind brennende Themen, zu denen die Basis Informationen, ja, eine Diskussion wünscht. Es wird Zeit, dass darüber nachgedacht wird, wie man die Kommunikation verbessern kann. Dass ein Präsident allein nicht alles stemmen kann, ist klar. Da fehlt ein kompetenter Pressesprecher. Und früher meldete sich schon mal ein Geschäftsführer zu Wort ...
23. Juli 2013
Klartext redete dagegen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr im DAZ-Interview. Eine Honorarform wie bei der Nachtdienstpauschale wird es nicht nochmal geben. Schon eher kann er sich eine Dynamisierung des Apothekenhonorars vorstellen. Und ein übers Land fahrender Apothekenbus wäre für ihn eine „Apotheke light“ – die will er nicht. Enttäuscht ist er über das noch nicht umgesetzte ABDA-KBV-Modell – da könnten die Apotheken ihre pharmazeutische Kompetenz unter Beweis stellen. Enttäuscht ist er auch darüber, dass sich der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband immer noch nicht über eine Liste von Arzneimitteln geeinigt hat , die nicht ausgetauscht werden dürfen. Überhaupt ist ihm das Gebaren des GKV-Spitzenverbands wohl ein Dorn im Auge. Dessen Macht will er nach der Bundestagswahl beschneiden – wenn die FDP wieder dabei ist. Tja, mein liebes Tagebuch, das verleitet zum Mini-Resümee über vier Jahre Bahr mit Apothekeraugen gesehen: hätte besser sein können, aber so schlecht lief es nun auch nicht. Und: Bahr durchblickt die komplexen Strukturen im Gesundheitswesen sicher besser als so manche seiner Vorgänger(innen). Und da er sich für die Honorardynamisierung stark macht, könnten wir ihm doch glatt noch mal eine zweite Amtszeit wünschen, oder?
24. Juli 2013
Der Kracher der Woche kommt aus Bayern: Da schloss die AOK Bayern in der vergangenen Grippesaison Lieferverträge über Grippeimpfstoffe ab, die gleich so exklusiv waren, dass die Hersteller sie nicht liefern konnten und die Apotheken keine Ware hatten. Weil ein Apotheker mangels Ware zunächst nicht liefern konnte und verspätet (zwei Monate später) geliefert hat, will die Kasse nun den Apotheker retaxieren: die Abgabefrist nach dem Liefervertrag (max. ein Monat) war überschritten. Da es sicher mehreren Apotheken so erging, erfuhr man auf Nachfrage bei der Kasse sinngemäß: Wenn es zu einer Retaxation komme, solle die betroffene Apotheke doch bitteschön dagegen Einspruch erheben. Mein liebes Tagebuch, das nenne ich eine Super-Partnerschaft, gell? Einfach frech, diese Kaltschnäuzigkeit und Unverfrorenheit der AOK Bayern. Da schließt sie Murksverträge ab, die Apotheken reißen sich die Beine aus dem Leib, um Impfstoffe auf dem Markt aufzutreiben und wenn die Lücken nicht zu füllen sind und später geliefert wird, werden die Apotheken auch noch als Dankeschön retaxiert. Sie können doch, wenn’s ihnen nicht passt, bittschön, dagegen klagen. Hey, mein liebes Tagebuch, in welcher Welt leben wir eigentlich?
In einer Parallelwelt scheint die zum Schweizer Zur Rose-Konzern gehörende niederländische Versandapotheke DocMorris zu leben. Sie zerbricht sich den Kopf darüber, wie man den deutschen Apothekenmarkt neu regeln könnte – natürlich so, dass er zu 100 Prozent DocMorris-Versandapotheken-kompatibel ist. Sie fordert in einem „Politischen Manifest“ (ja, mein liebes Tagebuch, Papier mit einem solchen Namen kommen von DocMorris – nein, nicht von der ABDA), die "neue Apotheke 2020“ mit erlaubten Rx-Boni, Zulassung von Apothekenketten, Selektivverträge zwischen Apotheke und Krankenkassen und Zulassung von Apothekenbussen und Arzneiabgabestellen mit Apothekenautomaten. Das brandgefährliche daran ist: Verkauft wird dieses Horrorszenario mit einem Blumenstrauß an netten Zukunftsbildern wie einem patientenindividuellen, honorierten Medikationsmanagement, einer Stärkung des Wettbewerbs durch Apothekendienstleistungen und einer Sicherstellung der Versorgung auf dem Lande – Bilder, wie wir und die Politik sie uns alle wünschen. Jetzt steht dieses Manifest aus Apothekenkreisen im Raum als „Erwartungen an die Politik nach der Bundestagswahl 2013“. Und von unserer Berufsvertretung liegen keine zu Papier gebrachten Erwartungen vor. Ja, man denkt gar nicht daran, neue Zukunftsvisionen und ein neues Leitbild öffentlich zu diskutieren. Das wird hinter verschlossenen Türen gemacht. Mein liebes Tagebuch, kann eine solche Politik gut gehen?
25. Juli 2013
Krach zwischen Deutschen Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband: Bis zum 1. August sollten sich beide auf Geheiß der Politik auf eine Liste von Arzneistoffen einigen, die bei der Abgabe nicht ausgetauscht werden dürfen. Grund: bei manchen Arzneimitteln wie beispielsweise Antiepileptika, Schilddrüsenpräparaten und Opioiden ist der Austausch kritisch zu sehen und kann die Patientensicherheit beeinträchtigen. Doch DAV und GKV konnten sich bisher nicht auf eine Liste verständigen. Das Bundesgesundheitsministerium ist stinksauer. Das Scheitern der Verhandlung liegt aus Sicht des DAV am Spitzenverband. Denn der DAV habe eine Wirkstoffliste erarbeitet, sie liege vor. Doch mit dieser Liste ist der GKV-Spitzenverband nicht einverstanden. Er möchte erst Kriterien definiert haben, wie eine solche Liste überhaupt zu erstellen ist. Jetzt hat der DAV die Schiedsstelle angerufen.
Tja, mein liebes Tagebuch, irgendwie ist bei dieser Liste der Wurm drin. Sie ist bisher nicht wirklich öffentlich gemacht worden. Ebenso wenig, wer sie denn zusammengestellt hat. Dem Vernehmen nach sollen beispielsweise keine Retardarzneimittel aufgenommen worden sein, bei Fachleuten ein „no go“, da es gerade bei diesen Arzneimitteln Probleme gibt, wenn sie ausgetauscht werden. Da kann man nur hoffen, dass die Schiedsstelle zu der Erkenntnis kommt: Hier muss noch mehr Sachverstand rein.
Andererseits, und darüber kann man auch mal nachdenken: Warum soll es überhaupt eine solche Liste geben? Mein liebes Tagebuch, müssen wir uns nicht fragen: Sind wir nicht Pharmazeuten genug, die kritischen Wirkstoffe und Problemarzneimittel selbst zu definieren, um dann „Pharmazeutische Bedenken“ geltend zu machen: Ziffer 6 – „Pharmazeutische Bedenken angezeigt“. Aber für solche Überlegungen dürfte es vermutlich schon zu spät sein …
26. Juli 2013
Worte des Bedauerns vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Johann Magnus von Stackelberg darüber, dass zur Arzneimittelliste über nicht austauschbare Arzneistoffe mit dem Deutschen Apothekerverband kein Kompromiss gefunden werden konnte. Oh, oh, mein liebes Tagebuch, vielleicht hätte man mal ein bisschen nachgeben müssen? Oder mehr auf den DAV zugehen müssen? Aber, wie sagt er richtig: „Auch die Schiedsstelle gehört ja zur Selbstverwaltung“. Und so wird es nun wieder Rainer Hess richten müssen, der auch schon den Kompromiss zum Kassenabschlag gefunden hat. Wann eine Entscheidung, wann eine Liste nun kommen wird, weiß der Sommerwind.
Trümper geht. Der Chef von ehemals Anzag, heute Alliance Healthcare Deutschland AG, wechselt aus dem operativen Großhandelsgeschäft in den Aufsichtsrat des Unternehmens. Und er bleibt Vorsitzender des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro). In einem Interview mit der DAZ klagt er: „Wir alle geben unsinnige Konditionen, die wirtschaftlich nicht mehr zu begründen sind.“ Mein liebes Tagebuch, da ist was dran. Und er schließt sein Unternehmen mit ein. Die Rabattschlachten toben – zumindest mit den kleinen Spielräumen, die heute überhaupt noch möglich sind –, obwohl es sich eigentlich keiner der Großhändler leisten kann. Klar, für die Apotheke ist es zunächst gut. Rabatt ist immer gut. Und so viele Liefertouren wie möglich. Und, und, und. Aber wo führt es hin? Letztlich macht einer dicht, wird übernommen. Die Oligopolisierung nimmt zu.
Trümper versicherte auch im Interview, dass Alliance Boots, die Mutter der Alliance Healthcare Deutschland AG, keine Boots-Apotheken in Deutschland plant: „Franchise ist kein Thema in Deutschland.“
Wo wir gerade beim Großhandel sind: es bleibt spannend, mein liebes Tagebuch, was sich bei Celesio und den geplanten Lloyds-Franchise-Apotheken in Deutschland tut. Ob es überhaupt noch dazu kommen wird? Derzeit kursieren wieder Gerüchte, dass Haniel vielleicht eventuell über den Verkauf von Celesio nachdenkt. Angeblich interessieren sich bereits einige amerikanische Unternehmen für Celesio. Und so könnte auch dieser Sommer wieder für Überraschungen sorgen.
28.07.2013, 08:00 Uhr