Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

08.09.2013, 08:00 Uhr


In diesem Jahr ist es anders. Während man früher mit einem „frischen Gähnen“ zum Apothekertag fuhr „(the same procedure as every year“), wabert in diesem Jahr die Luft schon im Vorfeld. Nach vielen Jahren der Politikmüdigkeit gibt es jetzt endlich wieder Apothekerinnen und Apotheker, die sich kritisch mit „denen da oben“ und deren Tun auseinandersetzen. Das könnte ansteckend wirken. Erstmals gibt es eine öffentliche Generaldiskussion auf dem Apothekertag. Hinzu kommt ein neuer Präsident, der angetreten ist, vieles anders zu machen, aber auch schon hie und da mal noch auf Orientierungssuche ist. Das Gute: Er ist selbstkritisch und kein „Teflon-Mensch“ – keine Sorge, mein liebes Tagebuch, keiner wird Herrn Schmidt zum Backen, Braten und Garen nehmen..

2. September 2013

Rx-Arzneimittel auf Ebay oder bei Amazon – immer wieder tauchen Arzneimittelangebote auf diesen Internetplattformen auf. Auch wenn diese eigentlich verbotenen Offerten meist rasch wieder verschwinden – sie werden gemacht. Ärgerlich und gefährlich sind sie zudem. Wer weiß, wer hier was verhökert? Schon vor diesem Hintergrund müssten Behörden einschreiten. Aber geschehen ist bisher nicht wirklich etwas. Löblich, dass sich nun Jens Spahn, der gesundheitspolitische Experte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dieser Sache annimmt. Er bat Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) um Mithilfe. In einem Schreiben an die Ministerin beklagt er, dass es sicher nicht einfach sei, etwas dagegen zu unternehmen. Das zuständige Bundesamt für Justiz solle alle Möglichkeiten ausschöpfen, dagegen vorzugehen. Mein liebes Tagebuch, Recht hat er und den Ball jetzt das Justizministerium. Ob sich da was tut?

Ach ja, der Rezeptdatenhandel. Der „Spiegel“ hat die Story hochgekocht, und jetzt geht das Geplänkel zwischen Datenschützern und Rechenzentren hin und her. Mein liebes Tagebuch, was wird sich hier noch alles offenbaren? Mittlerweile gibt es ein datenschutzrechtliches Gutachten einer Dresdner Kanzlei, die zu dem Schluss kommt, dass „den Apothekenrechenzentren nur in einem sehr eingeschränkten Ausmaß die Verarbeitung der ihnen von den Apotheken übermittelten Daten zu anderen als den ihnen im SGB, namentlich in § 300 SGB V, vorgeschriebenen Zwecken erlaubt ist“. Und: strafrechtlich verantwortlich  sind zum einen die Rechenzentren, aber „grundsätzlich auch jeder einzelne Apotheker, der über das Rechenzentrum abrechnet“. Ups, dann hängen wir da doch tiefer drin?  Das Bundesgesundheitsministerium jedenfalls hat bereits signalisiert, dass man sich aus dem Datenstreit raushält. Klar, zuständig sind die Datenschutzbehörden der Länder. Und da haben die Bayern nun mal andere Ansichten als die Schleswig-Holsteiner. Deutschland und sein Flickerlteppich, immer wieder schön.

3. September 2013

Mein liebes Tagebuch, Krankenkassen sollen manipuliert haben mit dem Zweck, mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten. Das Bundesversicherungsamt will dies anhand von Daten aus dem Jahr 2009 festgestellt haben. Tricksereien sind möglich über die Meldedaten der Krankenkassen zum Risikostrukturausgleich. Da könnte man bei den Krankheitseinstufungen die einen oder anderen Patienten schon mal kränker einstufen, als sie sind – um damit mehr Geld aus dem Topf zu bekommen: Je mehr kranke Patienten eine Kasse hat, umso mehr Geld bekommt sie. Aber, da springt doch der GKV-Spitzenverband zur Seite: Es handele sich da nur um „statistische Auffälligkeiten“, die man nicht mit Manipulationen gleichsetzen könne. Sollte es wirklich Fehler gegeben haben, sollen die „selbstverständlich korrigiert“ werden. Na, meine lieben Kassen, so sollte es auch bei Apotheken sein: Apotheker manipulieren nicht – Unregelmäßigkeiten bei der Rabattarzneimittelabgabe sind nur kleine statistische Auffälligkeiten, die man korrigieren können sollte – ohne Retax.

Während sich das Bundesgesundheitsministerium aus dem Rezeptdatenstreit heraushält, geht es auf Landesebene munter weiter. VSA und Schleswig-Holsteins Datenschützer Thilo Weichert sind weiterhin auf Konfrontationskurs. Weichert bleibt bei seiner Aussage, dass es sich „bei diesem Komplex um den gravierendsten dauerhaften Datenschutzverstoß im Medizinbereich überhaupt handelt“. Beim Datenverkauf der VSA über einen Zeitraum von über zehn Jahren soll es sich um eine „illegale ´zig-milliardenfache Weitergabe personifizierbarer sensibler Daten“ gehandelt haben. Für die VSA wiederum drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei der Zusammenarbeit von Weichert mit dem Norddeutschen Rechenzentrum NARZ (dem Konkurrenten der VSA) und seinem Vorstandsvorsitzenden Jörn Graue um eine Vermischung von Interessen handele. Ja, ja, mein liebes Tagebuch, das Hickhack wird uns noch eine Weile begleiten. Ob man jemals erfahren wird, wie’s wirklich war?

4. September 2013

Mein liebes Tagebuch, das finde ich sympathisch an unserem ABDA-Präsidenten Schmidt: Er ist selbstkritisch und wischt Kritik nicht mit überheblichen Gesten weg. Kein Mensch macht immer alles richtig, auch nicht ein ABDA-Präsident. Und das weiß er, und das räumt er auch offen ein. Im DAZ-Interview wird er mit der Kritik, die auf ihn einprasselte, konfrontiert. „Das geht schon unter die Haut“, gibt er zu, er sei ja kein „Teflon-Mensch“. Und: „Ich bin nicht so glücklich, wie sich das so entwickelt hat.“ Er hat erkannt, dass es ein kommunikatives Problem ist, seine Ansichten und das, was er möchte, deutlich zu machen. Stimmt. Also, mein liebes Tagebuch, ich glaube ja schon, dass er gute Ideen hat, dass er im Prinzip das Richtige für die Weiterentwicklung des Apothekerberufs will, auch so in Richtung Zukunft und Leitbild. Aber er sollte es vielleicht noch besser, noch klarer, noch häufiger formulieren und nach außen tragen. Es muss ja nicht gleich Facebook oder Twitter sein – … obwohl? Wenn ich Präsident wäre, würde ich mindestens einmal im Monat Überlegungen und Gedanken zu aktuellen Themen, die in der Diskussion stehen, zur Berufspolitik, zu Vorwürfen, zu Interviews in meiner Hauszeitschrift abdrucken. Das würde zeigen: Schaut her, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mach mir Gedanken dazu, das denke ich darüber, wie ist Eure Meinung dazu. Konkret zu Schmidt: Da hätte er das präsidiale Video genauso auffangen können wie die „Stern“-Zitate oder seine anderen öffentlichen Äußerungen. Da könnte er etwas zum Leitbild sagen genauso wie zu seinen Vorstellungen, dass Beratung beim Medikationsmanagement packungsunabhängig honoriert werden müsse. Er könnte erklären, warum es beim ABDA-KBV-Modell noch hakt. Und er könnte auch mal seine Erwartungen artikulieren, die er an die lieben Kolleginnen und Kollegen stellt. Das alles gibt zumindest das Gefühl von mehr Transparenz, von Nähe, von Verständnis. Und es fordert zum Nachdenken und zum Diskutieren. Also, wie wär’s mit der präsidialen Kolumne?

Täglich macht in Deutschland mindestens eine Apotheke am Abend das Licht aus – für immer. Im ersten Halbjahr 2013 waren es insgesamt 226 Apotheken, die sich von der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln verabschiedeten. Neu dazu gekommen sind in diesem Zeitraum 75 Apotheken, so dass wir derzeit in Deutschland unterm Strich also 151 Apotheken weniger haben als Ende 2012. Derzeit sind es insgesamt 20.771 Apotheken in Deutschland. Schaut man noch genauer hin, dann zeigt sich: davon sind 16.825 Haupt- und 3946 Filialapotheken. Wobei einige der Filialen wohl nur so irgendwie noch mitlaufen, ohne großen Gewinn abzuwerfen und eher der Konkurrenzabwehr dienen. Der Trend hält also an, die Zahl der Apotheken sinkt kontinuierlich. Die Gründe für die Schließungen sind natürlich vollkommen unterschiedlich: Altersgründe, keine Nachfolger, unverkäuflich, Hobbyapotheken, Wettbewerb, Insolvenz, und viele mehr. Meistens stecken jedoch wirtschaftliche Gründe dahinter. 

Meine liebes Tagebuch, rechnen wir mal: Gesetzt den Fall, dieser Trend hält an (300  Apotheken im Jahr weniger), dann dauert es noch etwa fünfzehn Jahre, bis wir in Deutschland die von Glaeske und anderen Experten prognostizierten oder herbeigeredeten 15.000 Apotheken haben, die nach deren Meinung für die Arzneimittelversorgung in Deutschland ausreichend sind. Fünfzehn Jahre – wenn alles so weitergeht wie bisher. Da kann sich allerdings auch viel verändern. Was werden die vorrangigen Aufgaben der Apotheker in fünfzehn Jahren sein? Spielen wir dann immer noch den perfekten Logistiker und denjenigen, der brav die oktroyierten Bürokratievorschriften abarbeitet? Oder haben einige von uns eine andere Rolle? Die des therapiebegleitenden Apothekers, der zusammen mit dem Arzt das Medikationsmanagement überwacht und optimiert? Werden wir dann immer noch für eine abgegebene Packung bezahlt oder erhalten wir ein Honorar für Beratung und  Betreuung?

Die DAZ hat ein neues Aussehen. Noch übersichtlicher, noch offener. Und eine neue Rubrik: „Top beraten“ – Apothekerinnen und Apotheker stellen interessante Beratungsfälle aus der Praxis vor.  Mein liebes Tagebuch, hoffen wir, dass es den Leserinnen und Lesern gefällt.

5. September 2013

Immer wieder wird versucht, an der Apothekenpflicht zu rütteln. Jüngstes Beispiel: Italienische parapharmazeutische Verkaufsstellen (eine Besonderheit in Italien: drogerieähnliche Läden, die OTC-Arzneimittel verkaufen dürfen) klagten dagegen, dass sie keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel abgeben dürfen. Das ist auch in Italien nur „richtigen“ Apotheken vorbehalten. Begründet hatten die Parapharmazeutiker die Klage u. a. damit, dass dieses Abgabeverbot die durch den EU-Vertrag gewährleistete Niederlassungsfreiheit beschränkt: Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten könnten dadurch abgehalten werden, in Italien parapharmazeutische Verkaufsstellen zu eröffnen. Mein liebes Tagebuch, auf solche Ideen muss man erst mal kommen. Über die Klage entscheidet demnächst der Europäische Gerichtshof.

Wow, echt cool. Die ABDA hat eine Facebook-Seite! Schon seit einiger Zeit. Mein liebes Tagebuch, die Frage ist nur, ob das viele wissen? Na ja, immerhin hat sie schon rund 1200 Fans, die sagten „gefällt mir“  (ob die Seite oder die ABDA selbst damit gemeint ist, geht daraus nicht hervor). Immerhin, so ab und an tut sich dort was. Es soll sogar schon ausufernde und beleidigende Kommentare dort gegeben  haben, weshalb einige Delegierte auf dem letzten Apothekertag forderten, die Kommentarfunktion abzuschalten. Jetzt hat der PR-Ausschuss sich dagegen ausgesprochen mit der Begründung, man verlöre dadurch eine moderne Kommunikationsmöglichkeit. Stimmt! Es wäre eine Rolle rückwärts gewesen, wenn man auf Facebook keine Kommentierungen zulassen würde.

Die ABDA sollte die Chance nutzen: sie müsste Facebook ausbauen, beleben und nicht immer nur dröge Posts reinstellen. Man muss wissen:  Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie von TNS Infratest zur „Relevanz der Medien für die Meinungsbildung“ zeigt, dass Facebook in Deutschland zur wichtigsten Informationsquelle junger Menschen im Internet geworden ist! Fast zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen nutzen das soziale Netzwerk, um sich über Politik, Wirtschaft und Kultur zu informieren. Mein liebes Tagebuch, das hätte ich so auch nicht gedacht. Also, ABDA, das ist eine Chance! Eine echte moderierte Kommunikation mit den Facebook-Besuchern, auch mit den über 29-Jährigen  – das wär’s! Wenn man das gut macht, könnte das ein positives Bild von der Apotheke, von den Apothekerinnen und Apothekern, bei der jungen Generation zeichnen. Und eine solche Kommunikation wäre allemal günstiger als die umstrittene  Kampagne der Ärzte auf den Plakatwänden.

6. September 2013

Bahr (FDP), Spahn (CDU/CSU) und Klein-Schmeink (Die Grünen) waren auf Einladung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe zur berufspolitischen Runde nach Münster gekommen. Ergebnis: Sie waren alle lieb und sie haben die Apotheker lieb. Ist das nicht schön? Warum, mein liebes Tagebuch, kann es nicht immer Vorwahlzeit geben? Für Jens Spahn beispielsweise sind die Apotheker nicht die Kostentreiber im Gesundheitswesen. Und von einem Apothekenbus war bei der CDU/CSU nie die Rede, den Begriff haben die kreativen  Journalisten erfunden. In seinen Papieren standen nur „rollende Lösungen“. Mein liebes Tagebuch, wie konnten die Medien auch nur auf den Bus kommen? So etwas abwegiges. Rollende Lösungen? Klar, das sind die  Ziehschränke der Apotheken auf Rollen! Ja, und Daniel Bahr hat nicht vor, in der nächsten Legislaturperiode neue Spargesetze zu verabschieden (allerdings: Garantie dafür gab’s keine). Er sagte aber auch, dass es keine Bestandsgarantie für Apotheken gebe könne: „Man muss nicht gleich nervös werden, wenn eine schließt.“ Fragt sich, ab wann man nervös werden sollte? Wie sieht es bei 400 bis 500 Schließungen im Jahr aus? Und die Grüne Maria Klein-Schmeink meinte, dass ihrem Herrn Trittin „wohl der Gaul durchgegangen“ sei, als er sagte, er wolle Apothekenketten. Bleibt die Frage, wer bei den Grünen am Schluss wohl das Sagen hat.

Die aktiven Apothekerinnen und Apotheker (bekannt als „Protest-Apotheker“) rufen dazu auf, zum Deutschen Apothekertag nach Düsseldorf zu kommen und sich an der Generaldiskussion zu beteiligen. Ja, mein liebes Tagebuch, es wäre wirklich schade, wenn bei dieser Möglichkeit nur wenige Wortführer (die es natürlich auch geben muss) ihre Diskussionsbeiträge einbringen. Es sollten möglichst viele zu Wort kommen und  mitdiskutieren können. Das wäre ein Ansatz zur gelebten Demokratie im Apothekerparlament. Düsseldorf ruft! 

 


Peter Ditzel


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