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Milliardenschwere Produktionsausfälle
Strategien für mehr Therapietreue
Therapietreue schafft Gewinn für viele: Die deutsche Volkswirtschaft könnte 2012 bis zu 20 Mrd. Euro zusätzlich erwirtschaften, wenn chronisch kranke Arbeitnehmer bei der Bewältigung und Behandlung ihrer Krankheiten besser unterstützt würden. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Studie der Bertelsmann Stiftung und der Beratungsfirma Booz & Company.
Wer als erwerbstätige Person krank ist, hat nicht nur das eigene Schicksal zu beklagen – auch die Volkswirtschaft bekommt diesen Ausfall zu spüren. Der neuen Studie zufolge kostet der Verlust der Arbeitsproduktivität aufgrund chronischer Krankheiten die Gesellschaft mindestens so viel wie die direkt mit der Krankheit verbundenen medizinischen Aufwendungen. So sollte eigentlich allen daran gelegen sein, chronischen Krankheiten vorzubeugen bzw. sie sinnvoll zu behandeln.
Booz & Company und die Bertelsmann Stiftung nehmen in ihrer Studie fünf Krankheiten unter die Lupe, die in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden häufig vorkommen: Hypertonie, Asthma/COPD, chronische Rückenschmerzen, Depression und Arthritis. Den volkswirtschaftlichen Schaden dieser Erkrankungen beziffern sie für Deutschland auf 38 bis 75 Milliarden Euro jährlich – vor allem Depressionen und Rückenschmerzen sorgen für Produktivitätsverluste.
Ein wesentliches Problem: Der Studie zufolge halten über alle Erkrankungen hinweg durchschnittlich 20 bis 30 Prozent der Patienten mindestens ein wichtiges Element der mit dem Arzt vereinbarten Therapieanordnungen nicht ein. Gründe hierfür können ein Mangel an Information oder Motivation sein, ebenso unzureichende Umsetzungsstrategien. Es gibt eine Reihe von Ansätzen, wie Betroffenen hier geholfen werden kann. So verweist die Studie beispielsweise darauf, dass Interventionen und Aufklärung durch Apotheker die Therapietreue im Bereich der Arzneimittel um 15 bis 20 Prozent verbessern. Dies ist allerdings der einzige Satz der Bertelsmann/Booz-Studie, der das Wort „Apotheker“ enthält.
Dabei klingen Teile der Studie durchaus vielversprechend. So etwa, wenn beschrieben wird, wie die einzelnen „Stakeholder“ von einer besseren Adhärenz der Patienten profitieren würden. Bei den Arbeitgebern sind die – finanziellen – Vorteile einer besseren Gesundheit ihrer Arbeitnehmer offenkundig. Aber auch die öffentliche Hand freut sich über mehr Steuereinnahmen infolge gesunder und tatkräftiger Menschen im Arbeitsleben. Die Pharmaindustrie könnte sich ebenfalls ihr Scheibchen abschneiden, wenn patentgeschützte Arzneimittel einen Beitrag zur besseren Gesundheit leisten. Die Kostenträger hätten zumindest mittel- bis langfristig einen Vorteil: Zwar dürften die Behandlungs- und Arzneimittelkosten erst einmal steigen – doch wenn die Krankheit dann langsamer voranschreitet und Komplikationen seltener auftreten, wird es wieder günstiger.
Als einzige „Stakeholder“, die keinen finanziellen Nutzen ziehen, macht die Studie die Leistungserbringer aus: „Maßnahmen zur Absicherung der Therapietreue begründen zunächst einen erhöhten Zeiteinsatz – etwa in der direkten Kommunikation mit dem Patienten – dem keine oder nur geringfügige Zusatzhonorierungsmöglichkeiten gegenüberstehen“. Dieser Fehlanreiz begründe bis zu einem gewissen Grad, warum Leistungserbringer nicht auf breiter Ebene und in erforderlichem Maße in Therapietreue investierten, so die Studie. Zugleich hebt sie hervor, dass Leistungserbringer trotz bestehender Fehlanreize bereit sind, Zeit für Therapie-Einhaltung aufzubringen.
Wer sich hier als Pharmazeut erkannt fühlt, wird bei der weiteren Lektüre der Studie allerdings enttäuscht. In der Folge werden vier „Hebel“ vorgestellt, mit denen die bestehenden Hürden genommen werden könnten. Neben dem Ruf nach mehr Versorgungsforschung und neuen Geschäftsmodellen zur Therapietreue sowie einer stärkeren Beteiligung von Arbeitgebern und Kostenträgern lautet eine Strategie: „Schaffung und gezielter Einsatz von Anreizen für Ärzte, Pflegepersonal und Patienten, den Aspekt der Therapietreue in den Behandlungsverlauf fest zu integrieren, wobei der Fokus auf Qualität statt Quantität zu legen ist“. Von Pauschalen ist die Rede, von Integrierter Versorgung. Sicher ist dies alles hilfreich – es verwundert nur, dass Apotheken als naheliegende Unterstützer in Fragen der Therapietreue gar keine Erwähnung finden.
Hier der Link zur Studie „Effekte einer gesteigerten Therapietreue: Bessere Gesundheit und höhere Arbeitsproduktivität durch nachhaltige Änderung des Patientenverhaltens“
Berlin - 09.07.2012, 16:37 Uhr