- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 8/2009
- Epigenetischer ...
Arzneimittel und Therapie
Epigenetischer Therapieansatz mit Azacitidin
Myelodysplastische Syndrome (man verwendet häufig den Plural, da der Begriff mehrere Subgruppen umfasst) sind erworbene klonale Knochenmarkerkrankungen, die von einer pluripotenten Stammzelle ausgehen. Sie sind durch eine unzureichende Hämatopoese gekennzeichnet und gehen mit Anämien, Neutropenien und Thrombozytopenien einher. Die Erkrankung weist eine Tendenz zur leukämischen Transformation auf und geht bei ungefähr einem Viertel der Betroffenen in eine akute myeloische Leukämie (AML) über. Die Erkrankung tritt bevorzugt im höheren Lebensalter auf; Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Für ein myelodysplastisches Syndrom gibt es keine typischen Krankheitszeichen und unspezifische Symptome wie Anämie oder Infektanfälligkeit müssen mithilfe histologischer, zytogenetischer und zytologischer Untersuchungen differentialdiagnostisch abgeklärt werden. Die Klassifikation unterscheidet fünf (FAB-Klassifikation; Einteilung der French-American-British Cooperative Group) bzw. sieben Subgruppen (WHO-Klassifikation 2008). Die Risikobewertung erfolgt nach dem IPSS-Gesamtscore (IPSS = International Prognostic Scoring System), in den verschiedene prognostische Parameter (prozentualer Anteil der Blasten im Knochenmark, Karyotyp, Art der Chromosomenaberrationen und Anzahl der Zytopenien) einfließen. Man unterscheidet folgende IPSS-Risikogruppen: niedrig, intermediär 1 und 2 sowie hoch.
Keine Heilung
Ein myelodysplastisches Syndrom kann in den allermeisten Fällen nicht geheilt werden. Lediglich die allogene Knochenmarktransplantation bietet einen kurativen Ansatz, der allerdings höchstens für 5% der Betroffenen in Frage kommt. Die Therapie richtet sich nach dem individuellen Gesundheitszustand und dem Risikoprofil. Patienten mit Hochrisiko-MDS haben mit einem medianen Überleben von 4,5 Monaten (im Vergleich zu beinahe sechs Jahren bei niedrigem Risiko) eine sehr schlechte Prognose, die mit den bislang verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten kaum verbessert werden konnte.
Steckbrief: AzacitidinHandelsname: Vidaza Hersteller: Celgene GmbH, München Einführungsdatum: 1. Februar 2009 Zusammensetzung: Vidaza® 25 mg/ml Pulver zur Herstellung einer Injektionssuspension: Eine Durchstechflasche enthält 100 mg Azacitidin. Nach der Rekonstitution enthält jeder ml Suspension 25 mg Azacitidin. Sonstiger Bestandteil: Mannitol (E 421). Packungsgrößen, Preise und PZN: 1 Durchstechflasche, 443,54 Euro, PZN 2074310. Stoffklasse: Zytostatika, antineoplastische Mittel; Pyrimidin-Analogon. ATC-Code: L01BC07. Indikation: Zur Behandlung von erwachsenen Patienten, die für eine Transplantation hämatopoetischer Stammzellen nicht geeignet sind und eines der folgenden Krankheitsbilder aufweisen: myelodysplastische Syndrome mit intermediärem Risiko 2 oder hohem Risiko nach International Prognostic Scoring System, chronische myelomonozytäre Leukämie mit 10 bis 29% Knochenmarkblasten ohne myeloproliferative Störung, akute myeloische Leukämie mit 20 bis 30% Blasten und Mehrlinien-Dysplasie gemäß Klassifikation der WHO. Dosierung: Anfangsdosis 75 mg/m2 Körperoberfläche subkutan eine Woche lang täglich; darauf folgt eine dreiwöchige behandlungsfreie Phase (28-tägiger Behandlungszyklus). Die Behandlung dauert mindestens sechs Zyklen und sollte darüber hinaus so lange fortgesetzt werden, wie der Patient davon profitiert, oder bis eine Progression der Erkrankung eintritt. Gegenanzeigen: Fortgeschrittene maligne Lebertumore; schwere dekompensatorische Herzinsuffizienz, klinisch instabile Herzerkrankung, Lungenerkrankungen; Kinder unter 18 Jahren. Nebenwirkungen: Pneumonie, Nasopharyngitis; febrile Neutropenie, Neutropenie, Leukopenie, Thrombozytopenie, Anämie; Anorexie; Schwindel, Kopfschmerzen; Dyspnoe; Diarrhoe, Erbrechen, Obstipation, Übelkeit, abdominelle Schmerzen; Petechien, Pruritus, Ausschlag, Ekchymosen; Arthralgie; Fatigue, Pyrexie, Brustschmerzen, Erythem an der Injektionsstelle, Schmerzen an der Injektionsstelle, Reaktion an der Injektionsstelle. Wechselwirkungen: Die Metabolisierung von Azacitidin scheint nicht durch Cytochrom-P450-Isoenzyme, UDP-Glucuronosyltransferasen, Sulfotransferasen und Glutathiontransferasen vermittelt zu werden; daher werden Wechselwirkungen in Verbindung mit diesen Stoffwechselenzymen als unwahrscheinlich angesehen. Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Die Behandlung mit Azacitidin führt, insbesondere während der ersten beiden Zyklen, zu Anämie, Neutropenie und Thrombozytopenie; zur Überwachung sollte mindestens vor jedem Behandlungszyklus ein großes Blutbild erstellt und die Dosis entsprechend angepasst werden. Bei einem unklaren Abfall des Serumbicarbonats oder einer Erhöhung des Serumkreatinins oder Blutharnstoff-Stickstoffs sollte eine Dosisreduktion erfolgen oder der nächste Zyklus hinausgezögert werden. Da Azacitidin und/oder dessen Metaboliten primär über die Nieren ausgeschieden werden, sollten Patienten mit Nierenfunktionsstörung engmaschig auf Toxizität überwacht werden. Patienten mit schweren Organfunktionsstörungen sollten engmaschig auf unerwünschte Ereignisse überwacht werden. |
Epigenetischer Therapieansatz
Ein neuer Therapieansatz ist die epigenetische Modulation eines zugrunde liegenden pathogenen Mechanismus. Bei MDS-Patienten liegt eine vermehrte DNA-Methylierung im Promotorbereich von Tumorsuppressorgenen und Zellzyklusgenen vor (Methylierung guaninreicher Sequenzen; sogenannter CpG-Inseln). Dadurch sind Expression und Funktion dieser Gene beeinträchtigt. Um eine verbesserte Genexpression – und dadurch eine bessere Differenzierung hämatopoetischer Zellen – zu erreichen, werden Inhibitoren der DNA-Methyltransferasen eingesetzt. Ein Wirkstoff, der zu einer Hypomethylierung der DNA führt, ist Azacitidin. Azacitidin wird bei jeder neuen Replikationsrunde anstelle von Cytosin in den neuen DNA-Strang eingebaut und inhibiert dabei die DNA-Methyltransferase I, wodurch sich die Methylierung der Genpromotoren nach und nach verringert. Stummgeschaltete Gene werden wieder exprimiert und es kommt zu einer Normalisierung der Hämatopoese. Daneben werden weitere antineoplastische Wirkungen von Azacitidin diskutiert.
Ergebnisse der AZA-001-Studie | |||
Azacitidin | konventionelle Therapie | p-Wert | |
Gesamtüberleben der Gesamtpopulation nach 2 Jahren | 24,4 Monate | 15 Monate | p = 0,0001 |
prozentualer Anteil der Gesamtüberlebenden | 50,8% | 26,2% | p < 0,0001 |
Verlängerung der Zeit bis zur Transformation in eine AML | 26,1 Monate | 12,4 Monate | p = 0,004 |
hämatologische Verbesserung | 49% | 29% | p < 0,0001 |
Transfusionsunabhängigkeit | 45% | 11,4% | p < 0,0001 |
Die AZA-001-Studie
An der AZA-001-Studie, der größten internationalen randomisierten Phase-III-Studie, die bisher bei Hochrisiko-MDS-Patienten durchgeführt wurde, nahmen 358 Probanden im medianen Alter von 69 Jahren teil. Sie wurden einer der folgenden Therapiegruppen zugeordnet:
- Azacitidin (75 mg/m² Körperoberfläche subkutan täglich über sieben Tage; dann drei Wochen Pause; n = 179) über median neun Zyklen hinweg.
- Konventionelle Therapie (n = 179), bei der drei unterschiedliche konventionelle Therapieregime (Best Supportive Care (BSC), BSC und niedrig dosiertes Ara-C oder BSC und Standardchemotherapie) eingesetzt wurden.
Der primäre Studienendpunkt war das Gesamtüberleben; sekundäre Endpunkte ermittelten unter anderem die Verträglichkeit der Therapie, die Transfusionshäufigkeit und hämatologische Verbesserungen. Im Vergleich zur konventionell behandelten Gruppe verlängerte die Therapie mit Azacitidin das Gesamtüberleben signifikant um 9,4 Monate und verdoppelte den Anteil der Patienten, die zwei Jahre überlebten. Der Überlebensvorteil war dabei in allen Patienten-Subgruppen nachweisbar, das heißt, er war unabhängig von Alter, Geschlecht, MDS-Subtyp, IPSS, Karyotyp, Anzahl an Zytopenien oder dem Blastenanteil. Der Benefit beruhte sowohl auf der Verlängerung der Zeit bis zur Transformation des myelodysplastischen Syndroms in eine akute myeloische Leukämie, als auch auf einer signifikanten hämatologischen Verbesserung mit entsprechend verminderten Komplikationen. Die hämatologischen Verbesserungen spiegelten sich unter anderem in einem verringerten Transfusionsbedarf wider.
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren hämatologische Toxizitäten (Neutropenie, Thrombozytopenie, Anämie), Infektionen (Pneumonie, Nasopharyngitis), gastrointestinale Störungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Dyspnoe, Anorexie und lokale Entzündungsreaktionen.
Indikationen für Azacitidin (Vidaza®)Die Europäische Kommission hat im Dezember 2008 Vidaza® als Orphan Drug zur Therapie myelodysplastischer Syndrome zugelassen. Seit Anfang Januar 2009 ist Azacitidin in Deutschland im Handel. Die Indikation umfasst die Behandlung von MDS-Patienten mit hohem oder intermediär-2-Risiko nach dem International Prognostic Scoring System (IPSS). Weitere Anwendungsgebiete sind die chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML) mit 10 bis 29% Blasten im Knochenmark ohne myeloproliferative Störung sowie die akute myeloische Leukämie (AML) mit 20 bis 30% Blasten im Knochenmark bei gleichzeitiger Mehrlinien-Dysplasie. |
Langsames Ansprechen
Das Ansprechen auf die Therapie mit Azacitidin erfolgt langsam. Der Behandlungserfolg in der Studie setzte im Allgemeinen erst nach vier, manchmal auch erst nach sechs bis acht Therapiezyklen ein. Es wird daher empfohlen, mindestens sechs Behandlungszyklen durchzuführen. Auch bei keiner kompletten Remission kann sich das Blutbild verbessern (hematologic improvement). Die Behandlung sollte fortgesetzt werden, so lange der Patient davon profitiert oder bis eine Progression der Erkrankung eintritt.
Azacitidin wird sukutan injiziert. Die empfohlene Anfangsdosis für den ersten Behandlungszyklus beträgt für alle Patienten 75mg/m² Körperoberfläche täglich über sieben Tage, gefolgt von 21 Tagen Pause. Die Applikation erfolgt in der Regel ambulant.
Quelle
Prof. Dr. Ulrich Germing, Düsseldorf; Prof. Dr. Norbert Gattermann, Düsseldorf; Priv.-Doz. Dr. Aristoteles Giagounidis, Duisburg: "Epigenetik in der Medizin. Genregulierung bei MDS – ein neuartiges Wirkprinzip", am 12. Februar 2009 in Berlin; veranstaltet von Celgene GmbH, München.
Haferlach T.: Myelodysplastische Syndrome von A bis Z. Thieme Verlag Stuttgart, New York 2008.
Fachinformation Vidaza® ; Stand Dezember 2008.
Apothekerin Dr. Petra Jungmayr
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.