Zytostatikainfusionen sind patientenindividuell dosierte, hochwirksame, aber immer öfter auch sehr empfindliche Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln, die unter kontrollierten aseptischen Bedingungen von spezialisierten Apotheken und Herstellbetrieben hergestellt werden. Besonderes Augenmerk erfordern die zunehmenden proteinhaltigen Lösungen wie Antikörperzubereitungen.
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Gastbeitrag
Richtiger Umgang mit Zytostatikainfusionen in der Krebstherapie
Nicht nur der fahrlässige, vielleicht sogar gesundheitsgefährdend sorglose Umgang mit kritischen Haltbarkeiten, auch unkalkulierbar lange Transportwege zwischen Herstellungsort und anwendender Praxis können die Wirksamkeit der patientenindividuell zubereiteten Zytostatikainfusionen beeinflussen. Ein Appell zur Beachtung pharmazeutischer Rahmenbedingungen von Dr. Franz Stadler.
Natürlich gibt es Gründe, warum die Situation bei der Versorgung mit zytostatikahaltigen Infusionslösungen so ist, wie sie ist. Es geht um viel Geld und einen wachsenden Markt. Die Krankenkassen wollen und müssen sparen, während auf der anderen Seite die Ausweitung von Marktanteilen, besonders für die oft fremdkapitalisierten Herstellbetriebe oberstes Gebot ist.
Zudem steigen die Preise bei neuentwickelten Wirkstoffen, fast alle sind Antikörper, in astronomische Höhen. Die Folge waren Ausschreibungen der Versorgung durch viele Krankenkassen und Dumpingangebote auf Seite der finanzstarken Bieter. Dass dabei mit allerlei juristischen Spitzfindigkeiten argumentiert und gehandelt wird, versteht sich von selbst.
Bis zu diesem Punkt könnte man noch sagen, so funktionieren eben Wettbewerb und unser Wirtschaftssystem. Nur hier geht es um die Behandlung von schwerkranken Patienten. Dabei ist es unzumutbar, unbedingt einzuhaltende pharmazeutische Rahmenbedingen dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen. Wirkverluste bei den Arzneimitteln und/oder zusätzliche Gesundheitsgefährdungen bei den Patienten stellen die weitere Behandlung infrage und führen die Einsparungen ad absurdum.
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Besonders anschaulich lassen sich die momentanen Zustände an den proteinhaltigen Antikörper- bzw. Biosimilarlösungen darstellen.
Infusionslösungen und Haltbarkeit
Antikörper (und deren Biosimilars) sind Proteingemische, deren Wirkung durch die Einhaltung von Produktspezifikationen sichergestellt wird. Man muss sich diese Produktspezifikationen als eine Vielzahl von Parametern vorstellen, deren gemeinsame Einhaltung die Wirkung garantiert.
Prof. Dingermann, Universität Frankfurt und ausgewiesener Spezialist für Antikörper und Biosimilars, hat dazu ein sehr plastisches Beispiel entwickelt: die Beschreibung eines Sessels (Abb. 1). Nur wenn möglichst viele Parameter (z.B. Polsterdicke, Art des Polsters, Zahl der Stuhlbeine, Winkel der Rückenlehne) bekannt sind, ist dieser eindeutig definiert und kann ggfs. ohne eine Kronstruktionsskizze oder ein Muster nachgebaut werden.
Bei Antikörpern definieren diese Parameter bzw. deren Einhaltung die Wirksamkeit. Sie sind ein Produktionsgeheimnis, das nur dem Hersteller (Patentinhaber) und der europäischen Zulassungsbehörde (EMA) bekannt ist. Warum muss man das wissen?
Nun, weil aus der Geheimhaltung der Produktspezifikationen folgt, dass ein Dritter keine validen Aussagen, z.B. über Haltbarkeitsverlängerungen, machen kann. So kann er zwar bestimmte Eigenschaften, vergleichbar der Polsterdicke des Sessels, zu verschiedenen Zeitpunkten messen, aber es fehlen ihm eben eine unbekannte Anzahl weiterer Parameter, um eine valide Aussage zur Wirksamkeit und damit zur Haltbarkeit treffen zu können.
Genauso wenig kann ein Schreiner allein mit dem Wissen der Polsterdicke einen bestimmten, ihm unbekannten Sessel nachbauen. Trotzdem werden genau diese Aussagen aber immer wieder und von verschiedenen Autoren, natürlich meist mit Haftungsausschluss, gemacht und unverständlicherweise von einigen Krankenkassen und sogar Aufsichtsbehörden akzeptiert. Dabei kann nur der Hersteller in Kenntnis aller Produktspezifikationen valide Angaben zur Haltbarkeit machen. Für seine Angaben in der Fachinformation muss und kann er auch die Haftung übernehmen. Dass diese Angaben in manchen Fällen präziser und vor allem umfangreicher sein könnten, ist deren wirtschaftlichen Eigeninteressen geschuldet und kann nur vom Gesetzgeber durch die Festlegung neuer Zulassungsanforderungen geändert werden.
Haltbarkeitsangaben anhand ungenügender Messparameter zu definieren, diese anzuwenden und/oder zu fordern, auf Verwürfe zu verzichten, ist hingegen mindestens fahrlässig. Das gilt im Besonderen für die besprochenen Proteinlösungen, deren Labilität hinreichend bekannt sein sollte.
Transport von Infusionslösungen
Nach Rathore und Rajan (1), die 2008 einen umfassenden Review zum Thema Proteinstabilität veröffentlicht haben, ist die Energie, die notwendig ist, um eine Proteinstruktur zu ändern, sehr gering. Wirkverluste durch Strukturveränderungen können daher leicht und bei den verschiedensten Herstellungs- und Anwendungsschritten auftreten.
Wirkverluste können physikalischer Natur sein (hauptsächlich durch Proteinaggregationen, aber auch durch Änderung in der Sekundär-, Tertiär- oder Quartärstruktur) oder durch Veränderungen kovalenter Bindungen (Fragmentierungen, Oxidationen, Desaminierungen, Trennung von Sulfidbrücken etc.) hervorgerufen werden. Ausgelöst werden können diese Wirkverluste unter anderem durch Kontakte mit Oberflächen (z.B. Filtern, Beuteloberflächen), durch Lichtzufuhr, durch Luftexposition, aber auch durch Schütteln oder Mischen. Wie bereits erwähnt, reichen geringe Kräfte.
Die Hersteller dieser Produkte verwenden deshalb bestimmte Pufferlösungen oder Schutzgase, um eine genügende Stabilität ihrer Produkte im Primärpackmittel des Fertigarzneimittels zu erzielen. So konnten Lahlou et al. (2) für Cetuximab zeigen, dass eine neuere Formulierung die Haltbarkeit des Produktes deutlich erhöhen konnte. Sie zeigten aber auch, dass mechanischer Stress (Rühren) in Abhängigkeit des jeweiligen Puffers innerhalb von 24 Stunden zu bis zu 25% Wirkverlust (!) führen konnte.
Bedenkt man nun, dass in den applikationsfertigen Infusionslösungen durch die Verdünnung nur noch Spuren des ursprünglichen Puffersystems vorhanden sind, könnte in diesen Fällen der Wirkverlust unter mechanischem Stress noch deutlich höher sein. Valide Untersuchungen wären in diesem Zusammenhang dringend erforderlich, fehlen aber weitgehend. In einigen Fachinformationen findet sich immerhin der Hinweis, dass Schütteln bei der Herstellung der Stammlösung (!) zu vermeiden sei.
Trotzdem oder gerade deswegen muss aber gefordert werden, dass Transportwege - und Transport ist nichts anderes als mechanischer Stress - so kurz wie möglich zu halten sind. Fahrten von Hamburg nach München haben genau so zu unterbleiben, wie Fahrten von Regensburg nach Weiden oder von Landshut nach Erding, wenn es denn andere Versorgungsmöglichkeiten gibt. Jeder unnötige Kilometer ist einer zu viel.
Schlussfolgerungen
Die wohnortnahe Versorgung ist ein gerne wiederholtes Lippenbekenntnis, das aber leider mit der Realität immer weniger zu tun. Nicht zuletzt durch die Ausschreibungen, deren Ende dank Gesundheitsminister Gröhe absehbar ist, wurden die tatsächlichen Umstände der Versorgung mit Zytostatikainfusionen öffentlich.
Die neueingeführte Apothekenbetriebsordnung hat zwar die Qualität der Produktion deutlich verbessert, so dass man sagen kann, dass die Mikrobiologie als kritischer Faktor nahezu ausscheidet. Allerdings hat die Zahl der Produktionsstätten in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen, während der Einfluss großer Apothekenlabore und vor allem der Herstellbetriebe ständig zunahm. Die Ausschreibungen haben diesen Trend zusätzlich verstärkt. Das und die gesamte Entwicklung waren nur möglich, weil in vielen Fällen die pharmazeutischen Rahmenbedingungen vernachlässigt wurden und man finanziellen Erwägungen den Vorrang einräumte.
Wenn jetzt Strohapotheken (ohne eigenes Reinraumlabor) abrechnen dürfen, wenn jetzt Haltbarkeiten, die in den Fachinformationen verbindlich angegeben sind, einfach vernachlässigt werden können, wenn jetzt die Länge der Transportwege praktisch keine Rolle spielt, so ist das aus den erwähnten pharmazeutischen Gründen einfach falsch und schadet letztlich den Patienten.
Bisher haben sich weder Aufsichtsbehörden noch Krankenkassen um diese Qualitäten der Versorgung gekümmert. Man verschließt die Augen und hält sich die Ohren zu. Dabei grenzt die Nichtbeachtung dieser pharmazeutischen Rahmenbedingungen an den Tatbestand einer Körperverletzung. Denn der ahnungslose Patient erhält nicht nur möglicherweise weniger wirksame (unwirksame?) Medikamente, sondern läuft zusätzlich Gefahr, durch unnötige Nebenwirkungen, wie allergische Reaktionen auf Proteinaggregationen, belastet zu werden. Aber auch die behandelnden Onkologen dürfen sich angesprochen fühlen. Sich allein auf die Lieferanten zu verlassen und gutgläubig deren Aussagen zu vertrauen, entlässt sie nicht aus der Haftung. Sie wenden die gelieferten Zubereitungen am Patienten an. Es wäre auch ihre Aufgabe, die Bedingungen der Versorgung zu hinterfragen und sich im Interesse ihrer Patienten entsprechend zu orientieren.
Auf Grundlage der jetzt zur Verfügung stehenden validen Datenlage können die Forderungen bei der Versorgung mit Zytostatikalösungen nur lauten: möglichst kurze Wege beim Transport, möglichst schnelle Verwendung der applikationsfertigen Infusionsbeutel - denn die Pharmazie entscheidet!
Dr. Franz Stadler, Apotheker aus Erding
Literatur:
(1) Rathore N., Rajan R. S.: Current perspectives on stability of protein drug products during formulation, fill and finish operations. Biotechnol Progr 2008; 24: 504-14.
(2) Lahlou A., et. al.: Mechanically-induced aggrgation of the monoclonal antibody cetuximab. Ann Pharm Fr 2009; 67(5): 340-52
2 Kommentare
Gast?
von Holger Hennig am 15.02.2017 um 8:34 Uhr
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AW: Gast
von Nicola Kuhrt am 15.02.2017 um 8:39 Uhr
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