- DAZ.online
- News
- Recht
- Anwälte wittern „...
Bellartz-Prozess
Anwälte wittern „Geheimoperationen der Polizei“
Die Art und Weise, wie die Polizei im „Datenklau“-Verfahren gegen Thomas Bellartz und den IT-Experten Christoph H. ermittelt hat, läuft der Verteidigung der Angeklagten mächtig zuwider. Erst während der Hauptverhandlung tauchten zahlreiche neue Dokumente auf, von denen die Anwälte zuvor nichts wussten. H.´s Verteidiger sind überzeugt, dass verfahrensrelevante Vorgänge „systematisch“ und „vorsätzlich“ aus der offiziellen Ermittlungsakte herausgehalten wurden. Sie sehen darin ein Verfahrenshindernis, das eine Verfahrenseinstellung zur Folge haben müsse.
Mehr als 1000 E-Mails der Polizei sowie weitere Dokumente halten derzeit den Strafprozess gegen Apotheke-Adhoc-Herausgeber Thomas Bellartz und den Systemadministrator Christoph H. wegen mutmaßlichen Ausspähens von Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Trab. Bei der Zeugenvernehmung des leitenden Ermittlers im April hatte sich gezeigt, dass nicht jede elektronische Kommunikation, die rund um das Verfahren bei der Polizei entstanden ist, auch in die Ermittlungsakte gelangte. Der Polizist reichte daraufhin eine umfangreiche CD mit E-Mails nach, die nun nach und nach gesichtet werden.
Nun hat die Verteidigung des IT-Experten Christoph H. beantragt, das Verfahren einzustellen, weil ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ vorliege. Damit geht sie über den bislang gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens hinaus. H.´s Anwälte Nikolai Venn und Diana Nadeborn sind nach erster Durchsicht der nachgereichten Mails aber überzeugt, dass in diesem Verfahren von Anfang an intransparent, parteiisch und rechtswidrig ermittelt wurde. Schon jetzt sei zu erkennen: Die Ermittlungsbehörden hätten wichtige Informationen aus der offiziellen Akte ferngehalten – und zwar „systematisch“ und „vorsätzlich“. Venn sprach von „Geheimoperationen der Polizei“. Eine bloße Aussetzung des Verfahrens, um die zahlreichen nachgereichten Dokumente zu sichten, sei daher nicht ausreichend.
Welche Motive hatte die Hauptbelastungszeugin?
Die Anwälte verlasen einen 35-seitigen Schriftsatz, in dem sie einige der „eklatantesten Verletzungen des Gebots auf Aktenwahrheit und -vollständigkeit“ aufzeigten. Viele dieser Beispiele rankten sich um die Hauptbelastungszeugin, H.´s Ex-Frau Katja S. Sie hatte über ihren neuen Ehemann dafür gesorgt, dass das BMG den Hinweis bekam, bei ihm würden Daten gestohlen. Die Glaubwürdigkeit der Ex-Frau ziehen H. und seine Verteidiger schon seit Anbeginn in Zweifel. Sie meinen, ihr sei es schlicht darum gegangen, sich im Sorgerechtsstreit um den gemeinsamen Sohn einen Vorteil zu verschaffen. Nun zitierten die Anwälte aus Dokumenten, die die Glaubwürdigkeit anzweifeln lassen, aber nicht in die Akte gelangten. So habe Katja S. beispielsweise den Ermittler in einer Mail aufgefordert, etwaiges bei H. gefundenes kinderpornografisches Material dem Jugendamt zu übermitteln. Der leitende Ermittler entsprach dem Wunsch zwar nicht, habe aber „Rechtsrat“ gegeben, sich mit Katja S. solidarisiert und dabei auch noch vertuscht. Venn und Nadeborn führten zudem weitere „klandestin“ geführte Korrespondenzen zwischen Katja S. und dem Ermittler an.
Auch seien Ergebnisse verschiedener anderer Ermittlungsverfahren nicht offiziell dokumentiert worden. Darunter auch das gegen Verantwortliche der ABDA wegen Untreue (geführt gegen „Unbekannt“), das erst am vergangenen Montag erstmals zur Sprache kam. Dieses sei ebenfalls von Katja S. angestoßen worden. Doch die Ermittler kamen zum Ergebnis, es habe nur „vage Hinweise“ gegeben, sodass das Verfahren letztlich eingestellt wurde.
Ermittler soll entschieden haben, was bekannt wird und was nicht
H.´s Verteidigung wirft dem leitenden Ermittler vor, sich nach „Gutsherrenart“ zum Entscheider darüber aufgeschwungen zu haben, welche Ermittlungsergebnisse bekannt werden und welche nicht. Diese „gezielt selektive“ Aktenführung zum Nachteil der beiden Angeklagten habe Verfahrensrechte ihres Mandanten schwerwiegend verletzt, so Anwältin Nadeborn. Dieser Mangel könne auch nicht durch die Nachlieferung der Polizei-Mails behoben werden – das Verfahren müsse daher mit einem Prozessurteil beendet, sprich eingestellt werden.
Bellartz´ Anwalt Carsten Wegner hatte bereits am vergangenen Montag umfangreich aus den Mails des Polizisten zitiert und sah sich durch den Vortrag seiner Kollegen in der Einschätzung bestätigt, dass in dem Verfahren relevante Informationen zurückgehalten wurden. Er schloss sich dem Antrag auf Einstellung per Prozessurteil allerdings nicht an, sondern verfolgt die Aussetzung weiter. Wegner hielt den Ermittlungsbehörden – auch der Staatsanwaltschaft – erneut vor, selbst Straf- und Strafverfahrensrecht verletzt zu haben. Er vermutet nun Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz durch den Polizisten, weil er Informationen aus den Ermittlungen an Dritte weitergegeben habe – etwa die Anwältin von Katja S. und das Jugendamt. Diese könnten in Kürze verjähren – erklärte er mit Blick auf den Staatsanwalt. Wegner erklärte zudem, dass er den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft für nicht fähig hält, die Hauptverhandlung zu führen. Schließlich sei dieser erst kurz vor Eröffnung der Hauptverhandlung mit dem Fall betraut worden. Er wolle den Staatsanwalt dafür nicht persönlich verantwortlich machen, erklärte Wegner, aber seine Behörde habe offenbar nicht die nötigen Maßnahmen getroffen, dass der Mitarbeiter gut vorbereitet sei.
Auch Wegner sprach das Untreue-Verfahren gegen ABDA-Verantwortliche an. Die Mails zeigten, dass es hier Vorbereitungen gegeben habe, die ABDA-Räumlichkeiten, die Privaträume der ABDA-Protokollchefin und auch der Beratungsgesellschaft, die für die ABDA den El-Pato-Sonderbericht erstellt hat, zu durchsuchen. Doch am Ende hätten die Ermittlungen nichts gebracht, das eine sinnvolle Durchsuchung hätte ermöglichen können. Das habe in der Anklage gegen Herrn Bellartz ganz anders geklungen.
Die Staatsanwaltschaft gab am heutigen Verhandlungstag zunächst keine weitere Erklärung ab. Ebenso wenig entschied das Gericht über den Aussetzungsantrag. Es ordnete vielmehr an, dass der Inhalt weiterer Akten nun im Selbstleseverfahren anzueignen ist. Der Vorsitzende Richter sagte zudem zu, sich darüber zu versichern, ob nun wirklich alle Dokumente, die im Zuge des Verfahrens entstanden sind, eingebracht wurden.
Am 10. Juli ist der nächste Verhandlungstermin vor dem Landgericht Berlin.
1 Kommentar
Gedicht
von Angela Bleibtreu am 21.06.2018 um 22:18 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.