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Interview mit Gematik-COO Florian Hartge zum E-Rezept
„Praxen und Apotheken müssen das gemeinsam anpacken“
Wie geht es weiter mit dem E-Rezept? Was bedeutet es, dass sich das Bundesministerium für Gesundheit zunächst von einem konkreten Starttermin für die elektronischen Verordnungen verabschiedet hat? Und wie reagiert die Gematik auf Störungen an der TI? Darüber sprach die DAZ mit Gematik-COO Florian Hartge.
DAZ: Herr Hartge, der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) meint, dass das E-Rezept noch nicht zu 100 Prozent ausgereift sei. Daher könne man es noch nicht in die Fläche bringen. Entspricht das auch Ihrem Eindruck?
Hartge: Rund 6.000 digitale Arzneimittelverordnungen sprechen aus meiner Sicht eine andere Sprache. Die wurden bisher bundesweit in Arztpraxen ausgestellt und in Apotheken eingelöst. Von den ersten Testläufen in der Fokusregion ausgehend, sind wir inzwischen bei einem regulären Betrieb in vielen Praxen und Apotheken angekommen. Technisch reden wir also über einen sehr hohen Entwicklungsgrad. Organisatorisch betrachtet sind tatsächlich noch nicht alle mit einem E-Rezept in Berührung gekommen.
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Das E-Rezept im Praxistest – wo liegen die Tücken?
Woran liegt das?
Das hat ganz verschiedene Gründe. Ja, es gibt noch einige wenige Anbieter von Apotheken- und Praxissoftware, die tatsächlich noch nicht „E-Rezept-ready“ sind. Die müssen einfach noch ihre Hausaufgaben erledigen. Und blickt man auf diejenigen im Gesundheitswesen, die alle technischen Voraussetzungen erfüllt haben, dann entdeckt man selbst dort noch einige Defizite.
Zum Beispiel?
Wir haben im persönlichen Kontakt Apothekenteams kennengelernt, in denen die Themen „E-Rezept“ und „Telematikinfrastruktur“ überhaupt noch keine Rolle gespielt haben. Auf die Frage, ob sie E-Rezepte verarbeiten können, wurde geantwortet, dass vor einigen Wochen der Dienstleister alles eingerichtet und der Chef eine entsprechende Schulung besucht hat, doch bisher sei das Team in die neuen Prozesse noch nicht involviert.
Vielleicht sind viele Apotheken einfach desillusioniert? Politisch wurde in den vergangenen Jahren vieles angekündigt, was dann doch wieder abgesagt oder verschoben wurde. Die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sind auch alles andere als „Feuer und Flamme“ im Hinblick auf die digitalen TI-Anwendungen – jedenfalls auf Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen.
Sehen Sie, über das gemeinsame Ziel, einer besseren Krankenversorgung, sind sich ja alle einig. Auch, dass diese ohne Digitalisierung mit den vor uns liegenden Herausforderungen nicht anders zu bewerkstelligen sein wird. Das E-Rezept wird endlich die Apotheker aktiv mit in die Versorgung einbinden und so einen großen Schritt Richtung Medikations- und Patientensicherheit ermöglichen. Tatsache ist, dass das Muster-16-Rezept inzwischen digital abgebildet und verordnet werden kann. Praxen und Apotheken müssen das gemeinsam anpacken. Ohne aktive Beteiligung und einem gewissen Enthusiasmus wird das nicht funktionieren.
Was bedeutet das konkret für die Apotheken?
Die Apotheken haben zunächst sehr vorbildlich agiert und die benötigte TI-Ausstattung und Infrastruktur in ihren Betrieben installieren lassen. Doch der zweite Schritt besteht darin, sich beim jeweiligen Dienstleister fortbilden zu lassen und nachfolgend – ganz wichtig – auch im Apothekenteam dieses Wissen zu verbreiten. Das E-Rezept muss jeden Tag Thema sein, auch wenn heute noch die Papierrezepte mengenmäßig überwiegen.
Nun haben sich die Entscheider offenbar von einem konkreten Einführungstermin verabschiedet. E-Rezepte und klassische Papierrezepte werden also zunächst im Parallelbetrieb laufen. Das sorgt für einen Mehraufwand und für Mehrkosten auf allen Ebenen. Ist das so beabsichtigt und gewünscht?
Nach wie vor gilt die gesetzliche Grundlage in § 360 SGB V. Demnach existieren konkrete Einführungstermine für die verschiedenen Rezeptarten – natürlich immer unter der Prämisse, dass hierfür alle erforderlichen Dienste und Komponenten flächendeckend zur Verfügung stehen und keine technischen Gründe im Einzelfall dagegensprechen. Wenn also die Apotheken und Arztpraxen durch ihre Softwaredienstleister befähigt wurden, TI-Anwendungen zu nutzen, wird es auch wieder einen konkreten Einführungstermin geben. Ein Parallelbetrieb, womöglich über mehrere Jahre, ist politisch nicht erwünscht und wird auch nicht so kommen.
Gibt es eine Fokusregion 2.0?
Das heißt, Sie von der Gematik haben alle Voraussetzungen geschaffen, dass Dienste und Komponenten flächendeckend zur Verfügung stehen. Nun hängt es tatsächlich nur noch von den Softwaredienstleistern aus dem Praxis- und Apothekenbereich ab?
Na ja, „nur“. Das E-Rezept ist jedenfalls technisch ausgereift. Etliche Verordnungen wurden bereits über die komplette Kette Praxis, Patient, Apotheke, Rechenzentrum, Krankenkasse erfolgreich weitergegeben und abgerechnet. Übrigens bisher auch ohne finanzielle Risiken in Form von Retaxationen. Unser Portal www.ti-score.de zeigt immer aktuell an, welche Softwareanbieter „TI-ready“ sind. Aber das ist wie gesagt nur die eine Seite. Denn die Praxen und Apotheken, die bereits über eine funktionierende Software verfügen, müssen auch die Schulung der Anbieter aktiv einfordern. Auch dieser Status ist auf dem Portal zu sehen. Und selbst, wenn ein Teammitglied geschult ist, dann muss das Wissen weitergetragen werden und in der jeweiligen Praxis oder Apotheke müssen sich die Arbeitsprozesse entsprechend verändern.
Inzwischen bieten Sie auch das sogenannte TI-Dashboard an. Dieses präsentiert Schlüsselkennzahlen der TI-Anwendungen. Lässt sich anhand einer Gesamtzahl ausgestellter und eingelöster E-Rezepte überhaupt feststellen, wie weit wir deutschlandweit sind? Immerhin gab es im vergangenen Sommer ja noch eine sogenannte Fokusregion in Berlin/Brandenburg.
Diese öffentliche Statistik bildet nur einen Bruchteil der Daten ab, die wir bei der Gematik tagtäglich empfangen und auswerten. Wir haben natürlich einen Überblick darüber, welches Softwaresystem beispielsweise wie viele E-Rezepte verarbeitet, ob Fehler auftreten und wenn ja, welche. Außerdem erhalten wir von unseren Gesellschaftern weitere Informationen. Da sind der Deutsche Apothekerverband und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung sehr vorbildlich.
Können Sie vor dem Hintergrund die kritischen Stimmen verstehen, die sich bezüglich Transparenz und Datensicherheit sorgen? Wird man Arzneimittelverordnungen und Patientendaten live verfolgen können? Können einzelne Apotheken und Praxen sanktioniert werden, wenn sie sich beispielsweise den digitalen Angeboten entziehen?
Diese Überlegung halte ich für unangebracht. Die Gematik-Gesellschafter, die ja die einzelnen Gruppierungen repräsentieren, haben das große Interesse, die Versorgung insgesamt und einzelne Anwendungen stets zu verbessern. Es geht hier nicht um Überwachung, sondern um technische Entwicklung. Wenn wir Fehler und Schwachstellen erkennen, können wir das E-Rezept und die TI-Anwendungen noch praxistauglicher machen. So arbeiten wir aktuell an der Realisation von Mehrfachverordnungen und an einem App-Feature, dass Verordnungen innerhalb der Familie weitergeleitet werden können.
Auf einem weiteren Portal informieren Sie über den TI-Status, also über Störungen in der TI und geplante Wartungsvorhaben. Wir empfangen immer wieder Meldungen aus Apotheken oder von Softwareanbietern, die über massive und längere Ausfälle sprechen. Was sagen Sie dazu?
Ich möchte die individuelle Betroffenheit nicht kleinreden, aber diese Fehler sind gemessen an dem Gesamtvolumen dieses hierzulande bislang größten Digitalisierungsprojektes eher keine große Sache. Solche temporären Downtimes befinden sich in einem Rahmen, den wir akzeptieren können und aktuell auch müssen. Nichtsdestotrotz sind wir gemeinsam mit unseren technischen Partnern und Gesellschaftern dran, die Fehlerquote noch weiter zu senken. So haben der Deutsche Apothekerverband, Ärztevertreter und das Ministerium an einem Konzept gearbeitet, wie trotz Störungen auf Ebene der Praxis, Apotheke oder TI weitergearbeitet werden kann. Diese Handlungshilfe wird bald veröffentlicht.
Gehen wir nochmal zurück auf die politische Ebene: Wenn Minister Lauterbach von „in die Fläche bringen“ spricht, könnte man daraus deuten, dass es auch wieder Modellprojekte wie eine Fokusregion 2.0. geben wird?
Das ist nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Für manche TI-Anwendungen und weitere E-Rezeptarten wäre das sogar sehr gut vorstellbar. Wir stehen auch aktuell mit regionalen Netzwerken von Praxen, Apotheken und anderen Leistungserbringern im regelmäßigen Austausch. Das sind keine offiziell berufenen Modellprojekte, aber es zeigt sich daran, dass die digitalen Gesundheitsanwendungen nur funktionieren und angenommen werden, wenn sich das ganze Umfeld darauf einlässt. Und nochmal: Neben der technischen Voraussetzung spielt die Schulung des Personals und die aktive Patientenansprache eine ganz wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang wäre es auch wünschenswert, wenn die offizielle E-Rezept-App eine noch größere Verbreitung findet. Ausgedruckte E-Rezept-Tokens sollten möglichst die Ausnahme bleiben.
Herr Hartge, vielen Dank für das Gespräch.
4 Kommentare
Apothekenteams in denen das eRezept noch keine Rolle spielt...
von Tobias Kast am 29.03.2022 um 8:19 Uhr
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Untauglich
von Carsten Moser am 29.03.2022 um 0:52 Uhr
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Detailfragen später vielleicht?
von T. LaRo am 29.03.2022 um 0:15 Uhr
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.
von Anita Peter am 28.03.2022 um 18:32 Uhr
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