Arzneimitteltherapie für adipöse Kinder und Jugendliche
Zusätzlich zu Lifestyle-Interventionen kann eine Pharmakotherapie sinnvoll sein. Die S3-Leitlinie empfiehlt sie, wenn herkömmliche verhaltensorientierte Therapien über mindestens neun bis zwölf Monate versagt haben oder wenn aufgrund von Komorbiditäten ein extrem erhöhtes Gesundheitsrisiko besteht. Die Indikation sollte durch einen auf dem Gebiet der Adipositas im Kindes- und Jugendalter erfahrenen Therapeuten gestellt werden.
Auch für die medikamentöse Behandlung gilt das Prinzip, dass sie im Rahmen eines langfristig angelegten, interdisziplinären Therapieprogramms durchgeführt werden muss. Bei der Erstellung der Leitlinie wurden Studien bis 2006 berücksichtigt, in denen Sibutramin, Orlistat, Metformin und Epinephrin zur pharmakologischen Behandlung der Adipositas im Kindes- und Jugendalter eingesetzt worden waren. Keiner dieser Wirkstoffe war und ist in Deutschland für diese Altersgruppe zugelassen. Laut der Leitlinie erscheint jedoch „ein individueller Heilversuch […] bei ausgewählten Patienten, bei mangelnden Alternativen und dringender Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion sinnvoll“. Eine Alternative dazu könnten Wirkstoffe sein, die in den vergangenen Jahren explizit für Kinder und Jugendliche zugelassen wurden bzw. sich in klinischer Prüfung befinden.
- Liraglutid
Der GLP-1(Glucagon-like-Peptid-1)-Rezeptoragonist Liraglutid (Saxenda®) ist seit 2015 als Ergänzung zu einer gesunden Ernährung und verstärkten körperlichen Aktivität zur Gewichtsregulierung bei jugendlichen Patienten ab zwölf Jahren zugelassen. Voraussetzungen für den Einsatz sind eine Adipositas mit einem BMI, der ≥ 30 kg/m2 für Erwachsene entspricht, und ein Körpergewicht über 60 kg. Nach zwölfwöchiger Behandlung mit einer Dosis von 3,0 mg/Tag oder der maximal vertragenen Dosis ist Liraglutid abzusetzen, wenn die Patienten nicht mindestens 4% des altersadaptierten BMI verloren haben. Die Verabreichung von Liraglutid erfolgt einmal täglich subkutan. Die Dosis wird zu Behandlungsbeginn über vier Wochen schrittweise eskaliert. - Semaglutid
Dieser GLP-1-Rezeptoragonist ist als Wegovy® bislang nur zur Behandlung von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen zugelassen. Im Gegensatz zu Liraglutid wird Wegovy® nur einmal wöchentlich subkutan angewendet. Die STEP-TEENS-Studie hatte Semaglutid erstmalig bei Teenagern zwischen 12 und < 18 Jahren im Vergleich mit Placebo untersucht. Die einmal wöchentliche 2,4-mg-Dosis, die auch für Erwachsene in dieser Indikation zugelassen ist, bzw. Placebo wurde den 201 Teilnehmenden über 68 Wochen zusätzlich zu Lebensstil-Interventionen verabreicht. Das Ergebnis: Bei 76% der Jugendlichen trat unter Semaglutid ein Gewichtsverlust von mindestens 5% auf, in der Kontrollgruppe waren es 23%. Mindestens 20% ihres Körpergewichts verloren 37% der Kinder und Jugendlichen unter Semaglutid, in der Placebogruppe waren es dagegen 3%. Die mittlere BMI-Änderung unterschied sich zwischen den beiden Gruppen signifikant (-16,1% vs. 0,6%, p < 0,001). Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö wurden unter Semaglutid deutlich häufiger beobachtet als unter Placebo (62% vs. 42%). Fünf Teilnehmende entwickelten unter Semaglutid Gallensteine, unter Placebo traten sie nicht auf. - Setmelanotid
Auf einem anderen Wirkprinzip beruht der 2021 zugelassene Melanocortin-4-Rezeptoragonist Setmelanotid (Imcivree®), ein Orphan Drug. Voraussetzung für den Einsatz bei Kindern ab sechs Jahren sowie Erwachsenen ist ein bestätigter genetisch bedingter Mangel an Proopiomelanocortin (POMC) oder dem Leptin-Rezeptor (LEPR). Betroffene leiden unter einem unkontrollierbaren Hungergefühl, durch übermäßige Nahrungszufuhr entwickelt sich eine Adipositas. Setmelanotid ist ein selektiver Agonist an Melanocortin-4(MC4)-Rezeptoren im Gehirn, die an der Regulierung von Hunger- und Sättigungsgefühl beteiligt sind und die bei Betroffenen unzureichend aktiviert werden. Indem Setmelanotid diese Aktivierung wiederherstellt, kann das Hungergefühl reduziert und in Kombination mit einer verringerten Energiezufuhr und einem erhöhten Energieumsatz, beispielsweise durch Bewegung und Sport, eine Gewichtsabnahme herbeigeführt werden. Setmelanotid wird in altersabhängiger Dosierung einmal täglich subkutan angewendet. Der Wirkstoff besitzt auch eine schwach ausgeprägte Interaktion mit dem MC1-Rezeptor, der auf Melanozyten exprimiert wird. Dadurch kommt es unter der Behandlung zu einer Akkumulation von Melanin, verbunden mit einer erhöhten Hautpigmentierung und einem Übergang der Haarfarbe von Rot in einen Braunton.
Literatur
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