- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 1/1998
- Johanniskraut: Vom ...
Arzneimittel und Therapie
Johanniskraut: Vom Antidepressivum zum Allheilmittel?
Hochdosierter Johanniskrautextrakt soll neueren klinischen Studien zufolge nicht nur bei leichten, sondern auch bei mittelschweren Depressionen wirksam sein. Darüber hinaus liegen Hinweise aus der Praxis vor, daß sich mit Johanniskraut die Winterdepression, Spannungskopfschmerzen und eine Reihe anderer Krankheitsbilder erfolgreich behandeln lassen. Klinische Studien dazu stehen aber noch aus.
Auch bei schwereren Depressionen wirksam
Eine Doppelblindstudie mit 135 Patienten mit mittelschweren Depressionen hat ergeben, daß hochkonzentrierter Johanniskrautextrakt ähnlich wirkte wie der Monoaminoxidase-Hemmer Imipramin, dabei aber deutlich weniger Nebenwirkungen verursachte. Die eine Gruppe erhielt sechs Wochen lang dreimal täglich 300 mg Pflanzenextrakt, die andere Gruppe täglich 75 mg Imipramin. Wegen der guten Wirksamkeit und Verträglichkeit kann man hochdosierten Johanniskrautextrakt bei mittelschweren Depressionen als Alternative zu den synthetischen Antidepressiva einsetzen. Allerdings muß der Patient während der Behandlung sorgfältig überwacht werden. Bessern sich die Krankheitssymptome nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen oder verschlechtern sie sich sogar, sollte man den Patienten schrittweise auf ein synthetisches Antidepressivum umstellen.
Alle Jahre wieder - die Winterdepression
Viele niedergelassenen Ärzte setzen das Johanniskraut mit Erfolg gegen die Winterdepression ein. Dieses auch als Lichtmangeldepression oder "seasonal affective disorder" bezeichnete Krankheitsphänomen tritt von November bis März auf, bei Frauen aus noch ungeklärtem Grund dreimal so häufig wie bei Männern. Die Winterdepression ist eine milde Form der Depression, sie wird aber als unangenehm empfunden. Der Patient verspürt im Gegensatz zu anderen Depressionsformen einen gesteigerten Appetit, was meist zu einer Gewichtszunahme führt, und benötigt viel Schlaf, der jedoch selten erholsam ist. Ein wirksames Mittel gegen die Winterdepression ist vor allem das Licht. Wer täglich eine Stunde bei Tageslicht spazierengeht, kann die Depression bekämpfen und depressiven Verstimmungen sogar vorbeugen.
Deprimierende Kopfschmerzen
Spannungskopfschmerzen, die ältere Psychiater unter dem Begriff "reizbare Schwäche" zusammenfaßten, verlaufen oftmals chronisch. Die Ursache dafür liegt in der Persönlichkeitsstruktur des Patienten, in der erblichen Belastung und meist in einer beruflichen Überforderung. Die Betroffenen sind zwar nicht depressiv, fühlen sich aber in der Regel mißgestimmt und deprimiert. Die gegen Spannungskopfschmerzen häufig verordneten Analgetika wirken nur selten und verschlimmern eher den Zustand. Als Therapie der Wahl gelten derzeit trizyklische Antidepressiva in Kombination mit Entspannungstechniken. Es wird aber auch diskutiert, ob Johanniskraut bei chronischen Spannungskopfschmerzen wirkt, wie das in zahlreichen Einzelfällen beobachtet werden kann.
Beschwerliche Tage vor "den Tagen"
Schätzungen zufolge leiden zwei Drittel aller Frauen am prämenstruellen Syndrom. Darunter faßt man zahlreiche körperliche und seelische Beschwerden zusammen wie etwa Nervosität, Anspannung, Ruhelosigkeit und Reizbarkeit. Vier Prozent der Betroffenen entwickeln sogar eine "prämenstruelle dysphorische Störung", die in den USA als eigenständige Krankheit anerkannt ist. Die Frauen leiden an Resignation, Merk- und Konzentrationsstörungen. Sie sind abgeschlagen, schnell erschöpft, aggressiv und zeigen zahlreiche psychosomatische Beschwerden. Therapiert wird häufig mit Psychopharmaka, vor allem Benzodiazepinen, die aber Nebenwirkungen verursachen. Das ist problematisch, denn die Behandlungszeit kann bis zu zwölf Wochen im Jahr betragen. Viele praktische Ärzte haben gute Erfahrungen mit dem Johanniskraut gesammelt, die noch wissenschaftlich überprüft werden müssen. Wird das Phytopharmakon etwa zwei Wochen vor Beginn der Regelblutung eingenommen, lassen sich die Beschwerden abblocken. Danach wird die Dosis schrittweise reduziert.
Burn-out-Syndrom - ein modernes Phänomen
Viele Berufstätige leiden am Burn-out-Syndrom; sie fühlen sich erschöpft, verbittert und ausgebrannt. Obwohl das Burn-out-Syndrom kein psychisches Krankheitsbild im eigentlichen Sinne darstellt, haben es niedergelassene Ärzte gerade in letzter Zeit häufig mit Menschen zu tun, die daran leiden. Die Patienten sind in der Regel engagiert; Ärger und berufliche Schwierigkeiten schlagen sich häufig in körperlichen Beschwerden nieder. Johanniskraut wird erfahrungsgemäß von Patienten mit Burn-out-Syndrom gut akzeptiert, da es wenige Nebenwirkungen verursacht. Die Patienten sind allerdings oft ungeduldig und nehmen die verordneten Mittel nicht regelmäßig ein. Neben den Medikamenten benötigen sie vor allem eine psychosoziale Betreuung, um die sozialen Schwierigkeiten bewältigen zu können, die im Mittelpunkt des Burn-out-Syndroms stehen.
Vom Dauerschmerz zum algogenen Psychosyndrom
Chronische Schmerzen haben in vielen Fällen weder eine Warn- noch eine Schutzfunktion. Eine solche eigenständige Schmerzkrankheit kann sich zum algogenen Psychosyndrom entwickeln, worunter man eine Persönlichkeitsveränderung durch Dauerschmerz versteht. Die betroffenen Patienten sind reizbar, mißmutig und aggressiv und sorgen sich nur noch um ihre eigene Befindlichkeit. Nach einiger Zeit resignieren sie und werden deprimiert. Eine Schmerztherapie ist für diese Patienten in der Regel nur dann erfolgreich, wenn das Behandlungskonzept stimmt, das sich aus Psychotherapie, Entspannungsübungen und der richtigen Arzneimittelkombination zusammensetzt. Antidepressiva und Schmerzmittel eignen sich, wenn es sich um ein depressives Syndrom handelt, Neuroleptika und Schmerzmittel werden bei einem "psychosomatisch orientierten Syndrom" mit Unruhe und Spannungen eingesetzt. Beobachtungen aus der Praxis deuten darauf hin, daß man mit Johanniskraut die Menge an benötigtem Schmerzmittel verringern kann.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.