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Arzneimittel und Therapie
Therapie von Schlafstörungen: Zwischen Baldrian und Benzos
Etwa jeder vierte Patient beim Hausarzt leidet unter einer Schlafstörung: Er kann mindestens dreimal pro Woche nicht ein- oder durchschlafen, und das über mindestens vier Wochen. In den meisten Fällen (82,5%) handelt es sich um chronische Schlafstörungen, die bereits seit mindestens einem Jahr andauern, so das Ergebnis einer Studie der Universitäten Freiburg und Göttingen. In der Regel sind es täglicher Streß, einschneidende Veränderungen der Lebenssituation oder körperliche Beschwerden, die die Patienten nicht schlafen lassen. Diese Schlafstörungen können leicht in einen Circulus vitiosus münden. Die Angst, wieder nicht schlafen zu können, führt zu erhöhter Anspannung, die das Einschlafen zusätzlich erschwert. Die Folgen liegen auf der Hand: Tagesmüdigkeit, Erschöpftheit, Gereiztheit und mangelnde Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Bleibt die Insomnie unbehandelt, können sich die Beschwerden bis hin zu depressiver Verstimmung und Angstzuständen steigern. Für die Therapie bieten sich je nach Schweregrad der Schlafstörung Benzodiazepine, Antihistaminika oder Phytopharmaka, allen voran Baldrianextrakte an. Ergänzt werden sollte die medikamentöse Therapie von psychologischen bzw. verhaltenstherapeutischen Maßnahmen.
Tips für die Benzodiazepin-Therapie
Schlafmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine sind gut wirksam und besitzen eine große therapeutische Breite. Die Risiken dieser Wirkstoffgruppe sind allerdings zur Genüge bekannt. Das hohe Abhängigkeitspotential setzt der Therapiedauer Grenzen, das Reaktionsvermögen wird stark eingeschränkt, was vor allem für Berufstätige zum Problem werden kann. Bei älteren Patienten werden außerdem häufig paradoxe Reaktionen beobachtet. Dennoch sind die Benzodiazepine aus der Therapie schwerer Schlafstörungen nicht wegzudenken. Um die Risiken zu minimieren, sollten folgende Regeln beachtet werden:
• Es sollte stets die geringstmögliche Dosis verordnet werden.
• Substanzen mit geringer Reboundfrequenz und geringen Überhangeffekten sollten eingesetzt werden.
• Der Patient sollte sich an die vom Arzt festgelegte Dosierung halten.
• Zu Beginn der Therapie sollte deren Ende bereits festgelegt werden.
• Benzodiazepine sollten nur in Ausnahmefällen länger als vier Wochen eingenommen werden. Dann bietet sich als Alternative eine kontrollierte Intervalltherapie an.
• Benzodiazepine dürfen keinesfalls abrupt abgesetzt werden. Ansonsten besteht die Gefahr von verstärkter Unruhe, Angst und Schlafstörungen.
• Benzodiazepine dürfen suchtgefährdeten Patienten nicht verordnet werden.
Wenn Baldrian, dann hochdosiert
Bei leichten und mittelschweren Insomnien bietet sich deshalb der Griff in die Schublade pflanzlicher Schlafmittel an. Die schlafanstoßende und schlaffördernde Wirkung von Baldrianextrakten ist seit langem bekannt. Der Vorteil: Baldrianextrakte besitzen praktisch keine Nebenwirkungen, vor allem scheinen sie das Reaktionsvermögen nicht einzuschränken (siehe Kasten). Aber auch in der Baldriantherapie gelten einige Kriterien, die berücksichtigt werden müssen:
• Der Baldrianextrakt muß ausreichend hoch dosiert sein. Als sinnvoll gilt eine Tagesdosis von 600 mg Extrakt.
• Die Wirkung tritt, wie bei allen Pflanzenextrakten, erst nach einigen Tagen ein. Über diese Latenzphase muß der Patient informiert werden.
• Eine direkte Umstellung von Benzodiazepinen auf Baldrianextrakte ist nicht empfehlenswert.
Biphasische Wirkung von Baldrian Die Wirkung verschiedener Dosen (50, 250 und 500 mg/kg) eines neuen Baldriantrockenextrakts (LI 156, Sedonium(r)) wurde in einem Verhaltenstest und in einem Motilitätstest an Mäusen im Vergleich zu Plazebo und Chlorpromazin untersucht. Die Ergebnisse: Die Wirkung des Baldrianextraktes verläuft biphasisch. Während in niedriger Dosierung der zentral erregende Effekt im Vordergrund steht, nimmt mit zunehmender Dosis die sedierende Wirkung eindeutig zu. Im Verhaltenstest zeigte sich in der hohen Dosierung dann ein stark ausgeprägter sedierender Effekt. Auch im Motilitätstest wirkte hochdosierter Baldrianextrakt zwar schwach, aber deutlich sedierend.
TÜV-Studie: Baldrian macht nicht müde Einschlafen am Steuer gilt als häufigste Einzelursache aller Unfälle mit tödlichem Ausgang. Neben Schlafstörungen führen gerade auch Schlafmittel zu einer erhöhten Tagesmüdigkeit. Der Überhang-Effekt ist bei Benzodiazepinen deutlich höher als bei pflanzlichen Extrakten. Dennoch läßt sich ein Einfluß auf die Tagesmüdigkeit auch durch Baldrianextrakte nicht von vornherein ausschließen. Um den akuten Effekt von LI 156 auf die Fahrtauglichkeit zu überprüfen, erhielten 99 Probanden im Alter zwischen 30 und 60 Jahren entweder 600 mg Baldrianextrakt, 1 mg Flunitrazepam oder Plazebo als Einmalgabe. Gemessen wurde die Reaktionszeit vor und nach der Medikation. Während sich die Reaktionsfähigkeit in der Flunitrazepam-Gruppe bei etwa einem Viertel der Probanden verschlechterte, verbesserte sie sich unter Baldrianextrakt und Plazebo als Folge des Übungseffektes leicht. Auch nach der abendlichen Einnahme von 600 mg Baldrianextrakt oder Plazebo über zwei Wochen zeigte sich hinsichtlich der Reaktionsfähigkeit kein Unterschied. Die Fahrtauglichkeit scheint demnach durch Baldrianpräparate nicht beeinträchtigt zu werden.
Quelle Prof. Dr. E. Rüther, Göttingen, Priv.-Doz. Dr. S. Volk, Frankfurt, Dr. Morgenstern, Berlin, Dr. A. Rhodenbeck, Göttingen, Dr. G. Ziegler, Stuttgart; Pressekonferenz: "Natürlicher Schlaf - Was heißt das?" München, 13. März 1998, veranstaltet von Lichtwer Pharma GmbH, Berlin. Dr. Beate Fessler, München
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