Die Seite 3

Viagramanie

Wahrscheinlich sind sie jetzt bald vorbei, die Zeiten, wo Herren mittleren Alters oder älter verstohlen den Herrn Apotheker verlangten und sich nicht von der netten PTA bedienen lassen wollten. Und die Zeiten, wo diese Herren dann mit gespieltem Selbstbewußtsein einen Zeitungsausschnitt mit einer einschlägigen Anzeige übern Tresen schoben, um ein vermeintlich potenzsteigerndes Mittel zu erwerben wie Yohimbin, zweifelhafte Vitamin- und Mineralstoffkombinationen oder Stierhodenextrakt. Jetzt legen ebendiese Herren mit echtem Selbstbewußtsein ein Privatrezept vor, auf denen die sechs Buchstaben "Viagra" stehen. Der Run auf die Potenzpille aus den USA macht Furore.

Analysiert man die drei großen Magazine bzw. Illustrierten Deutschlands, so ist auf dem Cover der 21. Woche große Übereinstimmung festzustellen: die "Potenzpille", die eine "Sex-Revolution" auslöst und den "Macho auf Rezept" verheißt, ist in aller Munde. Das Sildenafil-Präparat des amerikanischen Pharmakonzerns Pfizer (siehe auch unseren Beitrag in DAZ Nr. 20, S. 41), das im März in den USA von der FDA zugelassen wurde, wird seit wenigen Wochen auch in Deutschlands Apotheken nachgefragt. Aufgrund der überschwenglichen Medienberichte dürfte seit dieser Woche vermutlich auch bei uns ein leichter Viagra-Boom einsetzen. Ein verständnisvoller Urologe, der dem Mann, der nicht kann, helfen möchte, und Paragraph 73 AMG machen es möglich, den blauen Diamanten (der "Stern") auch bei uns zu erwerben, die 30er Packung zu Preisen zwischen 700 und 1100 Mark. Die Internationalen Apotheken sind gefordert! Und schon werden die Internetadressen gehandelt, über die man die "königsblauen Sex-Bomben" ("Focus") illegal, ohne Rezept per Post ordern kann. Selbst einige aus unserer Zunft sollen schon einen Online-Dienst eingerichtet haben, um den "Potenzverbesserer" ("Der Spiegel") an den Mann zu bringen.

Spätestens im Herbst, so war zu erfahren, dürfte Sildenafil dann auch von der deutschen Zulassungsbehörde in Berlin seinen Segen bekommen - und nach Amerika auch Deutschland "viagrisieren". Die Nebenwirkungen der Potenzpille sind - angesichts der überragenden Hauptwirkung - für die meisten akzeptabel: Kopfschmerzen, verändertes Farbsehen (Blauschleier), Effekte auf den Darm und den Speiseröhrenschließmuskel - und Schwangerschaft.

Unser Bundesgesundheitsminster hat bereits reagiert: Viagra werden deutsche Männer nur in Ausnahmefällen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung bekommen können, wenn sie etwa an Diabetes leiden oder querschnittsgelähmt sind. Zur "individuellen Lebensführung" werde es das "blaue Wunder" nicht auf Kassenkosten geben. Denn sonst, so die Schätzung von Experten, würden rund 40 % des gesamten heutigen Arzneimitteletats für die zum Leben erwachte Manneskraft verpulvert.

Futurologen werden also doch mit ihren Prognosen recht bekommen: der Gesundheitsmarkt wird in Zukunft ein Wachstumsmarkt sein, Viagra ist erst der Anfang. Schon basteln die modernen Alchemistenküchen an Lifestyle-Drugs, an Präparaten, die nicht gegen Krankheiten eingesetzt werden, sondern zur Steigerung der Lebensqualität, so z. B. gegen Fettsucht, Glatzen, schlaffe Muskeln und schlechter Haut. Uns Apotheker soll es freuen.

Ihr Peter Ditzel

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