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Potenzpille Viagra in Deutschland: Sexbombe und Liebestöter
"""Selbstverständlich ist die Nachfrage groß", berichtet Florian Piecha von der "Internationalen Ludwigs-Apotheke" in der Münchner Fußgängerzone. "Vom lockeren 30jährigen bis hin zum zögerlichen 70jährigen - jede Menge Interesse!" weiß auch Walter Verfürth von der "Metropolitan pharmacy" am Flughafen. Und Kollegin Sabine Paukert stöhnt: "Zur Zeit gibts fast nur eins - Viagra!" Allerdings - es sind vor allem Kunden, die echte Probleme mit ihrer Manneskraft haben und - so Urologe Augustin Kronester - "vernünftig an die Sache rangehen." Der sexbesessene Machotyp, geifernd auf der Suche nach dem ultimativen Kick - der ist bisher wohl noch nicht aufgetaucht: "Die Männer lassen sich auch nicht von der Medien-Hysterie zu irgendetwas treiben, was sie gar nicht möchten", beobachtet Kronester. "Eigentlich ist es der eher introvertierte Kundentyp, der sein Potenz-Rezept verschämt übern Tresen schiebt, wenig fragt und schon wieder weg ist", meint Walter Verfürth. Junge Viagra-Jäger kennt auch Florian Piecha noch nicht, "der Großteil liegt altersmäßig bei 55 plus." Die Männer lassen sich wohl auch beraten, wollen genau über die Nebenwirkungen Bescheid wissen und bekommen meistens auch den - übersetzten - Beipackzettel in die Hand gedrückt. Da wird übrigens deutlich auf die am Wochenende gemeldete Gefahr der unerwünschten Wechselwirkung zwischen Viagra und nitroglyzerinhaltigen Therapeutika hingewiesen. Den wegen seiner Farbe "blauer Diamant" genannten Potenzverstärker zu beschaffen - für deutsche Pharmazeuten kein Problem: 3 bis 4 Tage im Normalfall, "über Nacht wirds teuerer!" Der Abgabepreis schwankt enorm: zwischen 650 und 1300 Mark für die übliche 30er Packung werden verlangt, unabhängig von der Dosierung. Natürlich wittern auch Geschäftemacher nun die Potenz dieses Medikamentes: In Kleinanzeigen wird der Aufsteller aus Amerika einzeln offeriert, obskure Importfirmen - "Sehr geehrte Frau Apothekerin, Sie können es bei uns kurzfristig erhalten!" - treiben ihr Unwesen. Und Sabine Paukert warnt: "Es sind offenbar schon Viagra-Fälschungen im Umlauf!" Trotzdem - Deutschlands Apotheker freuen sich übers Zusatzgeschäft. Und viele Urologen ebenfalls - auch wenn Skepsis vorhanden ist: "Ich weiß noch zu wenig über die Nebenwirkungen dieser Pille," räumt Augustin Kronester ein, "und von meinen Patienten habe ich auch noch keine Rückmeldungen." Er freut sich, daß etwa die Hälfte der Patienten mit Partnerin bei ihm antritt, und er stellt unmißverständlich fest: "Eine Massenverschreibung für Kassenpatienten kommt nicht in Frage - es ist unmöglich, alles Schöne kostenlos zur Verfügung zu stellen!" Während trotz einiger Zwischenfälle das männliche Interesse am Phallusverstärker ungebrochen weiter ansteigt, scheinen auch immer mehr Frauen neugierig auf das Pfizer-Produkt zu werden. Beim Gynäkologen Wolfram Alberti "fragen vor allem jüngere Frauen jetzt öfter nach Viagra - ob das vielleicht auch was für sie wäre." Alberti sagt: "im Prinzip ja." Während der Hersteller die Anwendung bei Frauen derzeit noch ablehnt, scheinen Gynäkologen den Einsatz durchaus zu erwägen. Andere Fachleute bezeichnen das als "bedenklich", und der Urologe Hartmut Porst zog sich im ZDF auf die Wartebank zurück: "Erst mal abwarten!" Das Hoch "Viagra" steht nicht nur über Deutschlands Apotheken: Pharmazeuten in Spanien, der Schweiz und San Marino berichten über einen regelrechten Potenzpillen-Tourismus. Angeblich sollen die sechs Apotheker im Zwergstaat an der Adria von "Schlappschwänzen" aus ganz Europa aufgesucht werden - zumal beim ortsansässigen Dottore Egidio Andriano das begehrte Rezept wohl relativ einfach zu ergattern ist. Lästermäuler erwarten auch bald den Einzug des "Blauen Diamanten" ins Sortiment des Vatikans - schließlich fördert Sildefanil auch die "Fruchtbarkeit..." Trotz Euphorie - es gibt auch vernünftige Stimmen im hysterischen Geschrei der chemiegläubigen Männerwelt: von "Potentomanie" (Psychologin Angelika Wagner-Link) ist die Rede, von der "Technisierung der Liebe" (Kronester) und der Gefahr, daß der blaue Durchbluter zur "Erpressungsdroge gegen unwillige Frauen" wird. Und viele, deren Hirn nicht auf neue Ausdauerrekorde oder Härtegrade fixiert ist, fragen sich: "Warum ist ganz Deutschland plötzlich impotent?" Ungetrübt ist die Freude über das neue Präparat nach Beobachtungen der "Süddeutschen Zeitung" wohl nur bei einer Gruppe von Betroffenen: "Die Nashörner sollen vor Freude ihre letzten verbliebenen Hörner aneinanderreiben, und die wenigen überlebenden Tiger brüllen ihr Glück hinaus in den Urwald: V-i-a-g-r-a - wir danken Dir!"
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