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Frauengesundheit: Frauen wollen ganzheitlich betrachtet und behandelt werden
Frauen sind anders krank als Männer Die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Dr. Elisabeth Pott, Köln, führte einige bezeichnende Fakten zur Gesundheit von Frauen in Deutschland an: Zwar hätten Frauen im Durchschnitt eine um sieben Jahre höhere Lebenserwartung als Männer und ihr durchschnittlicher Krankenstand liege niedriger, bei näherem Hinsehen jedoch zeigten sich die spezifischen Aspekte der Frauengesundheit und des weiblichen Gesundheitsbewußtseins: Frauen hätten deutlich mehr psychosomatische Störungen und funktionelle Beschwerden. Sie gäben erheblich häufiger ein subjektiv schlechtes Befinden an, und es würden bei ihnen auch tatsächlich öfter psychiatrische Diagnosen gestellt. Frauen bekämen doppelt so oft wie Männer Beruhigungsmittel verschrieben, und 70% aller Medikamentenabhängigen seien Frauen. Eßstörungen betreffen fast ausschließlich Mädchen und Frauen. "Frauen sind eben anders krank als Männer", folgert Pott hieraus. Einen wesentlichen Ansatz für die Lösung frauenspezifischer Gesundheitsprobleme sieht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Schaffung gezielter Präventionsangebote (siehe auch obenstehenden Kasten), um Frauen besser in die Lage zu versetzen, mit Belastungen umzugehen und sich vor einem Übermaß an Belastungen zu schützen.
Gesundheit hat bei Frauen viel mit Glück zu tun Die "Geschlechtsblindheit" der herkömmlichen medizinischen Forschung monierte auch Dr. Jutta Semler, Chefärztin des Immanuel-Krankenhauses in Berlin. In zahlreichen Studien habe belegt werden können, daß sich Krankheiten bei Frauen und Männern unterschiedlich entwickeln und daß sie verschieden auf Therapien reagieren. Im übrigen habe Gesundheit bei Frauen auch viel mit Glück und sozialer Absicherung zu tun, das heißt ein ganzheitlicher Ansatz mit seelischer Betreuung sei gefragt. Welch wichtige Rolle dieser gerade im Klimakterium spielt, unterstrich Dr. Gabriele Lindner-Wesel, Gynäkologin aus Sinzheim. Während das Älterwerden des Mannes mit dem zweiten Frühling verbunden werde, gehörten Frauen in den Wechseljahren bereits zum "alten Eisen", stellte sie bedauernd fest, und würden meistens mit ihren vielschichtigen Problemen allein gelassen. Besonders in der Menopause, in der seelische Faktoren eine so wichtige Rolle für die Gesundheit spielten, brauchten die Frauen viel Ermutigung, an sich zu arbeiten. Sie jedenfalls wünscht sich eine ebenbürtige, gut informierte Patientin, die selbstverständlich über Therapien und Maßnahmen zur Gesunderhaltung mitdiskutieren kann.
Frauen haben am meisten Angst vor Krebs Die Situation älterer Frauen wurde näher beleuchtet vom Irmgard Naß-Grigoleit, Vizepräsidentin der Womens Health Coalition e.V., Berlin. Frauen hätten in Deutschland derzeit eine Lebenserwartung von ca. 80 Jahren. Gerade im höheren Lebensalter gehe es ihnen jedoch meistens schlechter als gleichaltrigen Männern: mit 60 Jahren habe bereits jede fünfte Frau eine Osteoporose, mit achtzig nahezu drei Viertel. Frauen erlitten in der Regel zehn Jahre später als Männer einen Herzinfarkt, aber sie stürben doppelt so häufig am ersten Infarkt. 80% der Brustkrebserkrankungen träten jenseits der fünfzig auf. Naß-Grigoleit berichtete von den Ergebnissen einer repräsentativen Studie, durchgeführt im Mai 1997 von Infratest an 1038 Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren. 85% dieser Altersgruppe besuchten achtmal im Jahr ihren Hausarzt. Von den 65- bis 70jährigen gingen 90% regelmäßig zum Hausarzt, und zwar zehnmal im Jahr. Frauen mit einer qualifizierten Ausbildung übrigens nur halb so oft wie der Durchschnitt. Unter den Themen, die ältere Frauen mit dem Arzt ihres Vertrauens besprechen möchten, rangiere der allgemeine Gesundheitszustand mit 73% an erster Stelle, gefolgt von der Brustkrebsgefahr (51%), Osteoporose und der Gefahr, an Unterleibskrebs zu erkranken (beides 43%). Aus dieser Akzentuierung der Krebserkrankungen gehe bereits hervor, daß dies das gesundheitliche Risiko sei, das den Frauen am meisten Sorgen bereite, die Osteoporose dagegen mit 18% erheblich weniger. Offenbar mangele es hier noch an Risikobewußtsein, denn auch von den Frauen, die aus einem nichtigen Anlaß einen Knochenbruch erlitten hätten, bekämen nur 17% Medikamente gegen Osteoporose. Insgesamt nähmen zwei Drittel aller Frauen regelmäßig vom Arzt verordnete Medikamente ein, die Mehrzahl gegen Bluthochdruck, Herz- oder Koronarerkrankungen. Außerdem kauften 44% der befragten Frauen regelmäßig Präparate zur Förderung der Gesundheit und zur Vorbeugung von Beschwerden ein, wobei die Apotheke mit weitem Abstand der bevorzugte Einkaufsort sei. Im Hinblick auf die offenbar bestehende medikamentöse Überversorgung in manchen Bereichen gegenüber einer Unterversorgung auf anderen Gebieten, so meint Naß-Grigoleit, müßten die Risikogruppen, z.B. für Osteoporose, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, noch gezielter identifiziert werden.
Osteoporose: Früherkennung hilft immens Kosten sparen Auch Semler machte den Herzinfarkt und die Osteoporose als die zwei großen medizinischen Problemkreise in den Wechseljahren aus. In dieser Lebensphase bleibe der natürliche Schutz durch die Östrogene weg, wodurch sich das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, vervierfache. Von besonders großer volkswirtschaftlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Osteoporose sei der Oberschenkelhalsbruch. Die Gesamtkosten für einen Erkrankungsfall bezifferte Semler allein unter Berücksichtigung der stationären Behandlung einschließlich Operation, Rehabilitation und häuslicher Pflege im ersten Jahr auf 53000 DM. Würden alle für die Osteoporose relevanten Faktoren miteinbezogen, so lägen die jährlichen Kosten bei weit über 3 Mrd. DM. Dem stünden Kosten für die Früherkennung durch eine Knochendichte-Messung von ca. 30 DM und für die medikamentöse Behandlung einer Osteoporose von 300 bis 1500 DM pro Jahr gegenüber. Statt weiter an Maßnahmen zur Kostenreduktion in der Behandlung zu arbeiten, solle vielmehr die Erhaltung der Gesundheit im Vordergrund konzeptioneller Überlegungen stehen, forderte Semler.
Sexualerziehung von Mädchen muß verbessert werden Dr. Ute Otten, Leiterin des kinder- und jugendärztlichen Dienstes im Kreisgesundheitsamt Unna, ging besonders auf die Probleme junger Mädchen ein. Obwohl Mädchen in der Kleinkinder- und Vorschulzeit die bessere Ausgangspositionen hätten, beim Start in der Schule weniger Sprachentwicklungsverzögerungen, weniger Bewegungsstörungen und feinmotorische Defizite zeigten, gingen "starke Mädchen" oft als verschüchterte Jugendliche aus der Pubertät hervor. Sie wüßten oft zu wenig über ihren Körper und ihre Sexualität, zum Beispiel führten 14- bis 18jährige Mädchen nur selten einen Menstruationskalender, Schwangerschaftsverhütung werde ihnen auferlegt, ohne ihnen die Wahl des Verhütungsmittels zu überlassen. Immer noch zu häufig befänden sie sich in der Rolle der "Erfüllungsgehilfin" männlicher sexueller Bedürfnisse. Otten glaubt, daß bei der Wissensvermittlung in diesem sensiblen Bereich gerade die altersgerechte, adäquate Sprache eine zentrale Rolle spielt und plädiert daher für die Ausbildung von Jugendlichen als Peer-groups (Wissensvermittler) für Gleichaltrige.
Kinderlosigkeit nicht tabuisieren Auch der unerfüllte Kinderwunsch ist in vielen Fällen ein spezifisches Frauenproblem, wie Dr. Petra Schewe, Gynäkologin aus Oberschleißheim, deutlich machte. Während in der Frage der Kontrazeption in der Vergangenheit eine engagierte Aufklärungsarbeit geleistet worden sei, werde der umgekehrte Fall, die ungewollte Kinderlosigkeit, in der Gesellschaft immer noch weitgehend tabuisiert. Bleibe die ersehnte Schwangerschaft aus, so beginne die Zeit interner Schuldzuweisungen und Selbstvorwürfe, die oft mit einem Rückzug in die Isolation, nicht selten verbunden mit Depressionen ende. Dabei neigten meist die Frauen dazu, sich die Schuld für dieses "Versagen" zu geben, obwohl die Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit weltweit zu gleichen Teilen bei Frauen und Männern, in Deutschland sogar zu 65% bei den Männern lägen. Um diesen Leidensdruck zu mindern, fordert Schewe eine entschlossene Enttabuisierung des Themas, damit die Bagatellisierung nach außen aufhört und den Betroffenen in Krisensituationen eine bessere Unterstützung angeboten werden kann. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang die Vereinigung der Selbsthilfegruppen, die Wunschkind e.V. in Berlin (siehe Kasten). Wichtig sei vor allem, frühzeitig Hilfe einzufordern und nicht wie in der Praxis so häufig, jahrelang abzuwarten, bevor etwas unternommen wird. Derzeit seien in Deutschland schätzungsweise 20% aller Paare im fertilen Alter mit dem Problem der Kinderlosigkeit konfrontiert. Die zunehmende Verlagerung der Familiengründung in eine spätere, weniger fruchtbare Lebensphase begünstige diese Entwicklung. Aufgrund der Tabuisierung des Themas seien demnach 1,2 bis 1,6 Millionen Paare "zum Schweigen verurteilt", ein Zustand, der dringend beseitigt werden müsse, wie Schewe meint.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet umfangreiches Informationsmaterial an, zum Beispiel zu den Themenbereichen -Gesundheitserziehung im Säuglings-, Kleinkind- und Kindergartenalter, -Ernährungs- und Verbraucheraufklärung, -Suchtprävention, -Sexualaufklärung, -AIDS-Aufklärung. Die Broschüren können kostenlos angefordert werden bei der: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 51101 Köln, Internet: http://www.bzga.de
Wunschkind e.V. Verein der Selbsthilfegruppen für Fragen ungewollter Kinderlosigkeit Rungestraße 3-6 10179 Berlin Tel.: (030) 69040809 Fax: (030) 690400838
Dr. E. Pott über das Klimakterium
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