Arzneimittel und Therapie

Teratogenität: Arzneimittel in der Schwangerschaft

Bis zur Contergan-Katastrophe hatte man jahrzehntelang angenommen, daß die Plazenta das Ungeborene wie eine Barriere vor den Nebenwirkungen von Arzneimitteln schützt. Tatsächlich können jedoch fast alle Stoffe durch die "Plazentaschranke" hindurchtreten.

Praktisch kein Arzneimittelhersteller testet seine Produkte vor der Markteinführung an Schwangeren. Daher wird in der Gebrauchsinfomation schon aus rechtlichen Gründen generell von einer Anwendung in der Schwangerschaft abgeraten. Dies ist aus zwei Gründen problematisch:
- Viele Schwangerschaften (in den USA mindestens die Hälfte) sind ungeplant. Daher nehmen Hunderttausende von Frauen Arzneimittel ein, ohne zu wissen, daß sie schwanger sind. Viele fürchten später, daß die Medikamenteneinnahme zu Mißbildungen des Kindes geführt haben kann, und brechen aus diesem Grund die Schwangerschaft unnötigerweise ab.
- Das Durchschnittsalter der Schwangeren steigt. In diesem Alter bestehen häufig chronische Erkrankungen, die auch während der Schwangerschaft weiter behandelt werden müssen. Daher ist es wichtig, die Wirkungen von Arzneimitteln auf den Fetus zu kennen.

Warnung im Beipackzettel genügt nicht

Bei nachgewiesener Teratogenität reicht der Hinweis im Beipackzettel allein nicht aus. Das zeigten die Erfahrungen mit Isotretinoin in den frühen 80er Jahren in Nordamerika. Damals wurden viele Kinder mit Retinoid-Embryopathie geboren. Dies lag zum einen daran, daß viele Schwangerschaften ungeplant waren und Verhütungsmethoden versagten, zum anderen wohl auch daran, daß Analphabetinnen die Warnung nicht kannten. Seit 1989 wird umfassender auf das Risiko hingewiesen: zusätzlich mit dem Symbol eines mißgebildeten Kindes und mit einer Einverständniserklärung der Patientin, daß sie zwei wirksame Verhütungsmethoden benutzt.
Weitere Möglichkeiten, um ungeplante Schwangerschaften während einer teratogenen Behandlung zu verhindern, sind die Dreimonatsspritze Medroxyprogesteron, die in Südamerika Leprapatientinnen vor einer Thalidomid-Verschreibung bekommen, und Hormon-Implantate, die die Empfängnis bis zu fünf Jahre lang wirksam verhüten.

Drei Grundprinzipien

Drei Grundprinzipien sollten bei der Arzneimitteleinnahme in der Schwangerschaft eingehalten werden:
- Ältere Arzneistoffe sind neuen vorzuziehen. Neue Arzneistoffe haben zwar mitunter spezifischere Wirkungen und weniger Nebenwirkungen, aber über das fetale Risiko ist meist wenig bekannt.
- In der Schwangerschaft sollten wenn möglich die niedrigsten therapeutischen Dosen eingesetzt werden. Manche Frauen benötigen zum Ende der Schwangerschaft allerdings höhere Dosen mancher Arzneistoffe (z. B. Lithium, Digoxin, Phenytoin) aufgrund des gestiegenen Körpergewichts und der rascheren Clearance.
- Schwangere sollten möglichst keine frei verkäuflichen Arzneimittel einnehmen. Falls doch, müssen sie sich sorgfältig beraten lassen. Beispielsweise kann ein nichtsteroidales Antirheumatikum gegen Ende der Schwangerschaft den Ductus arteriosus des Fetus verengen oder verschließen.

Informationsdienste im Internet

Bei Teratogenitäts-Informationsdiensten kann man sich telefonisch oder per Internet zu Risiken beraten lassen. Zwei entsprechende Adressen im World Wide Web sind:
- http://www.motherisk.org für das Motherisk Program im kanadischen Toronto
- http://orpheus.ucsd.edu/ctis/ für die Organization of Teratology Information Services in den USA



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