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Arzneimittel und Therapie
Spongiforme Enzephalopathien: Hat der Rinderwahnsinn den Menschen erfaßt?
BSE und Scrapie In den 80er Jahren wurde bei britischen Rindern erstmals eine tödliche Erkrankung mit Vakuolenbildung im Gehirn festgestellt. Wegen des schwammartigen Aussehens der Hirnpräparate nannte man sie bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE). Wahrscheinlich ist die BSE-Epidemie durch eine Änderung im Herstellungsverfahren von Fleischmehlen ausgelöst worden. So konnte der Erreger vermutlich durch Schlachtabfälle infizierter Schafe, die zu Tierfutter verarbeitet wurden, auf Rinder übergehen. Bei Schafen ist eine spongiforme Enzephalopathie, die sog. Traberkrankheit (in England auch als Scrapie bezeichnet), bereits seit etwa 250 Jahren bekannt.
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung Beim Menschen kommen spongiforme Enzephalopathien selten vor. Die häufigste ist die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJD) mit einer Inzidenz von 1 auf 1 Million. CJD tritt sporadisch, das heißt ohne erkennbaren Grund, auf. Sie kann aber auch durch kontaminiertes menschliches Wachstumshormon oder Hirnhaut übertragen werden oder genetisch bedingt sein. Zehn Jahre nach Beginn der BSE-Epidemie wurden in Großbritannien die ersten Fälle einer bislang unbekannten Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung beim Menschen bekannt.
Sporadische und neue CJD
Die klassische sporadische Variante tritt typischerweise erst im Alter von 60 Jahren auf und führt innerhalb von durchschnittlich vier Monaten zum Tode. Zu den Frühsymptomen gehören Gedächtnisverlust und Verwirrtheit; bei einem Drittel der Patienten treten Verhaltensänderungen und Gangunsicherheit auf. Im weiteren Verlauf entwickeln sich rasch neurologische Symptome, insbesondere Schüttelkrämpfe (Myoklonien) oder choreoathetische (veitstanzartige oder langsame bizarre) Bewegungen, begleitet von typischen EEG-Anomalien. Bei der Autopsie fallen weit verbreitete schwammartige Veränderungen der Hirnstruktur auf, begleitet von einer abnormen Vermehrung von Gliazellen und einem Absterben von Nervenzellen. In Amyloidablagerungen im Gehirn lassen sich Prionen (proteinartige infektiöse Partikel, siehe auch Kasten ≥Prionenerkrankungen") nachweisen.
Die neue CJD-Variante (vCJD) schädigt ebenso wie die klassische sporadische das Gehirn und führt zum Tode. Fortschreitende Demenz, Ataxie (Störung des Ablaufs und der Koordination von Muskelbewegungen) und Myoklonien kennzeichnen beide Erkrankungen. Von ihren sonstigen klinischen und den histologischen Symptomen her unterscheiden sich die neuen Fälle jedoch erheblich von der klassischen sporadischen Form:
• Die neue Variante vCJD befällt junge Menschen mit einem Durchschnittsalter unter 30 Jahren.
• Sie verläuft langsamer und führt erst nach durchschnittlich etwa 14 Monaten zum Tode.
• Die häufigsten Frühsymptome sind psychischer Art (meist Depressionen, seltener Psychosen) und Empfindungsstörungen.
• Neurologische Störungen, vor allem Ataxie und unwillkürliche Bewegungen, treten erst spät auf. Kurz vor dem Tode verstummen die meisten Patienten wegen der Akinesie (Bewegungshemmung).
• Die für die sporadische CJD typischen periodischen Komplexe im EEG fehlen.
• Hirngewebeschnitte weisen Amyloidplaques auf, die blütenblattartig von Vakuolen umgeben sind (sog. floride Plaques). Charakteristisch ist außerdem die starke Anhäufung von Prionen im Kleinhirn.
Ist der BSE-Erreger im Spiel?
Handelt es sich bei der neuen CJD-Variante um eine auf den Menschen übertragene BSE? Folgende Beobachtungen und Untersuchungsergebnisse sprechen dafür:
• Der räumliche und zeitliche Zusammenhang zur BSE-Epidemie.
• Injiziert man Makaken (einer Affenart) BSE-infiziertes Hirngewebe, so entwickeln diese eine spongiforme Enzephalopathie mit den für die neue CJD-Variante typischen Blütenplaques.
• Die Amyloidplaques aus dem Hirngewebe von Patienten mit der neuen CJD-Variante ergeben in der Elektrophorese ein ähnliches Muster wie die Plaques von BSE-infizierten Tieren (Rindern, Mäusen, Katzen) und ein ganz anderes als die Plaques bei sporadischer CJD.
Zwei neue Studien liefern noch überzeugenderes Beweismaterial dafür, daß die neue CJD-Variante durch denselben Erreger verursacht ist wie BSE. Zwei britische Forschergruppen haben den Erregerstamm der neuen CJD-Variante durch Übertragung auf Mäusestämme näher charakterisiert und mit den Erregerstämmen der sporadischen CJD und der BSE verglichen. Während die Forschergruppe aus Edinburgh sich auf die Inkubationszeiten und die organisch-anatomischen Veränderungen im Gehirn der Mäuse konzentrierte, beschäftigte sich die Gruppe aus London insbesondere mit der Fragmentgröße und dem Verhältnis von doppelt, einfach oder gar nicht glykosylierten krankheitsspezifischen Prionen nach Behandlung mit einer Protease – dem sog. Glykoformprofil.
Die schottische Arbeitsgruppe verwendete vier verschiedene Mäusestämme. Sie injizierte den Tieren Hirnhomogenate von Patienten, die an der sporadischen CJD (n=6) oder der neuen Variante (n=3) verstorben waren. Daraufhin bestimmten sie die Zeit bis zum Ausbruch der Krankheit und beurteilten die Hirnschäden anhand der Vakuolenbildung in neun Hirnregionen. Dieses Läsionsprofil unterscheidet verläßlich zwischen verschiedenen Erregerstämmen übertragbarer spongiformer Enzephalopathien. In früheren Übertragungsversuchen hatten die Forscher bereits die Inkubationszeit und das Läsionsprofil von BSE bestimmt.
Aus den ersten Ergebnissen der Übertragungsversuche schließen die Forscher:
• Der Erregerstamm der neuen CJD-Variante ist bei allen drei Patienten derselbe.
• Die Eigenschaften des neuen Erregerstamms unterscheiden sich deutlich von denen anderer CJD-Stämme, sind dagegen mit denen von BSE (von Rindern oder experimentell infizierten anderen Tieren) identisch.
• Beim Mäusestamm RIII ist die Inkubationszeit der neuen CJD-Variante genauso wie die von BSE relativ kurz.
Die endgültigen Ergebnisse müssen allerdings noch abgewartet werden; bislang kam es erst bei zwei Mäusestämmen zum Krankheitsausbruch.
Die Londoner Arbeitsgruppe verglich ebenfalls die biologischen Eigenschaften der Prionenstämme durch Übertragung auf Mäuse. Sie verwendeten einerseits transgene Mäuse, die nur menschliches Prionprotein bilden (und daher wohl keine Speziesbarriere für menschliche Prionen haben), und nichttransgene Mäuse. In den meisten Kriterien stimmten die neue CJD-Variante und BSE überein: die Glykoformprofile waren nicht unterscheidbar; ein Teil der Mäuse wies das ungewöhnliche Symptom Rückwärtsgehen auf, und die Prionenablagerungsmuster glichen sich verblüffend. Von allen Formen der sporadischen oder erworbenen CJD unterschied sich die neue Variante dagegen erheblich.
Der Verdacht, daß die neue CJD-Variante eigentlich BSE-Fälle beim Menschen sind, erhärtet sich also weiter. Der Übertragungsweg ist zwar noch nicht bewiesen, doch ist die wahrscheinlichste Exposition der Verzehr infizierter Rinderprodukte.
Kommt die BSE-Epidemie?
Zur Zeit tritt die neue CJD-Variante nicht häufiger auf als in den vergangenen drei Jahren. Ob dennoch eine BSE-Epidemie beim Menschen bevorsteht, hängt unter anderem von folgenden Faktoren ab:
• der Inkubationszeit von BSE bei Übertragung auf den Menschen (je länger die Inkubationszeit, desto mehr Erkrankungsfälle wären noch zu erwarten),
• der Mindestdosis infektiösen Materials, die zur Ansteckung benötigt wird,
• einer möglicherweise bestehenden relativen Infektionsresistenz vieler Menschen: Alle Patienten mit der neuen CJD-Variante waren homozygot für Methionin in Position 129 des menschlichen Prionproteins. Menschen, die an dieser Stelle homozygot Valin oder heterozygot Methionin/Valin aufweisen (11 bzw. 51% der britischen Bevölkerung), könnten infektionsresistent sein, eine längere Inkubationsdauer haben oder andere Symptome entwickeln.
Literatur Almond, J., J. Pattison: Human BSE. Nature 389, 437 – 438 (1997). Brown, P.: The risk of bovine spongiform encephalopathy (,mad cow diseaseő) to human health. J. Am. Med. Assoc. 278, 1008–1011 (1997). Bruce, M. E., et al.: Transmissions to mice indicate that ,new variantő CJD ist caused by the BSE agent. Nature 389, 498–501 (1997). Hill, A. F., et al.: The same prion strain causes vCJD and BSE. Nature 389, 448–450 (1997). Zeidler, M., et al.: New variant Creutzfeldt-Jakob disease: neurological features and diagnostic tests. Lancet 350, 903–907 (1997). Zeidler, M., et al.: New variant Creutzfeldt-Jakob disease: psychiatric features. Lancet 350, 908–910.
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