Arzneimittel und Therapie

Zelltherapie - was ist das?

Menschliche Zellen sind sehr komplex aufgebaut. Daher dürften Arzneistoffe die Funktion lebender Zellen wohl kaum übernehmen können. Die Transplantation von Zellen ist dagegen eine vielversprechende Behandlungsstrategie für verschiedene Erkrankungen.


Mit einer Zelltherapie versucht man, geschädigte Gewebe oder Organe zu ersetzen, zu reparieren oder ihre biologische Funktion zu verbessern. Dies gelingt, wenn isolierte, charakterisierte Zellen in ausreichender Menge und Qualität ins Zielorgan transplantiert werden und dort lange genug überleben, um dessen Funktion wiederherzustellen.

Stammzellen


Die befruchtete Eizelle ist die einzige Zelle, aus der alle Zelltypen hervorgehen können. Diese Eigenschaft nennt man totipotent. Auch der Körper des Erwachsenen enthält noch Stammzellen, aus denen verschiedene Zelltypen entstehen können (pluripotent): die Blutstammzellen im Knochenmark. Sie bilden über oligopotente und monopotente Vorstufen alle Blutzelltypen.

Mechanismen der Erneuerung


Der erwachsene Körper kann Gewebe über zwei Mechanismen erneuern:

  • Durch Neubildung aus den Stammzellen. So werden Blutzellen produziert.
  • Durch eine Restfähigkeit ausdifferenzierter Zellen zur Zellvermehrung. Diese Fähigkeit ist bei Leber-, Skelettmuskel- und Endothelzellen erhalten geblieben. In der Nähe des Gewebeschadens werden Substanzen freigesetzt, die zur Zellteilung und damit zum lokal begrenzten Zellersatz führen.


Die meisten Arten von Gewebeverletzungen und -erkrankungen, die die Zellfunktion zerstören, überfordern allerdings die Fähigkeit des Körpers zur Selbsterneuerung.

Substanzproduktion


Zellimplantate können unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Im einfachsten Fall produzieren die Zellen lösliche Faktoren und setzen sie frei, damit diese lokal oder systemisch zur Wirkung kommen. Zelltyp und Lokalisation des Transplantats sind hierbei nicht streng festgelegt. Leicht zugängliche Zellen, wie Fibroblasten (Bildungszellen des faserigen Bindegewebes) oder Myoblasten (Bildungszellen der Muskelfasern), werden dem Patienten entnommen und in vitro vermehrt. Sie werden eventuell gentechnisch dahingehend verändert, daß sie die gewünschte Substanz produzieren ("Ex-vivo-Gentherapie"). Anschließend werden sie demselben Patienten implantiert. Erfolgreiche Experimente gibt es bereits mit der Inselzelltransplantation in die Bauchspeicheldrüse, der Transplantation von Faktor-IX-produzierenden Zellen in Muskel oder Haut und der Transplantation von Zellen, die Nervenwachstumsfaktoren bilden, ins ZNS.

Komplexe physiologische Aufgaben


Schwieriger wird es, wenn die transplantierten Zellen komplexe physiologische Aufgaben übernehmen sollen. Dann entscheiden Zelltyp und Lokalisation mit über den Transplantationserfolg. Nachfolgend einige Beispiele: Patienten mit der Duchenne-Muskeldystrophie bekamen normale Myoblasten transplantiert. Patienten mit altersabhängiger Makuladegeneration erhielten Netzhaut-Pigmentepithel unter die Makula eingesetzt. Fetales Rückenmarkgewebe wurde bei Patienten mit Rückenmarkverletzungen in eine chronische Zyste implantiert. Bei Parkinson-Patienten blieb die Transplantation körpereigener chromaffiner Zellen aus der Nebenniere erfolglos. Dagegen zeigte die Verpflanzung fetalen Hirngewebes bei einigen Patienten Erfolge. Hier wird es in Zukunft darauf ankommen, die Zahl der überlebenden Dopamin-Nervenzellen durch neue Techniken zu erhöhen. Beispielsweise könnten Nervenwachstumsfaktoren das Ergebnis verbessern. Auch könnten Nervenzellen gentechnisch so verändert werden, daß sie Dopamin oder Dopamin-Vorstufen produzieren.

Gewebeersatz


Die schwierigste Aufgabe für ein Transplantat ist es, ein geschädigtes Gewebe zu reparieren oder zu ersetzen. Dies wird bei der Blutstammzelltransplantation sowie bei der Hautrekonstruktion versucht.

Blutstammzellen


Die am weitesten entwickelte Anwendung der Zelltherapie ist die Transplantation von Blutstammzellen. Die Zellen stammen aus dem Knochenmark, dem peripheren Blut oder neuerdings auch aus dem Nabelschnurblut. Man unterscheidet die autologe und die allogene Transplantation. Während bei der autologen Transplantation dem Patienten selbst Blutstammzellen entnommen und später wieder infundiert werden, stammen die Zellen bei der allogenen Transplantation von einem verwandten oder fremden Spender.
Die Blutstammzelltransplantation kommt für ausgewählte Patienten mit bösartigen Geschwulsten des blutbildenden Systems sowie für bestimmte Patienten mit soliden Tumoren in Frage. Die Patienten bekommen die Blutstammzellen direkt nach einer knochenmarktoxischen hochdosierten Bestrahlung oder Chemotherapie infundiert. Die Zeit bis zum Wiederaufbau des blutbildenden Systems hängt von der Reinheit der infundierten Stammzellen ab.
Die Gewinnung und Manipulation von Blutstammzellen haben sich in den letzten zehn Jahren beträchtlich weiterentwickelt. Wachstumsfaktoren haben die Gewinnung aus dem peripheren Blut ermöglicht. Krebszellen können heute besser aus der Zellmischung entfernt werden, die Blutstammzellen können in Subpopulationen aufgetrennt werden und die Zellen können ex vivo vermehrt werden.

Welche Zellen transplantieren?


Transplantiert man körpereigene Zellen, so sind keine Abstoßungsreaktionen zu befürchten. Allerdings können oft im vorgegebenen Zeitraum nicht genügend körpereigene Zellen gesammelt oder vermehrt werden. Dann müssen andere Quellen genutzt werden: Zellen menschlicher Spender bei der allogenen Transplantation, Tierzellen bei der xenogenen Transplantation oder aber Zell-Linien.
Die autologe Transplantation gelang beispielsweise für Knorpelzellen aus dem Knie, die in Zellkultur vermehrt wurden. Zusammen mit einem Stück Knochenhaut wurden sie in ein Gelenk mit Knorpelschäden implantiert und führten hier zur dauerhaften Knorpelneubildung.
Keratinozyten (Keratin bildende Zellen der Haut) waren die ersten autologen Zellen, die klinisch erfolgreich transplantiert wurden, und zwar an Verbrennungspatienten. Allerdings sind bei dieser Indikation allogene Transplantationen heute überlegen.
Im Rahmen der tumorspezifischen Immuntherapie können Tumorzellen autolog transplantiert werden. Die entnommenen Tumorzellen verändert man, indem man z.B. mit Zytokinen die Bildung tumorassoziierter Antigene auf der Zelloberfläche fördert oder indem man fremde Peptide oder Zytokine durch Gentransfer einschleust. So verstärkt man die körpereigene Immunabwehr gegen die Tumorzellen. Ob eine derart maßgeschneiderte tumorspezifische Immuntherapie allerdings praktikabel und kosteneffektiv ist, bleibt zu klären.
Die allogene Transplantation ist immer mit der Gefahr von Abstoßungsreaktionen verbunden. Manche Zelltypen führen allerdings zu besonders wenig Abstoßungsreaktionen, darunter Myoblasten und Fibroblasten, andere, wie Leukozyten und Endothelzellen, sind für Abstoßungsreaktionen geradezu prädestiniert.
Die xenogene Transplantation von Tierzellen kann zusätzlich zu hyperakuten Abstoßungsreaktionen führen. Außerdem besteht die Gefahr, daß neue Viren vom Tier auf den Menschen übertragen werden.
Zell-Linien aus unbegrenzt teilungsfähigen oder tumorerzeugenden Zellen produzieren beliebige Mengen gleichartiger Zellen. Sie verlieren jedoch oft die Fähigkeit zur vollständigen Ausdifferenzierung. Außerdem werden sie nach der Transplantation möglicherweise zu Krebszellen. Das Risiko von Abstoßungsreaktionen besteht auch für Transplantate aus Zell-Linien.

Strategien gegen die Abstoßung


Die größte Gefahr bei der Transplantation körperfremder Zellen besteht in der Zerstörung des Transplantats durch das Immunsystem des Empfängers. Nicht alle Transplantate sind gleichermaßen gefährdet: Für die Abstoßungsreaktionen spielen Zelltyp, Transplantationsort (geringe Gefahr im ZNS) und Größe der Verletzung an der Implantationsstelle eine Rolle.
Eine spezifische Immunsuppression, die das Transplantat schützt, ohne die Immunabwehr des Wirts zu gefährden, gibt es noch nicht. Konventionelle Immunsuppressiva sind Steroide, Ciclosporin und Azathioprin. Anti-Lymphozyten-Serum und monoklonale Antikörper werden geprüft. Immunophiline, die neurotrophe und immunsuppressive Eigenschaften vereinigen, kommen möglicherweise für Nervenzelltransplantationen in Frage.
Eine vielversprechende neue Strategie ist es, durch Übertragung von Blutstammzellen zusammen mit der eigentlichen Transplantation beim Empfänger eine spenderspezifische Toleranz aufzubauen.
Erfolgreiche Experimente gibt es auch für die Immunisolation durch Verkapselung des Transplantats in eine semipermeable Membran. Literatur
Gage, F. H.: Cell therapy. Nature 392, 18-24 (1998)
Susanne Wasielewski, Münster

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.