Arzneimittel und Therapie

Orale GP-IIb/IIIa-Antagonisten

Die Medizin bewegt sich bei der Behandlung der koronaren Herzkrankheit über Acetylsalicylsäure hinaus auf eine neue Ära der oralen Blutgerinnungshemmung zu. Orale-GP(Glykoprotein)-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten werden bei der chronischen Behandlung von Myokardinfarkt und instabiler Angina pectoris in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Entwicklung dieser neuen Wirkstoffe kam durch Beobachtungen über die wichtige Rolle der Blutplättchen bei der Verursachung eines akuten Koronarsyndroms bei instabiler Angina pectoris oder beim akuten myokardialen Infarkt in Gang.


Acetylsalicylsäure hemmt die Bildung von Thromboxan A2 (TXA2), einem Derivat der Arachidonsäure, welches Blutplättchen aktivieren und somit zur Thrombusbildung führen kann. Neben TXA2 gibt es jedoch mehrere andere Thrombozytenaktivierer, unter anderem ADP, Adrenalin, Kollagen und Thrombin. Einige davon werden durch andere Arzneimittel beeinflußt, z.B. durch Ticlopidin und Clopidogrel, welche die durch ADP ausgelöste Thrombozytenaktivierung hemmen.
Als zusätzliche Strategie könnte man mit der Thrombozytenfunktion im Stadium der Aggregation interferieren, um so im gesamten Blutsystem eine -Thrombozyten-Blockade herbeizuführen.
Eine Vielzahl von Verbindungen sind in der Entwicklung, die den Thrombozyten-GP-IIb/IIIa-Rezeptor (der letzte gemeinsame Weg für die Thrombozytenaggregation) blockieren. GP-IIb/IIIa-Rezeptoren sind auf den Thrombozytenoberflächen in großer Zahl vorhanden (ca. 50000 pro Thrombozyt) und werden als Reaktion auf ein Gefäßtrauma aktiviert. Sie binden lösliches Fibrinogen, um Brücken zwischen den einzelnen Thrombozyten zu bilden, was letztlich zur Bildung eines Thrombus führt. Der erste Hemmstoff des GP-IIb/IIIa-Rezeptors war der intravenös zu verabreichende, monoklonale Antikörper Abciximab. Die drei heute am weitesten entwickelten oralen Präparate sind Xemilofiban, Orbofiban und Sibrafiban.

Langfristiger präventiver Gebrauch als Ziel


Heute werden intravenöse und Bolus-Infusionen von GP-IIb/IIIa-Antagonisten eingesetzt, um das Komplikationsrisiko bei invasiven Maßnahmen, wie der perkutanen, transluminalen koronaren Angioplastie (PTCA), zu reduzieren. Dabei hemmen die GP-IIb/IIIa-Antagonisten bis zu 90% der Thrombozytenaggregation für etwa acht bis zehn Stunden.
Die intravenösen GP-IIb/IIIa-Antagonisten können die Ergebnisse von derartigen interventionellen Verfahren verbessern. Viele der früheren Bedenken über die Häufigkeit von Blutungskomplikationen haben sich nicht bestätigt.
Darüber hinaus gibt es Beweise dafür, daß eine auf GP-IIb/IIIa zielende Therapie ischämische Rückfälle vermeiden hilft. Die Vorteile wirken sich über einen Zeitraum von drei Jahren aus. Eine sechsmonatige Verlaufsstudie zeigte bei einem Vergleich von Patienten, die sowohl eine Bolus- als auch eine zwölfstündige GP-IIb/IIIa-Antagonisten-Infusion erhalten hatten, daß die Anzahl ischämischer Vorfälle um mehr als 25% verringert wurde. Die Ergebnisse einer dreijährigen Verlaufsstudie, die letztes Jahr veröffentlicht wurden, zeigten, daß die vorteilhafte Wirkung über diesen Zeitraum hinweg nachweisbar geblieben ist. Eine kürzlich durchgeführte Meta-Analyse klinischer Studien schloß sich diesen Schlußfolgerungen an und unterstrich die Sicherheit der GP-IIb/IIIa-Antagonisten.
Eine langfristige Suppression der Thrombozytenaktivität - obwohl nicht ganz risikolos - könnte für Patienten mit hohem Risikofaktor eine sinnvolle Behandlungsmaßnahme darstellen.

Die Vorteile oraler Präparate


Orale Darreichungsformen werden dazu beitragen, die Gabe von GP-IIb/IIIa-Antagonisten einfacher und kostengünstiger zu machen. Darüber hinaus ist die orale Applikation Voraussetzung, um die Vorteile einer Thrombozytenblockade über einen längeren Zeitraum und zur sekundären Prävention zu nutzen.
Der Thrombozytenaktivierungsprozeß ist nicht unbedingt das Nebenprodukt eines akuten koronaren Vorfalls oder ähnlicher Phänomene, sondern eher ein chronischer Zustand, welcher einem akuten koronaren Syndrom vorausgeht (z.B. akuter oder rekurrierender myokardialer Infarkt oder instabile Angina) und letztlich zu einem solchen beiträgt.
Orbofiban ist ein vielversprechender Wirkstoff für eine langfristige GP-IIb/IIIa-Inhibition. Die Substanz scheint einen gleichbleibenden aggregationshemmenden Effekt zu bewirken, und Perioden niedriger Wirkstoffkonzentrationen werden vermieden. Zusätzlich treten keine hohen Spitzenwirkstoffkonzentrationen auf, was dazu beiträgt, daß diese Präparate wesentlich weniger Blutungen hervorrufen als ältere Wirkstoffe.
Eine langfristige Hemmung der Thrombozytenfunktion stellt gewisse Risiken dar. Diese schließen neben kleineren Blutungen auch die Möglichkeit einer größeren Blutung aufgrund einer tiefgreifenden Störung der Gerinnungskaskade ein, was Komplikationen während eines Traumas oder einer Notoperation hervorrufen könnte. In seltenen Fällen könnte es bei empfindlichen Patienten zum Auftreten von Thrombozytopenien kommen. Das Risiko des Auftretens einer Thrombozytopenie liegt bei etwa 15 Fällen bei 10000 behandelten Personen und scheint reversibel zu sein.
Bei der Behandlung von Blutungskomplikationen durch orale GP-IIb/IIIa-Antagonisten ist es wichtig, anders als bei intravenösen GP-IIb/IIIa-Hemmern vorzugehen. Während Abciximab nur diejenigen Thrombozyten beeinträchtigt, die sich zur Zeit seiner Verabreichung im Blutkreislauf befanden, und nicht frisch infundierte Thrombozyten, haben orale Wirkstoffe eine systemische Wirkung, die deshalb nur durch eine Hämodialyse schneller aufgehoben werden kann.

Studien der PhaseIII haben begonnen


Aufwendige Phase-III-Versuchsreihen, die der Bewertung der Effektivität von oralen GP-IIb/IIIa-Antagonisten dienen, sind angelaufen. Darin soll der Wert bei der Verminderung der Mortalität und bei der Vermeidung von Komplikationen, einschließlich der Notwendigkeit zusätzlicher kostenaufwendigerer Interventionen wie der Revaskularisierung und Bypass-Eingriffen, untersucht werden. Die Versuchsreihen umfassen:

  • EXCITE (-Evaluation of Oral Xemilofiban in Controlling Thrombotic Events), einen plazebokontrollierten Blindversuch, an dem 7200 Patienten an 450 Prüfzentren in 17 Ländern teilnehmen. Die Studie soll die Wirksamkeit von Xemilofiban in Verbindung mit Acetylsalicylsäure hinsichtlich der Reduktion von Komplikationen während perkutaner, koronarer Angioplastien und der Verhinderung rekurrierender Vorfälle über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten untersuchen und diese mit derjenigen von Acetylsalicylsäure alleine vergleichen.
  • OPUS (-Orbofiban in Patients with Unstable Coronary Syndromes), auch TIMI16 genannt. Diese Studie soll 12000 Patienten an 900 Studienzentren in 28 Ländern einbeziehen. Sie soll die Effektivität von Orbofiban in Verbindung mit Acetylsalicylsäure als langfristige Maßnahme zur Verhinderung von rekurrierenden Vorfällen (Tod, Myokardinfarkt, notfallmäßige Revaskularisierung oder ischämischer Schlaganfall) bei Patienten mit einem akuten koronaren Syndrom mit hohem Risikofaktor untersuchen und sie mit derjenigen von Acetylsalicylsäure alleine vergleichen. Die primären Endergebnisse sollen Todesrate, späteres Eintreten von Myokardinfarkt, dringende Revaskularisierung oder ischämische Schlaganfälle mit einschließen. Die durchschnittliche Behandlungsdauer wird auf ein Jahr veranschlagt.
  • SYMPHONY (-Sibrafiban vs. Acetylsalicylacid to Yield Maximum Protection from Ischemic Heart Events Post Acute Coronary Snydromes) ist ein doppeltblinder, Acetylsalicylsäure-kontrollierter Versuch, bei dem 6000 Patienten in 40 Ländern teilnehmen sollen. Darin wird die Wirksamkeit von Sibrafiban gegenüber Acetylsalicylsäure bei der Sekundärprävention untersucht. Die durchschnittliche Behandlungsdauer wird auf 90 Tage geschätzt. Ergebnisse werden nach sechs und zwölf Monaten aufgezeichnet.

Vorläufige Ergebnisse im nächsten Jahr


Bei einem langfristigen Einsatz von oralen GP-IIb/IIIa-Antagonisten als Behandlungsmethode bei Patienten mit schwerem, chronischem Koronararterienleiden muß eine standardisierte Methodologie entwickelt werden, um die Wirksamkeit der Thrombozytenblockade zu bewerten, entweder über das Messen der Blutungszeit, über die Thrombozytenaggregation, über Gerinselretraktion mit Hilfe von Thromboelastographie, über Radioimmunotests oder über Strömungszytometrie.
Der Preis für eine periprozedurale intravenöse Gabe (Bolus- plus Zwölf-Stunden-Infusion von Abciximab) beläuft sich für einen durchschnittlichen Patienten auf ungefähr 1350 US-Dollar. Orale Präparate werden weniger kosten, müssen dafür aber über einen längeren Zeitraum verabreicht werden. Quelle
Symposien auf den 47.jährlichen wissenschaftlichen Sitzungen des amerikanischen College für Kardiologie, Atlanta/USA, 28.März 1998.heu

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