Klinische Pharmazie

Onkologische Pharmazie

Krebs ist die zweithäufigste Todesursache, und Krebserkrankungen sind mit einer hohen Morbidität verknüpft. Derzeit bildet die antineoplastische Chemotherapie neben Chirurgie und Strahlentherapie die bedeutendste Behandlungsform. Immuntherapie und Gentherapie sind Gegenstand der aktuellen Forschung. Die antineoplastische Chemotherapie ist gekennzeichnet durch eine geringe therapeutische Breite mit komplizierten Formulierungen und Applikationstechniken. Die Onkologische Pharmazie, als Spezialdisziplin der Klinischen Pharmazie für den onkologischen Patienten, ist als kooperative Tätigkeit zu verstehen, um eine sichere, angemessene und kosteneffektive antineoplastische Chemotherapie und Supportivtherapie des Patienten zu bewirken. In der Kooperation ist der Apotheker der Spezialist für die Arzneimittelanwendung. Er erbringt die onkologisch-pharmazeutischen Inhalte in direkter Interaktion mit dem Patienten und den anderen Mitgliedern des therapeutischen Teams und trägt Sorge für alle mit der Arzneimitteltherapie in Zusammenhang stehenden Bedürfnisse des Patienten.

Herausgeber der DAZ-Serie Klinische Pharmazie sind Ulrich Jaehde, Berlin Roland Radziwill, Fulda Stefan Mühlebach, Aarau Walter Schunack, Berlin

Antineoplastische Chemotherapie


Die Durchführung der Chemotherapie erfolgt nach sogenannten Chemotherapieprotokollen oder Therapieschemata. Darin sind die Zytostatikagaben nach Art, Dosierung, Applikationsform und zeitlicher Reihenfolge festgelegt, wie in Tabelle 1 beispielsweise für die Therapie des Mammakarzinoms dargestellt. Die Zytostatika werden mit ihren chemischen Kurzbezeichnungen (INN) angegeben. Zur Charakterisierung werden die Therapieschemata mit den Autorennamen (hier: -Bonadonna i.v.-Schema) oder mit Akronymen belegt. Die Akronyme entwickeln sich aus Abkürzungen für die eingesetzten Zytostatika (hier: CMF - C für Cyclophosphamid, M für Methotrexat, F für Fluorouracil). Üblicherweise wird die Therapie nach
bewährten Standardprotokollen oder im Rahmen von Studienprotokollen durchgeführt. Etablierte Chemotherapieprotokolle können onkologischen Standardwerken oder der Originalliteratur entnommen werden. Die Therapie von malignen Tumoren im Kindesalter erfolgt fast ausnahmslos in nationalen Studienprotokollen.
Dosierung von Zytostatika
Die einzelnen Zytostatika sollen in möglichst hoher und damit effektiver Dosis gegeben werden, die allerdings durch die Toxizität limitiert wird. Die Dosierung der Zytostatika erfolgt in der Regel nach Körperoberfläche (KOF), die aus dem aktuellen Körpergewicht (KG) [kg] und der Körpergröße [cm] nach einer empirischen Formel errechnet wird. Dabei hat sich die Formel nach Du Bois in der Praxis durchgesetzt. Aus der im Therapieprotokoll festgelegten Dosierung pro m2 und der patientenindividuellen KOF berechnet sich die individuelle Dosis. Die Körperoberflächenregel ist im ersten Lebensjahr nicht anwendbar. In vielen pädiatrischen Protokollen wird daher für Kinder unter 1 Jahr der kg-bezogenen Dosierung Vorrang gegeben. Die im Protokoll angegebene Dosierung pro m2 wird dabei für ein Kind von 30kg angenommen.
Generelle Dosisanpassungen aufgrund hohen Alters sind nicht angezeigt. Dosisanpassungen bei übergewichtigen Patienten werden nur in extremen Fällen vorgenommen, wie bei Hochdosistherapien und/oder Patienten mit mehr als 25% Übergewicht bezogen auf das Idealgewicht. Patientenindividuelle Dosismodifikationen können aufgrund von Nieren- oder Leberinsuffizienz erforderlich sein, wenn die Zytostatika bevorzugt über eines dieser Organe eliminiert werden. Die Dosisreduktionen bei eingeschränkter Niereninsuffizienz orientieren sich an der Kreatininclearance. Die Dosierungsrichtlinien bei Leberinsuffizienz orientieren sich primär an den Serumbilirubin- bzw. Serum-Glutamat-Oxalacetat-Transaminase-Werten. Insbesondere wenn die Leberfunktionsstörungen tumorbedingt sind, muß für die Dosisreduktionen eine kritische Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden.
Therapiemonitoring in der zentralen Zytostatikaherstellung
In Fortentwicklung der klinisch-pharmazeutischen Dienstleistung muß die Zytostatikaherstellung mit der Zielsetzung der umfassenden pharmazeutischen Versorgung des onkologischen Patienten erbracht werden. Dabei übernimmt der Apotheker Mitverantwortung für die optimale Arzneimitteltherapie des Patienten. Im Ergebnis soll eine Verbesserung der Heilungsraten oder der Lebensqualität des Patienten resultieren.
Für die Zytostatikaherstellung bedeutet dies ein konsequentes Monitoring der Chemotherapieanforderungen. Das Erkennen von Irrtümern erfordert onkologische Fachkenntnisse des verantwortlichen Apothekers und ausreichende Informationen über den Patienten und die Therapie zum Zeitpunkt der Anforderung in der Apotheke. Die
Anordnung einer Zytostatikatherapie durch den Arzt hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Bei zentraler Zytostatikazubereitung in der Krankenhausapotheke ist gemäß Apothekenbetriebsordnung die Abgabe nur gegen eine schriftliche Anforderung mit Arztunterschrift möglich. Die Anforderung soll so konzipiert sein, daß Irrtümer bei Interpretation und Ausführung der Verordnung ausgeschlossen sind. Dazu bietet sich ein patientenbezogenes, normiertes Anforderungsformular an. Die Verwendung eines speziellen Formulars für Zytostatikaanforderungen reduziert nachgewiesenermaßen die Verordnungsirrtümer. Die Anforderung sollte obligatorisch beinhalten:

  • Patientennamen (Vor- und Nachnamen) und Geburtsdatum,
  • Körpergewicht, Körpergröße,


Körperoberfläche,

  • Name des Therapieschemas,
  • Applikationsdaten (und Therapietage des Protokolls),
  • Zytostatika mit INN (keine Abkürzungen),
  • Dosierung der Zytostatika [mg/m2] pro Applikation,
  • Dosis [mg] errechnet aus Dosierung und patientenindividueller KOF pro Applikation,
  • Applikationsart (Injektion, Dauer-injektion, Kurzinfusion, Infusion,


Dauerinfusion).
Ein umfassendes Therapie-Monitoring erfordert zusätzliche Informationen über den Zustand des Patienten (Blutbild, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz). Die Angabe wichtiger Laborparameter des Patienten, wie z.B. Leukozytenzahl, Thrombozytenzahl, Serum-Kreatinin, Kreatininclearance, Serum-Bilirubin, ist daher wünschenswert. Der Arzt sollte Dosismodifikationen inklusive Begründung in der Anforderung dokumentieren. Verordnungsirrtümer zu erkennen und zu minimieren ist Ziel des Therapie-Monitorings. Art und Inhalt des Monitorings von Chemotherapien am Universitätsklinikum Mainz sind in Abbildung 1 dargestellt.

Supportivtherapie


Hydratation/Alkalisierung/
Elektrolyte
Eine intensive Hydratation (-Bewässerung) der Patienten vor, während und nach der Chemotherapie ist fast immer hilfreich. Sie dient dem Schutz der Nieren und ableitenden Harnwege. Einige Zytostatika, wie Cisplatin, Ifosfamid, Methotrexat, Nitrosoharnstoffe und Vincristin, wirken direkt nephrotoxisch, doch kann über die Freisetzung von Harnsäure letztlich jede Chemotherapie nephrotoxisch wirken. Zur Hydratation werden üblicherweise 2 bis 3 Liter Flüssigkeit (0,9% NaCl, 5% Glucose im Verhältnis 1:1) intravenös appliziert. Zur Senkung der außerordentlichen Nephrotoxizität von Cisplatin und Hochdosis-Methotrexat (>

1500 mg/m2) wird eine Hyperhydratation und forcierte Diurese durchgeführt. Die Menge an Hydratationslösung beträgt 2 bis 3 l/m2/d; dabei soll ein Urinfluß von mindestens 100 ml/h (bis 200 ml/h) erreicht werden. Ifosfamid und in hohen Dosen Cyclophosphamid bewirken über ihre Metaboliten, insbesondere Acrolein, eine hämorrhagische Urothelschädigung, die unterschiedlicher Ausprägung sein kann. Zur Prophylaxe sind eine ausreichende Hydratation (Urinproduktion mindestens 2 l pro Tag) kombiniert mit Mesna-Gabe indiziert. In Abhängigkeit von Dosis und Applikationsdauer des Ifosfamid/Cyclophosphamid sind unterschiedliche Schemata zur Mesnaapplikation etabliert.
Die Nephrotoxizität von Harnsäure und Methotrexat (Dosierung >1500 mg/m2) beruht auf Auskristallisation und Schädigung des Tubulussystems. Bei saurem Urin-pH-Wert im Tubulussystem besteht bei Exkretion großer Mengen dieser schwachen Säuren die Gefahr der Überschreitung der Löslichkeit. Zur Erhöhung der Löslichkeit bietet sich neben der Volumenvermehrung des Urins durch Hydratation eine Gleichgewichtsverschiebung zu den ionisierten Formen durch Alkalisierung des Urins an. Der Urin-pH-Wert wird dazu auf 7 bis 8 eingestellt und bei jedem Urinlassen mit pH-Papier kontrolliert. Die Einstellung erfolgt durch intravenöse Gabe von Natriumhydrogencarbonat, das als Konzentrat (1 mmol pro ml) der Hydratationslösung zugesetzt wird (z.B. 20 mmol pro 500 ml Infusionslösung). Eine mögliche Komplikation ist die metabolische Alkalose und damit assoziierte Hypokaliämie. Um eine Flüssigkeitsüberladung zu vermeiden, sind Ein- und Ausfuhr zu bilanzieren. Darüber hinaus sind Inkompatibilitäten bei der Parallelinfusion mit Zytostatika (z.B. Carmustin, Cisplatin, Doxorubicin-HCl) oder anderen Arzneimitteln (Morphinsulfat, Vancomycin-HCl) zu beachten.
Therapieassoziierte Elekrolytdefizite, wie Hypomagnesiämie (u.a. Cisplatin-bedingt) und Hypokaliämie (u.a. Hydratations-bedingt) sind präventiv zu supplementieren.
Antiemetische Therapie
Übelkeit (Nausea) und Erbrechen, von den meisten Patienten als unangenehmste Nebenwirkungen der antineoplastischen Chemotherapie empfunden, diskreditierten vor der Einführung der 5-HT3-Antagonisten die Chemotherapie. Heute lassen sich die akute zytostatikainduzierte Übelkeit und Erbrechen mit 5-HT3-Antagonisten (Dolasetron, Granisetron, Ondansetron, Tropisetron) in Kombination mit Dexamethason gut kontrollieren. Perorale und parenterale Gabe sind von gleicher Effektivität. Die p.o. Applikation soll 1 Stunde, die i.v. Applikation 30 Minuten vor der Chemotherapie erfolgen. In der Regel ist die einmal tägliche Gabe ausreichend. Die Auswahlkriterien für den 5-HT3-Antagonisten sollten die Verfügbarkeit der p.o. und i.v. Form, Dosierung und Applikationshäufigkeit, die Notwendigkeit der Dosismodifikation bei hepatischer oder renaler Insuffizienz sowie die Kosten beinhalten. Inbesondere bei antizipatorischem Erbrechen und Hochdosischemotherapien hat sich das ebenfalls synergistisch wirksame Lorazepam (1- bis 4mal 1-2 mg/d) bewährt. Für das verzögerte Erbrechen gilt Dexamethason (8-16 mg/d) in Kombination mit Metoclopramid (bis 0,5 mg/kg alle 6 h) zur Zeit als Therapie der Wahl.
Infektionsprophylaxe
Die Infektionsprophylaxe des immunkompromittierten Patienten orientiert sich an der Art der Immundefizienz, doch können vom Grundsatz her vier Ansätze unterschieden werden:

  • Verbesserung der patienteneigenen Immunabwehr mit hämatopoetischen Wachstumsfaktoren,
  • Expositionsprophylaxe durch


hygienische Maßnahmen,
JReduktion der mikrobiellen
Kolonisierung durch prophylaktische Antibiotika- und Antimykotikagabe
sowie
JSchutz der normalen anatomischen Barrieren.
Um letztere zu wahren, soll jede Schädigung der Haut- und Schleimhautbarierren, z. B. durch invasive Maßnahmen oder eine Mukositis, vermieden werden. Während der Chemotherapie ist daher eine korrekte und konsequente Mundhygiene wichtig.
Für die regelmäßig erforderlichen Mundspülungen werden in der Literatur die unterschiedlichsten Spüllösungen angegeben. Eine Beschränkung auf reinigendes 0,9% NaCl oder 3% H2O2 (nicht während der Granulationsphase), unspezifisch entzündungshemmende Kamillenextrakte sowie antiseptisch wirksames Chlorhexidindigluconat oder Polyvidon-Iod scheint geboten. Als effektive Stomatitisprophylaxe während einer Fluorouracil-Bolusinjektion hat sich das Lutschen von Eis über 30 Minuten erwiesen. Mikroverletzungen der Mundschleimhaut durch scharfe, heiße oder harte Nahrungsmittel sollen möglichst vermieden werden. Mangelndem Speichelfluß kann durch Substitution mit künstlichem Speichel oder Stimulation mit zuckerfreiem Kaugummi begegnet werden.
Zur Therapie der Stomatitis sind intensivierte Mundspülungen, Lokalanästhetika, systemische Schmerztherapie, Antibiotika und/oder hochkalorische Trinklösungen bzw. parenterale Ernährung indiziert. Für die lokale Therapie der Soorstomatitis sind Amphotericin-B-Lutschtabletten wegen ihrer längeren Verweildauer Suspensionen von Amphotericin B und Nystatin vorzuziehen. Die lokale Aciclovir-Therapie von Herpes-simplex-Infektionen ist wenig hilfreich.
Weitere wichtige Themengebiete der Supportivtherapie sind die Schmerztherapie der Tumorpatienten, gastrointestinale Störungen, enterale und
parenterale Ernährungstherapien, spezielle Begleittherapien zur Organprotektion sowie die Behandlung von Gerinnungs- und Thrombosekomplikationen. Anschrift der Verfasserin: Dr. Irene Krämer Direktorin der Apotheke des Klinikums der Johannes-Gutenberg-Universität, Langenbeckstraße 1, 55101 Mainz

Formen der Chemotherpie


Neoadjuvante Therapie: Chemotherapie, die vor einer Operation oder Bestrahlung gegeben wird.
Induktionstherapie: Hochdosierte Chemotherapie zur Erzielung einer kompletten Remission, beispielsweise bei Leukämien und Lymphomen.
Konsolidierungstherapie: Wiederholung einer Induktionschemotherapie nach Erreichen der kompletten Remission.
Erhaltungstherapie: Niedrigdosierte Chemotherapie über einen langen Zeitraum bei bestehender kompletter Remission.
Hochdosistherapie: Dosiseskalierte, myeloablative Chemotherapie. Diese Therapie ist so knochenmarktoxisch, daß ohne Ersatz der Blutstammzellen die hämatopoetische Regeneration unwahrscheinlich ist oder erst nach mehreren Monaten zu erwarten wäre. Im Anschluß an diese Therapie müssen autologe oder allogene Blutstammzellen aus Knochenmark oder Blut transfundiert werden (Knochenmarktransplantation = KMT, Periphere Blutstammzelltransplantation = PBSCT).
Mobilisierungstherapie: Tumorspezifische Chemotherapie in Kombination mit Zytokinen zur Stimulation der Hämatopoese. Die mobilisierten Blutstammzellen sind durch die Expression des CD 34-Antigens (immunologischer Stammzellmarker) charakterisiert und können durch Zellseparation aus dem Blut gewonnen werden.
Konditionierungstherapie: Chemotherapie mit oder ohne Bestrahlung zur Vorbereitung auf die Knochenmarktransplantation oder Stammzelltransplantation, u.a. mit der Zielsetzung der Immunsuppression.

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