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Arzneimittel und Therapie
"Auf welche Zigarette würden Sie gerne verzichten?"
Zigarettenrauchen erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Bronchitis und als Folge für chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, verschiedene Krebserkrankungen sowie für die Alzheimer-Krankheit. Von der Einschränkung der Lungenfunktion sind Frauen stärker betroffen als Männer, wahrscheinlich wegen ihrer kleineren Lungen. Als Folge der zahlreichen Gesundheitsschäden verschenken Raucher kostbare Lebenszeit: Ein Nichtraucher lebt im Durchschnitt 9 Jahre länger als ein starker Raucher. Besiegt der Raucher seine Sucht, bevor er 40 Jahre alt ist, kann er fast so lange leben wie ein Nichtraucher.
Während der Schwangerschaft ist Rauchen besonders schädlich, da es zu Entwicklungsstörungen beim Kind führt. Kinder von Raucherinnen sind häufig verhaltensgestört, sie sind aggressiver, häufig hyperaktiv und können sich nicht konzentrieren.
Suchterkrankung Rauchen
Trotz dieser bekannten Gesundheitsgefahren fällt es den meisten Rauchern sehr schwer, ihre Suchterkrankung dauerhaft in den Griff zu bekommen - selbst nach einer erfolgreichen Entwöhnungstherapie sind die Rückfallraten hoch, die dauerhaften Erfolgsraten einer Raucherentwöhnung liegen im Schnitt nur zwischen 5 und 20%.
Daß es sich beim Rauchen nicht um eine persönliche Angewohnheit, sondern um eine Suchterkrankung handelt, ist heute nicht mehr umstritten. Die WHO führt Tabakrauchen in der ICD 10, der International Classification of Diseases, als Krankheit auf. Tabak ist nach der WHO eine psychoaktive Substanz und wird wie Alkohol und Opiate klassifiziert.
Nicotin verändert die Struktur des Nervensystems: Durch Rauchen erhöht sich die Zahl der Nicotinrezeptoren (up-regulation) im Gehirn. Diese Veränderung hält für lange Zeit an und ist möglicherweise bei manchen Personen irreversibel.
Die Halbwertszeit von Nicotin liegt bei 2 Stunden, klinisch signifikante Entzugssymptome entwickeln sich innerhalb von 4 bis 8 Stunden. Daher ist morgens der Nicotin-Plasmaspiegel niedrig und das Verlangen nach einer Zigarette bei Rauchern besonders hoch. Sehr stark abhängige Raucher wachen sogar nachts auf, weil sie eine Zigarette benötigen.
Außerdem fördert Nicotin, wie zahlreiche andere Drogen (z.B. Heroin und Cocain) auch, die Dopaminausschüttung im mesolimbischen System, dem sogenannten Belohnungssystem, wodurch das "Craving", das Suchtverhalten, verstärkt wird.
Nicotinersatzmittel helfen
Die meisten Raucher sind mit der Forderung nach einem radikalen Rauchstopp überfordert, denn der Nicotinentzug führt zu vielfältigen unangenehmen Entzugserscheinungen, beispielsweise zu Konzentrationsstörungen. Psychologisch einfacher läßt sich eine Einschränkung des Rauchens erreichen, vor allem bei den Rauchern, die noch unentschieden sind. Auf die Frage: "Auf welche Zigarette würden Sie gerne verzichten?" fällt den meisten Rauchern spontan eine Anwort ein. Ein wichtiger Auslöser für den Wunsch nach einer Einschränkung des Zigarettenkonsums ist der soziale Druck, beispielsweise wenn ein Raucher häufig in Situationen kommt, in denen Rauchen nicht möglich ist. Etwa 50 bis 60% aller Raucher sind für eine Reduktion ihres Zigarettenkonsums zu gewinnen. Ist dieses Ziel erst einmal erreicht, fällt vielen auch das endgültige Aufhören leichter.
Ein vollständiger Rauchstopp oder auch die Einschränkung des Rauchens können mit Hilfe von Nicotinersatzmitteln unterstützt werden. Vor allem bei einer Einschränkung des Rauchens sind diese sehr zu empfehlen, da ein Raucher ohne Nicotinersatz die "eingesparte" Zigarette durch tieferes Inhalieren der nächsten Zigaretten wieder ausgleicht. Bis jetzt sind Nicotinersatzmittel in den meisten Ländern jedoch nur zur Unterstützung des totalen Rauchstopps zugelassen, dagegen nicht für eine Einschränkung des Rauchens.
Die sogenannten "Light"-Zigaretten sind keine Alternative zu einer Einschränkung des Zigarettenkonsums. Die Raucher inhalieren den Rauch dieser Zigaretten wesentlich tiefer, um die entsprechende Nicotinmenge zu erhalten, und nehmen so mehr schädliche Substanzen aus dem Rauch auf als mit "normalen" Zigaretten.
Wie toxisch ist Nicotin?
Akut erhöht Nicotin den Blutdruck und führt zu einer Vasokonstriktion. Dadurch wird unter anderem bei Rauchern die Wundheilung verzögert. Allerdings wirkt Nicotin per se nicht krebserregend. Für diese Wirkung und auch für zahlreiche kardiotoxische Wirkungen sind die schädlichen Begleitsubstanzen in der Zigarette verantwortlich. Dazu gehören Kohlenmonoxid, Ammoniak, Formaldehyd, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Teer.
Leider ist eine Zigarette aber auch die optimale Applikationsform für Nicotin. Der Rauch kann tief in die Lungen eindringen, die Resorption ist sehr gut, und Nicotin flutet rasch im Organismus an, was durch die inte nsive Erregung des Dopaminsystems angenehme Wirkungen hervorruft. Eine vergleichbare Wirkung läßt sich mit keiner Ersatztherapie erzielen, höchstens das Nasenspray ist in der Schnelligkeit des Wirkungseintritts vergleichbar.
Für Nicotinersatztherapien wurde auch bei langdauernder Anwendung keine unerwünschten Wirkungen, beispielsweise auf das Herz-Kreislauf-System, festgestellt. Das gilt auch dann, wenn zusätzlich geraucht wird, das Risiko einer Überdosierung besteht nicht. Auf jeden Fall sind Nicotinersatzmittel der Zigarette vorzuziehen, da hier nur reines, "sauberes" Nicotin ohne schädliche Begleitsubstanzen aufgenommen wird.
Wie wirken Nicotinersatzmittel?
Derzeit werden unterschiedliche Nicotinersatzmittel eingesetzt; in Deutschland sind allerdings nur Kaugummi und Pflaster im Handel.
JNasales Nicotinspray führt innerhalb von 7 bis 10 Minuten zu wirksamen Nicotin-Plasmaspiegeln, langsamer als Zigarettenrauch. Mit einer Dosis wird
1 mg Nicotin freigesetzt, das zu 60% bioverfügbar ist.
JOrale "Inhalation" ersetzt das Verhaltensmuster beim Zigarettenrauchen und einen Teil der geschmacklichen Wirkungen. Aus den entsprechenden Vorrichtungen wird Nicotin vaporisiert und über die Mundschleimhaut aufgenommen. Ein Atemzug enthält etwa
13 mg Nicotin, eine Zigarette liefert dagegen etwa 100 mg. Für eine adäquate Dosierung muß sich der Raucher also sehr anstrengen.
- Nicotinkaugummi ermöglicht eine flexible Dosierung. Er wird in Stärken von 2 und 4 mg eingesetzt, aus diesen werden 1 bzw. 2 mg über die Mundschleimhaut aufgenommen. Nach Anwendung einer Einzeldosis wird die maximale Plasmakonzentration nach etwa 30 Minuten erreicht, wesentlich langsamer als aus Zigarettenrauch. Nicotinkaugummi wird wie Zigaretten oral angewendet und ähnelt daher dem Zigarettenrauchen im Verhaltensmuster. Nicotinkaugummi eignet sich zur Vorbeugung von Rückfällen.
- Sublingualtabletten enthalten 2 mg Nicotin pro Tablette und sind in der Wirkstoff-Freisetzung mit dem Nicotinkaugummi vergleichbar.
- Nicotinpflaster kann diskret angewendet werden. Es führt zu gleichmäßigen Plasmaspiegeln über mehrere Stunden hinweg und kann daher Entzugssymptome verhindern. Das Craving wird allerdings durch die gleichmäßigen Plasmaspiegel nicht verhindert, und das Pflaster simuliert nicht die Verhaltenssituation beim Rauchen.
Alle diese Mittel reduzieren die Entzugserscheinungen, indem sie den Nicotinspiegel aufrechterhalten. Sie können aber nicht das angenehme Gefühl der Zigarette vermitteln, da der Wirkstoff aus ihnen langsamer anflutet und das Dopaminsystem nicht stimuliert; euphorische Wirkungen treten nicht auf. Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, daß ein Raucher von Nicotinersatzmitteln abhängig wird.
Alle Mittel können in Kombination mit einer Psycho- oder Verhaltenstherapie das Aufhören des Rauchens unterstützen. Der Raucher sollte sich sein "Lieblingsprodukt" selber aussuchen. Für die Entzugstherapie sollte ein individueller Plan aufgestellt werden, beispielsweise können verschiedene Nicotinersatzmittel miteinander kombiniert werden. Außerdem sollte der Patient ein "Rauchertagebuch" führen. Wie lange ein Raucher braucht, um sich auf diese Weise erfolgreich das Rauchen abzugewöhnen, ist unklar. Manche erreichen ihr Ziel bereits nach 3 Monaten, andere benötigen mehr Zeit.
Nicotinkaugummi im U-Boot
Weil das Rauchen an Bord der schwedischen U-Boote verboten war, mußten die gezwungenermaßen nicht mehr rauchenden U-Boot-Soldaten auf See gegen Konzentrationsstörungen und schlechte Laune ankämpfen, was ihre allgemeine Kampfkraft entsprechend schwächte. Kautabak erwies sich als keine gute Alternative. 1967 begann der Forscher Ove Fernö mit der Entwicklung eines Nicotinkaugummis für die schwedischen Marinesoldaten, 1978 kam der erste Nicotinkaugummi auf den Markt. Fernö kannte sich bestens aus: Er war selbst ein starker Raucher und hatte mehrere erfolglose Versuche hinter sich, mit dem Rauchen aufzuhören. Mit Hilfe der Nicotinersatztherapie gelang es Fernö: Heute ist er seit 20 Jahren Nichtraucher.
Raucherberatung in der Apotheke
Gerade in der Raucherberatung können sich Apotheken profilieren. Dazu können in Zusammenarbeit mit Nichtrauchervereinigungen Angebote erstellt werden. Beispielsweise bietet der Nichtraucherbund Berlin unter der Telefonnummer 030-7059496 ("Das Berliner Rauchertelefon") eine umfassende und kostenlose Beratung durch einen Experten für Raucherentwöhnung an. Der Patient erhält hier weitere Informationen zu geeigneten
Begleitmaßnahmen, Therapieformen, Kursangeboten und audiovisuellen Hilfsmitteln. Auch die Hersteller von Nicotinersatzmitteln bieten häufig umfangreiches Material für die Raucherentwöhnung an, das in der Apotheke zur Beratung genutzt werden kann.
Die blühende Freiheit des Rauchers
Während die Gefahren des Rauchens heute nicht mehr ernsthaft diskutiert werden, scheint es zum Thema Passivrauchen immer noch verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu geben. Jetzt wurden in einem Sonderheft der renommierten Münchner Medizinischen Wochenschrift die Manuskripte von vier Reden veröffentlicht, die anläßlich einer Veranstaltung des bayerischen Peutiger-Collegiums e.V. zu diesem Thema im Juli 1997 gehalten wurden. Wir zitieren nachfolgend Ausschnitte aus dem Beitrag von Univ.-Prof. Dr. jur. utr. Armin A. Steinkamm, Dipl.-sc.-pol.-univ., Generalsekretär des Peutiger-Collegiums e.V., der die Rechte der Raucher auf freie Persönlichkeitsentfaltung erbittert verteidigt.
"Der Gesetzgeber hat es trotz mannigfacher Initiativen im Bereich des Gesundheitswesens und des Umweltschutzes bisher unterlassen, das Rauchen und den Raucher über Sachbereiche im Detail hinaus einem gesetzlichen Rahmen zu unterwerfen. Es dürfte die nach wie vor klar erscheinende Verfassungslage sein, die der Gesetzgeber erkennt, in seiner Mehrheit respektiert und die ihn gehindert hat, laut tönenden Minderheiten auf einem Weg zu folgen, der in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht jäh in einer Sackgasse enden könnte. Und diese Rechtslage läßt sich dahin zusammenfassen [...], daß die Freiheit zum Rauchen nach herrschender Meinung Bestandteil der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne des Art.2 unseres Grundgesetzes ist. [...]
Dabei ist wesentlich, daß der Tabak nicht als "Droge" einzustufen ist und daß die eventuell möglichen Gesundheitsschäden des einzelnen in der Regel erst als Folge eines übermäßigen Tabakkonsums bei persönlicher gesundheitlicher Anfälligkeit zu sehen sind. Für die Rechtsstellung des Rauchers bedeutet dies, daß sich dieser zunächst gegenüber jeglicher Einschränkung seiner Freiheit, zu rauchen, auf Art.2 Abs.1 des Grundgesetzes berufen kann. [...]
Von einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit (durch Passivrauchen, Anm. d. Red.) kann erst dann ausgegangen werden, wenn entsprechende wissenschaftlich fundierte Daten über derartige Folgen des sogenannten Passivrauchens vorliegen. Das ist [...] generell nicht der Fall. Klarzustellen ist indessen, daß eine bloße Belästigung oder Minderung des subjektiven Wohlbefindens noch nicht als Gesundheitsschädigung oder Krankheit qualifiziert werden kann und deshalb auch nicht dem Grundrechtsschutz unterliegt, auch nicht dem Grundrechtsschutz des Art.2 Abs.2 des Grundgesetzes bezüglich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. [...]
Grundelement der wesentlichen Demokratie ist der freie autonome Bürger, der selbst zu urteilen und selbst zu bestimmen sowie die gesellschaftliche Verfassung seines Staates mitzugestalten aufgefordert ist. Das Ideal mancher sozialistischer Reformer und auch emotional aufgeladener Minderheiten scheint mir manchmal eine glatt gemähte Wiese zu sein, auch wenn auf ihr dann keine Blumen in bunter Vielfalt und unterschiedlicher Größe mehr blühen."
In Auszügen zitiert aus: Münch. med. Wochenschr. 140, Beilage Nr.189 zu Nr.35 vom 28.8.1998, S.26-30.
Quelle
Prof. Dr. John Hughes, Vermont/USA, Dr. Peter Anderson, Kopenhagen, Prof. Dr. Michael Kunze, Wien, Dr. Christoph Bolliger, Basel, David Graham, Helsingborg, David Sweanor, Ottawa/Kanada, Prof. Dr. Robert West, London; Satellitensymposium "Smoking reduction: from theory to practice" im Rahmen der "First International Conference of The Society for Research on Nicotine and Tobacco", Kopenhagen, 22. bis 24. August 1998, veranstaltet von Pharmacia & Upjohn, Helsingborg.
Dr. Bettina Hellwig, Stuttgart
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