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Arzneimittel und Therapie
Raloxifen - Alternative zur Hormonersatztherapie?
Millionen Frauen stehen angesichts der Wechseljahre vor einer schwierigen Entscheidung: Sollen sie in der Postmenopause Östrogen substituieren, um sich vor Osteoporose und möglicherweise auch vor Herzerkrankungen zu schützen? Oder sollen sie lieber darauf verzichten, um ihr Risiko für Mamma- und Endometriumkarzinome nicht zu erhöhen?
Fast die Hälfte der Frauen, die eine Hormonersatztherapie beginnt, bricht diese innerhalb eines Jahres ab. Dies geschieht häufig aus Sorge um die langfristigen Risiken der Behandlung oder wegen nicht akzeptabler Nebenwirkungen, wie vaginaler Blutungen oder Brustschmerzhaftigkeit.
Selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren
Da Östrogene selbst nicht ideal sind, wurde nach Arzneistoffen gesucht, die nur in bestimmten Geweben, insbesondere Knochen und Herz-Kreislauf-System, einen östrogenartigen Effekt haben. Diese Arzneistoffe mit gewebespezifischen Östrogeneffekten bezeichnet man als selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren.
Ein Vertreter der ersten Generation dieser Substanzklasse ist Tamoxifen, das seit etwa 20 Jahren zur Behandlung des Mammakarzinoms eingesetzt wird. Tamoxifen wirkt am Brustgewebe als Antiöstrogen, indem es das Wachstum von Krebszellen hemmt. Gleichzeitig schützt es jedoch wie ein Östrogen vor Osteoporose und möglicherweise vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Leider wirkt es auch am Endometrium östrogenartig und erhöht so das Risiko von Endometriumkarzinomen.
Neue Substanz: Raloxifen
Ein Vertreter der zweiten Generation selektiver Östrogenrezeptor-Modulatoren ist das Benzothiophenderivat Raloxifen. Raloxifen wirkt auf Brust und Gebärmutter wie ein Östrogenantagonist, auf Knochen und Cholesterinspiegel wie ein Östrogenagonist. Im Vergleich zu Plazebo erhöht Raloxifen die Knochendichte, allerdings nur halb so stark wie Östrogene. Tierversuchen und einigen kleinen klinischen Studien zufolge stimuliert Raloxifen die Proliferation von Endometriumgewebe nicht und wahrscheinlich auch die Proliferation von Brustgewebe nicht. In einer US-amerikanischen Studie wurde jetzt untersucht, wie Raloxifen bei Frauen in der Postmenopause auf Serumlipide und Gerinnungsfaktoren, wichtige Parameter des kardiovaskulären Risikos, wirkt.
Studie mit 390 Frauen
390 gesunde postmenopausale Frauen an acht Zentren nahmen an der Doppelblindstudie teil. Alle waren zwischen 45 und 72 Jahren alt; Frauen, denen die Gebärmutter entfernt worden war, waren mindestens 50 Jahre alt. Sie bekamen randomisiert zur täglichen Einnahme am Morgen:
- 60 mg Raloxifen (n=95),
- 120 mg Raloxifen (n=101),
- eine Hormonersatztherapie aus 0,625 mg konjugierten equinen Östrogenen und 2,5 mg Medroxyprogesteronacetat (n=96) oder
- Plazebo (n=98).
Die Behandlung wurde sechs Monate lang durchgeführt, wobei die absolute und prozentuale Veränderung der Serumlipide und Gerinnungsparameter bis zur letzten Messung (nach sechs bzw. nach drei Monaten) dokumentiert wurde.
64 Frauen brachen die Behandlung vorzeitig ab, 14 mit der niedrigen und elf mit der hohen Raloxifen-Dosis, 26 mit der Hormonersatztherapie und 13 mit Plazebo. Zu Beginn bestanden zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede bei den Serumlipiden und Gerinnungsparametern. Die Behandlung ergab folgende Veränderungen der Serumlipide im Vergleich zu Plazebo:
- Beide Raloxifen-Dosierungen senkten den LDL-Cholesterinwert um 12%, die Hormonersatztherapie senkte den Wert um 14% (kein signifikanter Unterschied).
- Beide Raloxifen-Dosierungen verringerten den Lipopotein(a)-Spiegel um 7 bis 8%. Dies war signifikant weniger als mit der Hormonersatztherapie (19%).
- Raloxifen erhöhte den HDL2-Cholesterinwert um 15 bis 17%, und damit nur halb so stark wie die Hormonersatztherapie (33%).
- Der HDL-Cholesterinwert veränderte sich mit Raloxifen nicht signifikant, mit der Hormonersatztherapie stieg er um 10%.
- Der Triglyceridwert blieb mit Raloxifen konstant, mit der Hormonersatztherapie nahm er um 20% zu.
- Apolipoprotein AI nahm mit 120 mg Raloxifen um 5% zu, mit der Hormonersatztherapie um 12%.
- Apolipoprotein B sank mit Raloxifen um 9% und blieb mit der Hormonersatztherapie unverändert.
- Die Gerinnungsparameter Fibrinogen und Plasminogenaktivator-Inhibitor Typ 1 (PAI-1) wurden ebenfalls unterschiedlich beeinflußt: Der Fibrinogenspiegel sank unter den Raloxifen-Dosierungen um 10 bzw. 12% und blieb mit der Hormonersatztherapie konstant. PAI-1 veränderte sich nur unter der Hormonersatztherapie; der Wert sank um 19%.
Nebenwirkung Hitzewallungen
Als häufigste Nebenwirkungen unter Raloxifen traten Hitzewallungen auf (16 bzw. 22%). Vaginale Blutungen betrafen nur 5 bzw. 3% der mit Raloxifen behandelten Frauen. Unter der Hormonersatztherapie dominierten vaginale Blutungen (45%) und Brustschmerzhaftigkeit (38%). Wegen vaginaler Blutungen brachen 9% der Frauen die Hormonersatztherapie ab, wegen Brustschmerzhaftigkeit 2%. Dagegen beendete keine Frau wegen vaginaler Blutungen, Hitzewallungen oder Brustschmerzhaftigkeit die Raloxifen-Behandlung vorzeitig.
Günstige Effekte auf kardiovaskuläres Risiko
Demnach verbessert Raloxifen mehrere Marker des kardiovaskulären Risikos bei gesunden Frauen in der Postmenopause. Insbesondere senkt es LDL-Cholesterin, Lipoprotein(a) und Fibrinogen. Es erhöht HDL2-Cholesterin, ohne die Triglyceride zu erhöhen. Im Gegensatz zur Hormonersatztherapie hat es keinen Effekt auf HDL-Cholesterin und PAI-1 und einen weniger ausgeprägten auf HDL2-Cholesterin und Lipoprotein(a).
Diese Veränderungen ähneln stärker den in Studien mit Tamoxifen beobachten Effekten als den Effekten einer Hormonersatztherapie. Insbesondere die Wirkung der selektiven Östrogenrezeptor-Modulatoren auf HDL-Cholesterin, HDL2-Cholesterin und Apolipoprotein AI ist geringer als die der Östrogene.
Ob Raloxifen tatsächlich vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt, muß in klinischen Studien geprüft werden. Diese Studien müssen die tatsächlichen kardiovaskulären Ereignisse als Endpunkt haben.
Der einzige klar belegte Vorteil von Raloxifen gegenüber Östrogenen ist zur Zeit seine fehlende stimulierende Wirkung auf das Endometrium. Auch die fehlende stimulierende Wirkung auf das Brustgewebe muß noch in klinischen Langzeitstudien gezeigt werden.
Literatur
Walsh, B. W., et al.: Effects of raloxifene on serum lipids and coagulation factors in healthy postmenopausal women. J. Am. Med. Assoc. 279, 1445-1451 (1998).
Rifkind, B. M., J. E. Rossouw: Of designer drugs, magic bullets, and gold standards. J. Am. Med. Assoc. 279, 1483-1485 (1998).
Susanne Wasielewski, Münster
Glossar
Apolipoproteine: Proteinkomponenten der Lipoproteine, die nach immunologischen Eigenschaften, Aminosäurensequenz und Kohlenhydratanteil differenziert werden können. Alle Apolipoproteine kommen in unterschiedlicher Menge in den verschiedenen Lipoproteinen vor, Apolipoprotein AI vor allem in HDL und Chylomikronen, Apolipoprotein B vor allem in LDL.
Fibrinogen: Faktor I der Blutgerinnung
HDL: Abkürzung für high density lipoproteins. HDL1 werden in Leber und Darmmukosa gebildet, im Blut in HDL2 umgewandelt, das freies Cholesterin aus den Zellen aufnehmen kann und in Cholesterinester umwandelt.
LDL: Abkürzung für low density lipoproteins
Plasminogenaktivator-Inhibitor: körpereigener Inhibitor der überschießenden Fibrinolyse
[aus: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. 257. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1994.]
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