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- DAZ 38/1998
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Arzneimittel und Therapie
Der programmierte Zelltod
Die Gesamtzellzahl in einem Organismus bleibt im Laufe seines Lebens ungefähr gleich, da alte Zellen absterben und gleichzeitig durch Proliferation neue Zellen gebildet werden. Obwohl bei akuten Verletzungen viele Zellen absterben, sterben die meisten Zellen durch Apoptose, den sogenannten programmierten Zelltod. Bei diesem -zellulären Selbstmord schrumpfen die Zellen schnell zu kleinen, apoptotischen Körperchen zusammen, die anschließend von benachbarten Zellen oder Makrophagen aufgenommen werden.
Der Fadenwurm C. elegans:
ein Modell für den Zelltod
Der genetische und molekulare Mechanismus der Apoptose wurde erst Anfang der 90er Jahre durch Studien über den Nematoden C. elegans aufgeklärt. Während der Entwicklung des Wurms läuft der programmierte Zelltod extrem präzise ab: Spezifische Gene werden angeschaltet und so exakt 131 Zellen des Wurms eliminiert, während die übrigen 959 Zellen den ausgewachsenen Wurm bilden. Die Apoptose läuft in vier Schritten ab:
- Extrazelluläre oder intrazelluläre Auslöser leiten den programmierten Zelltod ein.
- Exekution der Zelle durch Aktivierung von intrazellulären Proteasen.
- Aufnahme des Zellkörpers durch andere Zellen.
- Abbau des Zellkörpers durch Lysosomen von phagozytierenden Zellen.
Im Wurm C. elegans sind drei Gene für das Auslösen und die Regulation der Apoptose verantwortlich. Die Genprodukte der Gene ced-3 und ced-4 induzieren die Apoptose, während ced-9 die Aktivierung der Gene ced-3 und ced-4 hemmt und so Zellen vor der Apoptose schützt.
Das Genprodukt von ced-3 ist eine Cystein-Aspartyl-Protease, eine sogenannte Caspase, die eine Vielzahl von Proteinen spaltet, inaktiviert oder aktiviert. Caspasen liegen in allen Zellen in Form von inaktiven Vorstufen vor (Procaspasen) und müssen noch aktiviert werden. Wenn ein -Zelltod-Signal in der Zelle eintrifft, bindet ced-4 an das inaktive ced-3-Protein, aktiviert diese Caspase, und dann beginnt die Exekution der Zelle. Danach kann der programmierte Zelltod nicht mehr gestoppt werden.
Molekularer Mechanismus der Apoptose beim Menschen
Das C. elegans-Apoptosemodell kann auch auf Säugetiere übertragen werden, da der Ablauf der Zelltods im Laufe der Evolution stark konserviert wurde. Einige zentrale Mediatoren der Apoptose haben bei Säugetieren eine ähnliche Molekülstruktur und Funktion wie ced-3, ced-4 und ced-9. Beim Menschen ist die Regulation der Apoptose weitaus komplexer. Hier existieren mehr Signalmoleküle, die vor allem die ersten Schritte regulieren. Während manche Auslöser, zum Beispiel ionisierende Strahlung, ubiquitär wirken und in allen Zellen zum Zelltod führen können, existieren andere Signalwege nur in spezifischen Zelltypen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Die Anordnung des -Selbstmords läuft beispielsweise über sogenannte -Zelltod-auslösende Liganden, die an spezifische Rezeptoren binden. Der so aktivierte -Zelltod-Rezeptor kann dann an zytoplasmatische Adapterproteine binden, die wiederum eine Vielzahl von Caspasen (Proteasenhomologe des ced-3-Gens) aktivieren und so die Exekution von Zellen bestimmen. Im Gegensatz zu einer einzigen Caspase in C. elegans wurden aus
menschlichen Zellen bisher 10 verschiedene Caspasen isoliert. Da aktivierte Caspasen ihrerseits auch weitere Caspasen aus inaktiven Vorstufen freisetzten können, wird eine proteolytische Kaskade in Gang gesetzt,
die schnell zum Absterben der Zelle führt.
Homologe ced-4- und ced-9-Gene beim Menschen
Entsprechend dem ced-4 in C. elegans existiert beim Menschen ein homologes Genprodukt, das sogenannte Apaf-1 (apoptotic protease activating factor-1). In einigen Zellen wird, als Auslöser der Apoptose, das Protein Cytochrom C aus den Mitochondrien freigesetzt und kann an Apaf-1 binden. Apaf-1 aktiviert anschließend die menschliche Caspase 3 und startet so die Caspase-Kaskade. Apaf-1 kann aber auch an das antiapoptotische ced-9-Homologe im Menschen binden (an die sogenannten Antiapoptose-Proteine der Bcl-2-Genfamilie) und die Apoptose hemmen. Interessanterweise existieren dagegen auch weitere Mitglieder der Bcl-2-Genfamilie, die die Apoptose fördern. Das genaue Zusammenspiel zwischen der Bcl-2-Genfamilie und dem programmierten Zelltod ist derzeit allerdings noch unklar.
Bis heute konnte auch noch nicht geklärt werden, wie die apoptotischen Zellkörperreste abgebaut werden. Vermutlich signalisieren veränderte Zelloberflächenproteine auf den apoptotischen Körperchen den phagozytierenden Zellen, daß diese aufgefressen werden sollen.
Rolle der Apoptose bei Krankheiten
Krankheiten können durch eine veränderte Regulation der Apoptose entstehen, wenn beispielsweise ein Zelltyp zu wenig oder andere Zellen zu stark dezimiert werden. Autoimmunerkrankungen, die durch Bildung von Autoantikörpern oder spezifisch sensibilisierte Lymphozyten verursacht werden, lassen sich auf primäre Apoptosestörungen zurückführen. Experimente mit diabetischen Mäusen weisen darauf hin, daß bei der Entwicklung eines autoimmunen Diabetes mellitus ein Defekt in der Apoptoseregulation dazu führt, daß zu wenig -self-reactive T-Zellen in den Langerhans-Inseln eliminiert werden. Anschließend können diese gefährlichen Lymphozyten Pankreaszellen zerstören.
Bei Krebserkrankungen kommt es zu einer Akkumulation von atypischen Zellen, die entweder durch eine exzessive Proliferation, eine unzureichende Apoptose oder durch eine Kombination von beidem entstehen können.
Das p53-Gen spielt bei der Apoptose ebenfalls eine wichtige Rolle. Mutationen im p53-Gen oder seiner Regulatoren sind sehr häufig und treten möglicherweise in 55 bis 70% aller Krebstumoren auf. Wird die DNA in Zellen geschädigt, hält das p53-Protein den Zellteilungszyklus an und löst unter bestimmten Umständen den programmierten Zelltod aus. Einerseits kann p53 als Transkriptionsfaktor die Expression vieler Gene aktivieren, die an der Apoptose beteiligt sind. Andererseits induziert p53 Apoptose, indem es die Expression von Bax, einem die Apoptose fördernden Mitglied der Bcl-Familie, reduziert.
Der programmierte Zelltod und begleitende molekulare Mediatoren sind auch für viele neurodegenerative Erkrankungen, wie Parkinson oder Alzheimer, von Bedeutung. Spezifische Proteine, die Preseniline 1 und 2, werden von den Caspasen abgebaut. Mutationen in Genen der Preseniline 2 sind der häufigste Grund für den frühen Ausbruch einer familiären, dominant vererbten Form der Alzheimer-Erkrankung. Möglicherweise sind die Abbauprodukte dieser Preseniline weitere Auslöser der Apoptose.
Therapeutischer Nutzen
Da der Mechanismus der Apoptose derzeit immer besser verstanden wird, eröffnen sich neue Therapiemöglichkeiten zur Behandlung von degenerativen, neoplastischen und Autoimmunerkrankungen. Durch eine spezielle Anpassung der Medikamente wäre eine hochspezifische Therapie mit geringen Nebenwirkungen möglich. Mehrere unterschiedliche Therapieansätze sind denkbar:
- Gentherapie (zum Beispiel Ersatz des p53-Gens),
- Zusatz von Modulatoren (beispielsweise -Zelltod-auslösende Liganden) zur Stimulation der Apoptose,
- Design von kleinen Molekülen, die die Expression der für die Apoptose verantwortlichen Gene regulieren (zum Beispiel Bcl-2).
Für eine erfolgreiche Therapie wäre es allerdings notwendig, daß neu entwickelte Substanzen nur räumlich begrenzt wirken, um bei einer Stimulierung der Apoptose ein großflächiges Absterben von Gewebe zu vermeiden, oder um nach Hemmung der Apoptose Zellwucherungen auszuschließen. Problematisch ist auch die Tatsache, daß man zwar den Tod von Zellen verhindern kann, aber es unklar bleibt, ob die Zellen dann auch weiterhin optimal funktionieren.
Derzeit laufen schon klinische Phase-I-Studien mit einem Adenovirus als Antitumormittel, der p53-defiziente Tumorzellen abtöten soll. Er kann sich nur in p53-defizienten Zellen vermehren und sie abtöten, während normale Zellen unbehelligt bleiben.
Literatur
Hetts, S. W.: To die or not to die - an overview of apoptosis and its role in disease. J. Am. Med. Assoc. 279, 300-307 (1998).
Dr. Sonja von der Crone, Aachen
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