Feuilleton

Alte Wunderkammer in neuem Glanz

Die barocke Lust am Sammeln von Kuriositäten steht am Anfang der Geschichte so manches Naturkundemuseums. Wie man im Barockzeitalter ein Museum einrichtete - das zeigt auf beeindrukkende Weise die frisch restaurierte Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle. Zum 300jährigen Gründungsjubiläum des Halleschen Waisenhauses erschien nun auch ein prächtiger Bildband über diese sogenannte Wunderkammer.


Der brandenburgische Kurfürst persönlich stiftete 1698 aus seiner Raritätenkammer die ersten Gegenstände für Franckes Museum, u. a. den Zahn eines Flußpferdes, mehrere Walpenisse (priapus ceti) und ein Straußenei. In der Folge wuchs die Sammlung aufgrund der vielfältigen Verbindungen Franckes mit dem Ausland - teils missionarischer, teils geschäftlicher Art (Medikamentenexpedition) - recht schnell. In den Jahren 1736 bis 1741 wurde sie von dem Altenburger Künstler Gottfried August Gründler neu geordnet und im obersten Geschoß des Vordergebäudes, einem 40 mal 8 m großen Saal, in eigens angefertigten Schränken aufgestellt. Von den damals 4696 Objekten haben sich etwa 2000 erhalten.
Die Realien, wie man früher sagte, dienten von Anfang an dem naturkundlichen Unterricht der Waisenknaben. Doch bestanden auch zur Apotheke intensive Beziehungen. So besitzt die Wunderkammer einen in dieser Art einzigartigen Tisch für den Unterricht in der Materia medica: In die Tischplatte sind über 300 quadratische Kästchen eingelassen, in denen pharmazeutische Rohstoffe aufbewahrt wurden.
Natürlich findet man in Halle auch das Standardinventar barocker Raritätenkammern: Krokodile und Alligatoren, die unter der Decke schweben, Schildkrötenpanzer, Walknochen, diverse Hörner und Geweihe, Eier, Konchylien, exotische Früchte wie Seychellen- und Kokosnüsse und auch faustgroße Stücke der als pharmazeutischer Rohstoff einst unentbehrlichen ägyptischen Mumie. Den Großteil der Sammlung machen ethnographische Objekte aus aller Welt aus, zu denen übrigens auch Moskowitisches Brot" und ungarischer Käse zählen.
Das von Gründler gestaltete Museum erstrahlt heute, nach über 250 Jahren, wieder in altem Glanz. Seine Schätze und seine sonderbare Atmosphäre sind in dem nun vorgelegten Bildband hervorragend eingefangen.
Franckesche Stiftungen, Franckeplatz 1, 06110 Halle, Tel. (03 45) 2 12 74 50, Fax 2 12 74 33
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Katalog: Thomas J. Müller-Bahlke (Text) und Klaus E. Göltz (Fotos): Die Wunderkammer - die Kunst- und Naturalienkammer der Franckschen Stiftungen zu Halle (Saale). 128 Seiten, ca. 130 farb. Abb., Verlag der Franckeschen Stiftungen, Halle 1998, brosch. 39,90 DM.
W. Caesar

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.