Arzneimittel und Therapie

Neue Indikation für Lamivudin

Lamivudin ist in der Behandlung der HIV-Infektion als Hemmstoff der Reversen Transkriptase etabliert. Doch hemmt der Wirkstoff auch die Vermehrung von Hepatitis-B-Viren, so daß er sich gegen die chronische Hepatitis B erfolgreich einsetzen läßt. Eine Indikationsausweitung wird daher angestrebt.


Die akute Hepatitis B nach einer Primärinfektion wird in der Mehrzahl der Fälle ohne Folgeschäden überstanden, die Patienten sind anschließend symptomlose Virusträger. Doch bei etwa 1% der Erkrankten nimmt die akute Hepatitis einen fulminanten Verlauf, bei weniger als 5% geht sie in eine chronische Hepatitis über. Diese Langzeitfolge ist gefürchtet, da rund 30% der chronisch Betroffenen eine Leberzirrhose entwickeln und zudem das Risiko für Leberzellkarzinome stark erhöht wird.

Therapieziel: entzündliche Aktivität vermindern


Therapieziele bei der chronischen Hepatitis B sind daher die Verminderung der entzündlichen Aktivität, die an den Transaminasen und histologischen Untersuchungen zu erkennen ist, sowie die Reduzierung der Langzeitfolgen. Letztlich soll die Lebensqualität erhöht und die Lebenerwartung verlängert werden. Um diese Ziele zu erreichen, ist die Vermehrung der Viren zu verhindern oder im günstigsten Fall das Virus zu eliminieren.

Interferon alpha ist etabliert


Die etablierte Therapie der chronischen Hepatitis B besteht in der Anwendung von dreimal wöchentlich 4,5 bis 6 Mio. I. E. Interferon alpha über 6 Monate. In einer Studie verbesserten sich bei 30 bis 40 % der Patienten mit diesem Therapieschema die Werte der Transaminasen und die histologischen Befunde. Patienten mit einer HBe-Antigen-negativen Virusmutante sprechen initial noch besser auf diese Therapie an, doch kommt es bei nahezu allen Patienten dieser Gruppe zu einem Rückfall nach Absetzen der Medikation. Diese Mutante der Hepatitis B kommt vorwiegend bei Patienten aus dem Mittelmeerraum und Osteuropa vor; in manchen deutschen Großstädten macht sie 30 bis 40% aller Hepatitis-B-Fälle aus.

Nukleosidanaloga als therapeutische Alternativen


Als therapeutische Alternative wurden zunächst antivirale Nukleosidanaloga der ersten Generation, z. B. Vidarabin, Aciclovir und Zidovudin, untersucht. Der Einsatz von Fialuridin löste schwerste, teilweise tödliche Laktazidosen aus, da diese Substanz auch die mitochondriale DNA hemmt. Famciclovir und Penciclovir sind wirksam, aber sehr teuer.
Das Nukleosidanalogon Lamivudin erwies sich als deutlich potenter. Die Wirkung dieses antiretroviralen Arzneistoffes beruht auf einer Besonderheit der Hepatitis-B-Viren, die sich ähnlich wie Retroviren vermehren, obwohl sie nicht dieser Virusgruppe angehören. Die Substanz wird oral gut resorbiert und entwickelt ihre antivirale Wirkung nach Phosphorylierung durch zelluläre Kinasen. Lamivudin hat eine Halbwertszeit von 5 bis 7 Stunden und wird überwiegend renal eliminiert.

Lamivudin: wirksam und verträglich


Im Unterschied zum Einsatz gegen HIV (übliche Dosis zweimal täglich 150 mg) reicht bei Hepatitis B die einmal tägliche Anwendung von 100 mg Lamivudin aus, um die Viruslast zu vermindern. In einer Studie über 12 Wochen hat sich diese Dosis als geeignet und gut verträglich erwiesen. Als relativ seltene Nebenwirkungen traten Kopfschmerzen, Müdigkeit, gastrointestinale Beschwerden, Muskelschmerzen, Pankreatitis, Neuropathie und Blutbildveränderungen auf. Nach einjähriger Therapie war bei 96% der Patienten keine HBV-DNA mehr nachweisbar, bei 67% hatten sich die histologischen Befunde gebessert. Längerfristige Untersuchungen stehen aus, doch wird für 1999 mit einer Erweiterung der Zulassung von Lamivudin für die Therapie der chronischen Hepatitis B gerechnet.
Da die Nukleosidanaloga nur in die Virusreplikation eingreifen, ist für das langfristige Therapieziel der Viruselimination die Lebensdauer der infizierten Zellen, in denen das Virus verweilt, entscheidend. Als Zukunftsperspektive erscheint eine Kombination der Virostatika mit solchen Substanzen denkbar, die die Lebensdauer infizierter Zellen verkürzen, beispielsweise Interleukin-12.
Quelle
Prof. Dr. Stefan Zeuzem, Frankfurt a. M., Vortrag im Rahmen der Pressekonferenz "HIV, Hepatitis, Influenza - Neue Virostatika von Glaxo Wellcome", Eisenach, 15. September 1998, veranstaltet von Glaxo Wellcome, Hamburg.
Thomas Müller-Bohn, Süsel

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