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Arzneimittel und Therapie
Die MORE-Studie: Raloxifen senkt Brustkrebsrisiko
Selektive Östrogenrezeptormodulatoren, kurz "SERM" genannt, gehören zu den besonders spannenden Wirkstoffklassen. Sie vereinen östrogene und antiöstrogene Eigenschaften, die abhängig vom Gewebe zum Tragen kommen. Dabei gibt es im Wirkungsspektrum der verschiedenen selektiven Östrogenrezeptormodulatoren durchaus Unterschiede - und damit auch in ihren Indikationsgebieten und Nebenwirkungen.
- So wirkt Tamoxifen, der erste SERM, auf das Brustgewebe als Antiöstrogen und wird deshalb bei Frauen mit östrogenpositivem Mammakarzinom nach der Zytostatikatherapie eingesetzt. Unter dieser Therapie steigt allerdings die Gefahr für ein Endometriumkarzinom.
- Mit Raloxifen, einem SERM der zweiten Generation, werden bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose atraumatische Wirbelbrüche verhindert. Gebärmutterhalskrebs tritt unter Raloxifen nicht häufiger auf als unter Plazebo.
Noch nicht völlig geklärt ist, ob selektive Östrogenrezeptormodulatoren sich auch für die Prävention des Mammakarzinoms eignen. In zwei Studien zeigte Tamoxifen keine Wirkung. Die als aussagefähig eingestufte Breast Cancer Prevention Trail (BCPT) zeigte jedoch, dass Tamoxifen bei Patienten mit hohem Brustkrebsrisiko die Inzidenz des Mammakarzinoms um 50 Prozent reduzieren kann. In der MORE-Studie (siehe Kasten) wurde nun auch das präventive Potential von Raloxifen unter die Lupe genommen. Dabei wurde untersucht, ob Frauen, die wegen einer Osteoporose mit Raloxifen behandelt werden, seltener an Brustkrebs erkranken.
Weniger östrogenpositive Mammakarzinome
Nach 40 Monaten war klar: Raloxifen kann das Risiko für ein invasives Mammakarzinom deutlich senken. Unter Plazebobehandlung erkrankte ein Prozent der Patientinnen an Brustkrebs, dagegen nur 0,25 Prozent unter einer Therapie mit Raloxifen. Das Risiko für ein Mammakarzinom geht hier also um 76 Prozent zurück. Dabei werden insbesondere östrogenpositive Tumoren verhindert. Rein rechnerisch bedeutet dies auch: Um ein Mammakarzinom mit Raloxifen zu verhindern, müssen 126 Frauen behandelt werden.
Zum Vergleich: In der BCPT-Studie reduzierte Tamoxifen das Risiko für ein invasives Mammakarzinom um 46 Prozent. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass in dieser Untersuchung Patientinnen mit hohem Brustkrebsrisiko eingeschlossen wurden.
Riskant: venöse Komplikationen
Von besonderem Interesse ist die Frage, ob ein niedrigeres Mammakarzinomrisiko mit einem höheren Endometriumkarzinomrisiko "bezahlt" wird. Hier konnte die MORE-Studie Entwarnung geben. Im Gegensatz zu Tamoxifen lässt Raloxifen das Endometrium unbeeinflusst. Kritisch sind dagegen die gehäuft auftretenden venösen Komplikationen. So traten tiefe Beinvenenthrombosen bei 0,7 bis 0,8 Prozent der Patientinnen unter Raloxifen auf, dagegen nur bei 0,2 Prozent in der Plazebogruppe.
Insgesamt war die Gefahr einer tiefen Venenthrombose oder einer Lungenembolie etwa dreimal so hoch. Raloxifen zieht damit hinsichtlich des Thromboembolierisikos mit Tamoxifen und Östrogenen gleich. Für die Praxis bedeutet dies: kein Einsatz bei Frauen mit venösen Thrombosen oder einer Lungenembolie in der Anamnese. Vor größeren Operationen oder bei Bettlägrigkeit sollten diese Medikamente abgesetzt werden.
Einen Pferdefuß gibt es immer
Insgesamt bringt die MORE-Studie jedoch recht klare Belege dafür, dass Raloxifen das Brustkrebsrisiko senken kann. Einen Pferdefuß hat die Studie allerdings: Es ist bekannt, dass Frauen mit geringer Knochendichte generell ein niedrigeres Mammakarzinomrisiko besitzen. Dies könnte die Aussagefähigkeit der Studie für die Gesamtbevölkerung einschränken. Von einer echten Indikation kann deshalb nicht die Rede sein. Geeignet ist Raloxifen jedoch für Frauen, bei denen zur Behandlung oder Prävention einer Osteoporose Östrogene indiziert wären, die aber Vorbehalte dagegen haben.
Kein Nutzen bei Wechseljahresbeschwerden
Während Ärzte eher in die Zukunft blicken und ihre Patientinnen vor den Spätfolgen des Östrogenmangels wie Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen wollen, steht für die meisten Frauen während des Klimakteriums die Beseitigung ihrer konkreten Beschwerden wie Hitzewallungen oder nächtliches Schwitzen im Vordergrund. Hier sind die bisherigen selektiven Östrogenrezeptormodulatoren allerdings fehl am Platz. Sie können die typischen klimakterischen Malaissen sogar verstärken.
Kardioprotektion unsicher
Ob selektive Östrogenrezeptormodulatoren das kardiovaskuläre Risiko positiv beeinflussen, ist noch völlig offen. Tamoxifen und Raloxifen senken zwar LDL- und Gesamtcholesterin, klinisch relevante kardioprotektive Eigenschaften lassen sich aus dieser Beobachtung allerdings nicht ableiten. Im übrigen wurde vor kurzem auch der kardioprotektive Nutzen von Östrogenen in Frage gestellt. In einer aussagefähigen Studie an postmenopausalen Frauen mit ischämischer Herzkrankheit ließ sich zumindest kein positiver Effekt feststellen.
Ziel: der ideale SERM
Selektive Östrogenrezeptormodulatoren bleiben also eine spannende Wirkstoffklasse. Ziel der Forscher müsste es nun sein, den Idealtyp zu entwickeln, der alle positiven östrogenen und antiöstrogenen Eigenschaften auf sich vereint. Weniger unwahrscheinlich ist allerdings der Gedanke, einen selektiven Östrogenrezeptormodulator zu entwickeln, der das Brustkrebsrisiko senkt - und zwar ohne gleichzeitig die Gefahr für Endometriumkarzinome oder venöse Komplikationen zu erhöhen.
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