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Psychische Erkrankungen: Medizinisches Korrektiv für Richtgrößen gefordert
Arzneimittelbudgets und Richtgrößen sind für die Behandlung psychisch Kranker geradezu kontraproduktiv, stellte Fritze fest. Er verdeutlichte dies am Beispiel der Schizophrenie. Die GKV-Gesamtausgaben für schizophrene Patienten betrugen 1998 rund 10 Mrd. DM. Davon entfielen lediglich 5,5 Prozent auf Arzneimittel. In Deutschland werden überwiegend noch herkömmliche Neuroleptika eingesetzt, obwohl die Compliance nicht zuletzt wegen der extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen schlecht ist. Das führt zu einer jährlichen Rezidivrate von rund 50 Prozent mit entsprechenden Kosten für die Krankenhausbehandlung, die bei psychiatrischen Patienten hoch sind. So wurde 1997 rund ein Drittel der schizophren Kranken stationär aufgenommen, die mittlere Verweildauer betrug 59,3 Tage.
Angst vor Budgetüberschreitungen
Durch moderne Therapieverfahren wären Rezidivraten unter 20 Prozent zu erreichen. Eine bessere Compliance wäre mit den besser verträglichen, aber auch teureren atypischen Antipsychotika zu erzielen, die aber in Deutschland nur knapp 10 Prozent der Verordnungen antipsychotischer Arzneimittel ausmachen. In Spanien und den Niederlanden sind es über 20 Prozent, in den USA rund 56 Prozent (Stand Dezember 1998). Die zurückhaltende Verordnung atypischer Antipsychotika ist medizinisch nicht zu begründen, sie resultiert aus der Angst der Ärzte, das Budget zu überschreiten. Durch breitere Anwendung besser verträglicher Antipsychotika wären deutliche Einsparungen bei der stationären Behandlung schizophrener Patienten möglich, die dann allerdings im stationären Sektor auch realisiert werden müssten, so Fritze. Als chronische Erkrankung sei die Schizophrenie im Übrigen prädestiniert für eine Integrationsversorgung, die Fritze allerdings generell für nicht durchsetzbar hält.
Professor Möller wies auf das Dilemma der niedergelassenen Ärzte hin, den GKV-Patienten teure Medikamente nicht privat verordnen zu dürfen, selbst wenn diese den Wunsch äußern, die Arzneimittelkosten selbst zu tragen. Die hohen Verordnungszahlen atypischer Antipsychotika in den USA seien letztlich nur möglich, weil die Patienten die Kosten weitgehend selbst aufbrächten.
Nicht nur Unterversorgung, sondern auch Unterdiagnose
Nicht nur eine Unterversorgung, sondern auch eine Unterdiagnose konstatierten Fritze und Möller bei Depressionen. Lediglich ein Drittel der depressiv Kranken würde überhaupt erkannt, und nur 11 Prozent erhielten eine adäquate Behandlung. Das spreche gegen die derzeit diskutierten Hausarztmodelle, denn die meisten depressiv Kranken suchen wegen ihrer im einzelnen unspezifischen Beschwerden zunächst den Hausarzt auf. Fritze und Möller forderten in diesem Zusammenhang, eine psychiatrische Ausbildung zum festen Bestandteil der Weiterbildung zum Allgemeinarzt zu machen. Bei der Pharmakotherapie von Depressionen droht Deutschland nach Möllers Ansicht auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückzufallen. Nur etwa 14 Prozent der Patienten erhielten eines der neueren, dank ihrer Selektivität besser verträglichen Antidepressiva (USA: 70 Prozent).
Noch dramatischer sei die Situation dementer Patienten, die nur in 1 Prozent der Fälle einen dafür zugelassenen Cholinesterasehemmer erhielten. Hier seien zwar die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt, sodass man nach jedem Strohhalm greifen müsse. Aber die modernen Cholinesterasehemmer seien angesichts der Möglichkeit, die Heimeinweisung um bis zu ein Jahr zu verschieben, mehr als nur ein Strohhalm.
Um die Behandlung psychischer Erkrankungen nach dem Stand der Wissenschaft realisieren zu können, forderten Fritze und Möller ein medizinisch orientiertes Korrektiv der Richtgrößen. Das geplante, rein ökonomische Benchmarking könne medizinischen Anliegen nicht gerecht werden, und auch die derzeit geltenden Richtgrößen seien in ihrer regionalen Verschiedenheit lediglich Ausdruck des ökonomisch orientierten Verhandlungsgeschicks der Vertragspartner.
Vehement wandten sich Fritze und Möller gegen eine Positivliste. Angesichts der Besetzung der dafür vorgesehenen Kommission mit lediglich neun Personen sei nicht damit zu rechnen, dass die Liste mit dem nötigen Sachverstand zusammengestellt werde. Das Bundesgesundheitsministerium leiste sich für die wissenschaftliche Bewertung im Zulassungsverfahren mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sehr viel mehr Wissenschaftlichkeit.
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