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Galenik
A. Hensel, K. MeierAusfällungen in flüssigen Phyto
Problemstellung
Die Anforderungen, die an die Dosiergenauigkeit von oralen Liquida in Mehrdosen-Behältnissen gestellt werden, sind in der Monographie "Flüssige Zubereitungen zur Einnahme - Liquidaperoralia" des Europäischen Arzneibuches beschrieben [1]. Dort werden unter anderem eine Begrenzung der Tropfgeschwindigkeit auf maximal zwei Tropfen pro Sekunde sowie Grenzen der Streuung einzelner Dosen (höchstens 10% Abweichung vom Mittelwert aus zehn Messungen) gefordert. Die errechnete Masse aus zehn Dosen darf außerdem nicht mehr als 15% vom spezifizierten Nominalwert abweichen [1].
Obwohl durch diese Vorgaben weitgehende Qualitätsanforderungen festgeschrieben sind, stellt die exakte Dosierung durch Tropfen bis heute in der Praxis eine Problem dar [2, 3]. Die Dosiergenauigkeit oraler Liquida unterliegt mehreren Einflussgrößen: Zum einen beinflussen physikalische Parameter der Lösung, wie etwa die Viskosität und Oberflächenspannung, die Tropfcharakteristik, zum anderen wird diese auch durch die Tropfmontur (Senkrecht- oder Randtropfer, Abtropfrille) sowie durch die jeweilige Handhabung (Neigungswinkel, Klopfen) beeinflusst.
Bei Phytopharmaka finden sich überproportional häufig orale Liquida, die durch Tropfen dosiert werden. Die während der Lagerung häufig auftretenden Ausfällungen in solchen Lösungen waren bereits Gegenstand einer früheren Untersuchung [4]. Die Ausfällungen, die in der Regel als Hauptbestandteile Polysaccharide enthalten, neigen zur Aggregation und in späteren Stadien zum Zusammenbakken [4, 5]. Die folgende Untersuchung zeigt, inwieweit solche Präzipitate die an sich schon kritische Dosiergenauigeit flüssiger Präparate mit Tropfmontur beeinflussen können.
Umfang der Untersuchungen
Wir haben in einem ersten Schritt 182 unterschiedliche flüssige Phytopharmaka, die tropfenförmig zu dosieren sind, in der Tropfflasche optisch vor einer Lichtquelle auf Klarheit der jeweiligen Lösungen untersucht. Hierbei zeigten sechs Präparate (3,3%) Ausflockungen in verschieden starker Ausprägung (I bis VI in Tab. 1 und Abb. 1).
Da die optische Beurteilung des Flascheninhaltes durch die Braunglasgefäße hindurch schwierig ist, haben wir in einem zweiten Schritt willkürlich 44 Präparate ausgewählt und ihren Flascheninhalt in Bechergläser umgefüllt. Die optische Begutachtung ergab, dass in 14 Fällen (32%) teilweise massive Präzipitate vorlagen.
Von den Präparaten I, IV und V konnten zusätzlich zu den Mustern, die Ausflockungen enthielten, präzipitatfreie Chargen erhalten werden. Dies ermöglichte es, vergleichend die Dosiergenauigkeit von präzipitathaltigen und präzipitatfreien Chargen desselben Präparates zu testen. Der Test der Dosierung und der Gleichförmigkeit der Dosierung erfolgte bei allen Präparaten gemäß den Vorgaben des Europäischen Arzneibuches. Hierzu wurde vor Versuchsbeginn festgestellt, ob es sich um einen Randtropfer (Präparate I, IV, V, VI) oder um einen Senkrechttropfer (Präparate II, III) handelt.
Lediglich für die Präparate I und II wurden im Beipackzettel Angaben zur Handhabung (Neigungswinkel) gemacht, die bei den Tropfversuchen eingehalten wurden. Für die Präparate IV, V und VI mit Randtropfer wurden die Versuche mittels einer speziellen Halteschablone mit einem Neigungswinkel von 30 bis 45° durchgeführt, um einheitliche Versuchsbedingungen zu erhalten.
Ergebnisse der Untersuchungen
Die beiden Chargen des Präparates I - mit und ohne Ausfällungen - entsprachen hinsichtlich der Tropfgeschwindigkeit den Arzneibuchanforderungen. Beide Chargen verfehlten jedoch die Prüfung auf Gleichförmigkeit der Dosierung, da für die präzipitatfreie Charge einer von zehn Messwerten, bei der präzipitathaltigen Charge sogar zwei Messwerte außerhalb der erlaubten Streuung lagen. Das Präzipitat konnte die Tropfeigenschaften dieses Präparates nicht sonderlich beeinflussen, da die ausgefällten Partikel kleinere Durchmesser als die Öffnung der Tropfmontur aufwiesen. Erwartungsgemäß waren somit auch die ausgetropften Einzeldosen stark getrübt, und die Tropfmontur verstopfte nicht.
Präparate mit Senkrechttropfer
Im Gegensatz hierzu entsprachen die Präparate II und III, die mit Senkrechttropfern ausgerüstet sind, nicht den Anforderungen des Arzneibuches, da die relativ stark ausgeprägten Präzipitate zu erheblichen Verstopfungen der Tropfeinsätze führten (Tab. 2). Im Fall von Präparat II mussten alle Messversuche, bei Präparat III neun von zehn Versuchen abgebrochen werden, da die Tropfer verstopften und auch durch leichtes Klopfen und Schütteln oder Veränderung des Neigungswinkels keine Verbesserung eintrat (Abb. 2 und Abb. 3).
Bei beiden Präparaten konnte beobachtet werden, dass bei senkrechter Tropfhaltung der Flasche die bodenständigen Sedimente direkt in den Bereich des Tropfeinsatzes "hineinfallen" und nicht, wie bei Schräghaltung, eher an den Gefäßwänden zu liegen kommen. Wegen der Verstopfungen war eine ordnungsgemäße Prüfung auf Gleichförmigkeit der Dosierung bei diesen Präparaten nicht möglich.
Präparate mit Randtropfer
Von Präparat IV (Misteltropfen) wurden jeweils eine präzipitathaltige und eine präzipitatfreie Charge untersucht. Die klare Lösung entsprach hinsichtlich der Tropfgeschwindigkeit den Anforderungen, während die Tropfenmasse in einem von zehn Fällen außerhalb der Arzneibuchspezifikation lag. Im Gegensatz hierzu zeigte die präzipitathaltige Charge ausgesprochen starke Verstopfungen der Tropfmonturen. Innerhalb einer Zehnerserie kam es zu acht Verstopfungen, die zum Versuchsabbruch führten.
In einer weiteren Serie von 30 Versuchen konnte innerhalb einer angemessenen Zeit (30 Sekunden) lediglich zehnmal die Solltropfenzahl erreicht werden (33%); dem standen 20 Abbrüche (67%) gegenüber (Abb. 4). Die präzipitathaltigen Chargen entsprechen somit nicht den Anforderungen des Arzneibuches.
Ähnliche Ergebnisse wurden bei der Untersuchung von Präparat V (Weißdorntropfen) erhalten. Hierbei entsprach die präzipitatfreie Charge zwar der Prüfung auf Gleichförmigkeit der Dosierung; die Tropfgeschwindigkeit war mit 2,7 Tropfen pro Sekunde jedoch eindeutig zu hoch. Die präzipitathaltige Charge zeigte hinsichtlich der Tropfgeschwindigkeit und der Gleichförmigkeit der Dosierung keine Arzneibuchkonformität, da beide Prüfungen wegen Verstopfung der Tropfeinsätze nicht durchführbar waren (Tab. 2). Bei makroskopischer Untersuchung der benutzten Tropfeinsätze war erkennbar, dass die Öffnungen mit Partikeln verklebt waren.
Ein etwas anderes Ergebnis zeigte sich bei dem präzipitathaltigen Präparat VI (Ginkgotropfen). Hier verstopfte der Tropfeinsatz nicht. Die Gleichförmigkeit der Tropfenmassen lag im Rahmen der Anforderungen der Ph. Eur., während die Tropfgeschwindigkeit mit fünf Tropfen pro Sekunde fast als strahlartig und damit als nicht arzneibuchkonform zu bewerten ist.
Interessant ist nun bei diesem Präparat, dass die massiv vorhandenen, bis 5 mm großen verbackenen Teilchen des Präzipitates keinen Einfluss auf die Dosiergenauigkeit haben. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass diese relativ großen Ausfällungen bei dem gewählten Neigungswinkel fast nicht in die Flaschenspitze und damit in den Bereich des Tropfeinsatzes gelangen, da sie zwar vom Flaschenboden weggeschwemmt werden, aber nach relativ kurzer Wegstrecke an den Gefäßwandungen der Flasche zum Liegen kommen.
Diskussion der Ergebnisse
Von verschiedenen flüssigen Phytopharmaka des deutschen Marktes, die tropfenförmig dosiert werden, zeigten etwa 30% massive, teilweise zusammengebackene Ausfällungen. Die mit diesen Präparaten durchgeführten Tropfversuche belegten deutlich, dass ihre Dosierung in Abhängigkeit von der Größe und Beschaffenheit dieser Präzipitate negativ beeinflusst werden, was bis zur vollständigen Verstopfung der Tropfmonturen führt. Solche Präparate weisen sicher nicht die geforderten Qualitätskriterien für Arzneimittel auf.
Wohlgemerkt tritt nicht in jedem Fall von Ausfällungen in flüssigen Phytopharmaka eine Beeinträchtigung der Dosiergenauigkeit auf. Sind die Präzipitate sehr klein, sozusagen in statu nascendi, werden sie einfach mitdosiert ohne den Tropfeinsatz zu verstopfen. Sind die Präzipitate sehr massiv ausgeprägt, gelangen sie bei Randtropfern nicht bis zum Tropfeinsatz.
Ausflockungen in flüssigen Phytopharmaka sind keine statischen Effekte, sondern sie entstehen allmählich während der Lagerzeit durch Ausfällungen von (überwiegend) Polysacchariden [4, 5], wachsen und verdichten sich während der weiteren Lagerung und können zu späteren Zeitpunkten durch Verbacken massive Sedimente bilden. Entsprechende Laufzeitspezifikationen sollten darum auch immer die Klarheit der Lösungen, eine Spezifikation der möglichen Präzipitate hinsichtlich Menge und Beschaffenheit und Prüfungen auf Dosiergenauigkeit beinhalten.
Senkrecht- oder Randtropfer?
Im Rahmen der durchgeführten Prüfungen fiel auf, dass die Hersteller Randtropfer gegenüber Senkrechttropfern präferieren. Nach dem derzeitigen Stand der Technik gelten jedoch Senkrechttropfer als Mittel der Wahl zur optimalen Dosierung von oralen Liquida [2, 3, 6]. Dies begründet sich damit, dass bei Randtropfern je nach Abrisswinkel die Tropfenmassen und damit auch die Dosiergenauigkeit starken Schwankungen unterliegen.
Diese Problematik spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Prüfung auf Gleichförmigkeit der Dosierung (Tab. 2) wider, die für zwei von fünf Präparaten mit Randtropfern nicht arzneibuchkonform sind. Auch die Tropfgeschwindigkeit entsprach bei zwei Präparaten nicht den Forderungen des Arzneibuches (Tab. 2); drei bis fünf Tropfen pro Sekunde sind nicht nur formal zu viel, sondern ermöglichen dem Patienten auch keine vernünftige Dosierung.
Material und Methoden
Die Prüfung der Arzneimittelmuster auf vorhandene Präzipitate erfolgte nach kräftigem Schütteln der Flaschen und Betrachtung des Inhaltes gegen eine ausreichend starke Lichtquelle. Die Prüfung auf Dosierung und Gleichförmigkeit der Dosierung erfolgte nach den Vorgaben des Europäischen Arzneibuchs 3. Ausgabe 1997, Monographie "Flüssige Zubereitungen zur Einnahme" [1]. Die bei Randtropfern notwendige Neigung des Behältnisses wurde durch eine spezielle Halteschablone mit Winkelbereichen von 30, 45, 60 und 90° sichergestellt. Sofern bei Randtropfern im Beipackzettel der entsprechenden Präparate keine Angabe zum Neigungswinkel gegeben war, wurde ein Bereich von 30 bis 45° eingestellt.
Mittels Stoppuhr wurde die zum Austropfen einer Dosis benötigt Zeit gemessen (Tropfgeschwindigkeit). In der Regel wurden hierfür nach Vorschrift des Arzneibuchs zehn Einzelversuche durchgeführt. Alle Versuche wurden mindestens einmal durch eine unabhängige, zweite Person wiederholt. Ergaben sich zwischen den beiden Messreihen signifikante Diskrepanzen, erfolgte eine dritte oder sogar eine vierte Versuchsreihe.
Es wurden maximale Zeiten zum Austropfen der Dosis festgelegt: Solltropfenzahl
- bis 20 Tropfen maximal 30 Sekunden,
- über 20 Tropfen maximal 90 Sekunden.
Zwischen allen Messungen wurde jede Flasche mit dem vorgesehenen Verschluss verschraubt und viermal kräftig geschüttelt, um eventuell vorhandene Präzipitate homogen zu verteilen.
Literatur [1] Europäisches Arzneibuch, 3. Ausgabe. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart, und Govi Verlag, Eschborn, 1997, S. 1846. [2] Reimann, H., H. Blume: Pharm. Ztg. 138, 594-604 (1993). [3] Keipert, S., R. Voigt: Pharmazie 35, 407-412 (1980). [4] Hensel, A.: Dtsch. Apoth. Ztg. 134, 1465-1468 (1999). [5] Hensel, A.: Pharmazie 53, 572-577 (1998). [6] Kircher, W.: Arzneiformen richtig anwenden. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1995, S. 46-49.
Viele flüssige Phytopharmaka werden durch eine Anzahl von Tropfen dosiert. Mehrere Versuchsreihen zeigten, dass dabei die für die korrekte Arzneimittelanwendung wichtige Gleichförmigkeit der Dosierung oft nicht gegeben ist. Ausfällungen können die Tropfmontur verstopfen.
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