Praxis

R. SüverkrüpQualitätsmanagement in der Praxis

Über Sinn und Unsinn von apothekenspezifischen Qualitätsmanagementsystemen wird gestritten. Ein wesentliches Ziel des Qualitätsmanagements ist, fehlerträchtige Abläufe für alle Beteiligten zufriedenstellend, eindeutig und auch für Dritte nachvollziehbar zu regeln. Das gilt in der Apotheke nicht nur für die Eigenherstellung, sondern vor allem für die Beratungstätigkeit.

Geradezu klassisch ist ein Beispiel im Juli-Heft der Zeitschrift "test" [1]. Die Testkäuferin, eine junge Frau, verlangte in 20 Apotheken in Berlin und Neuruppin ein Abführmittel. Angesichts des bekannten Missbrauchsrisikos erwartete die "test"-Redaktion vom pharmazeutischen Personal, dass mindestens der Versuch gemacht werden sollte,

  • die Kundin nach Schwere und Dauer der Verdauungsstörungen zu fragen,
  • mögliche Ursachen (z.B. Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsarmut) abzuklären,
  • sie bei Verdacht auf behandlungsbedürftige Erkrankungen auf die Notwendigkeit ärztlicher Hilfe hinzuweisen und
  • sie anderenfalls über risikoärmere Möglichkeiten zur Behebung des Problems zu informieren, wenn denn überhaupt eines vorlag.

Diese Forderungen sind vernünftig, selbst wenn schlecht informierte Kunden das nicht so sehen.

Es gibt die schwierigen Kunden

Das Beispiel ist in mehrfacher Hinsicht exemplarisch: Jeder Arzt, jeder Apotheker und jede PTA kennt den aggressiv-fordernden Patienten- und Kundentyp, der Arzneimittel für andere Zwecke benutzt als zur Behandlung der Gesundheitsstörungen, für die sie vorgesehen sind. Die Risiken seines Verhaltens kennt er nicht, oder er verdrängt sie, und an Informationen ist er nicht interessiert.

Mit solchen Klienten ist es schwierig, ein Beratungsgespräch anzufangen und erfolgreich zu führen. Als Apotheker(in) und PTA muss man dafür eine hohe Hemmschwelle bei sich selbst und beim Gesprächspartner überwinden. Es ist zwar falsch, bei jedem Patienten davon auszugehen, dass er zu diesem Typ gehört, aber es ist bequem und spart Zeit und Kräfte - ein nicht geführtes Gespräch kann auch nicht mit einer Enttäuschung enden.

Schließlich sind sich alle Angehörigen der Gesundheitsberufe des Konflikts zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und berufsethischen Ansprüchen bewusst. Das gilt insbesondere für angestellte Apothekerinnen und Apotheker, die möglicherweise Vorhaltungen befürchten, wenn eine inhaltlich erfolgreiche Beratung zu einer aktuellen Umsatzeinbuße führt. Der Konflikt verliert allerdings an Schärfe, wenn man statt der Tageskasse längere Zeiträume betrachtet und das Vertrauen von Stammkunden als Grundlage des Geschäfts betrachtet.

Verhaltensregeln gemeinsam erarbeiten

Vom Standpunkt des Qualitätsmanagements ist typisch, dass es sich hier um eine Situation handelt, die in der Regel für einen oder mehrere Beteiligte unbefriedigend gelöst wird, wenn man sie sich selbst überlässt und auf eine "spontane" Lösung hofft. Besser ist es, vorab im Team gemeinsame Verhaltensregeln zu erarbeiten und darauf zu achten, dass sie auch eingehalten und bei Bedarf revidiert werden.

Gerade in psychologisch schwierigen Bereichen, an die alle Beteiligten nur ungern herangehen, sind solche Regeln wichtig, weil sie für Transparenz sorgen und dazu beitragen, dass Anforderungen offen ausgesprochen werden. Nur dann kann auch einvernehmlich geprüft werden, ob sie erfüllt werden können und zumutbar sind.

Wenn die Regeln schriftlich vorliegen und übersichtlich geordnet sind, können neue Mitarbeiter sie zur Kenntnis nehmen und gegebenenfalls noch einmal nachlesen, ohne befürchten zu müssen, dass sie etwas Wichtiges überhört oder vergessen haben. In dieser Form können sie auch in angemessenen Zeiträumen überarbeitet, der Entwicklung angepasst oder durch bessere Vorgehenswesen ersetzt werden.

So wichtig die Schriftform für das Gerüst eines QM-Systems ist, das Muster einer Beratungsleitlinie im Anhang zeigt auch, dass sie z.B. für die Begrüßung des Patienten und die Eröffnung des Beratungsgesprächs denkbar ungeeignet ist. Hier können Punkte nur angedeutet werden, die in der Realität anders formuliert werden müssen, weil darin der Stil der Apotheke und die Persönlichkeiten der Gesprächspartner zum Ausdruck kommen. Zum Einüben der Gesprächsführung ist das Rollenspiel die angemessene Methode.

Das Bewusstsein, gute Arbeit zu leisten

Aus Sicht der Apotheke und ihrer Mitarbeiter ist nicht das Zertifikat das Wichtigste an einem Qualitätsmanagementsystem, sondern das Bewusstsein, nachweislich gute Arbeit zu leisten und weder über- noch unterfordert zu sein. Bei den stärkeren Mitgliedern des Teams kommt hinzu, dass sie ihr Arbeitsumfeld aktiv mitgestalten können und bei den schwächeren, dass sie von ihren Kollegen die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. allen gemeinsam ist der Eindruck, an einer positiven Entwicklung teilzuhaben.

Welches QM-System ist das Richtige?

Unter Apothekern, die dem Qualitätsmanagement grundsätzlich positiv gegenüberstehen, wird zur Zeit die Diskussion durch die Aufsplitterung in "Schulen" belastet, zwischen denen erbittert über Umfang, Form und Inhalt des QM-Systems, Qualifizierung, Auditierung und Zertifizierung gestritten wird. Bei Auseinandersetzungen, in denen es um Ansehen, Einfluss und Geld geht, ist das normal. Diese Stimulanzien für Ideen und Initiativen sind für die Entwicklung notwendig, aber sie können auch die Bewertung von Alternativen beeinträchtigen und dazu verleiten, falsche Prioritäten zu setzen.

Inhaltlich geht es ja nur darum, ob der zeitliche und finanzielle Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum erwarteten Ertrag steht. Da können je nach den Umständen verschiedene Lösungen zweckmäßig sein. Konkurrenz belebt natürlich auch im QM-Bereich das Geschäft, aber Kooperation ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg auf breiter Basis.

Während die Kosten für die Einführung eines QM-Systems relativ leicht kalkulierbar sind, kann der Nutzen nicht immer sofort in barer Münze abgerechnet werden, entweder weil er überhaupt nicht zahlenmäßig erfassbar ist wie die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit oder weil er in subtileren Maßzahlen zum Ausdruck kommt, wie z.B. der Personalfluktuation, der Bereitschaft, persönliche Interessen zeitweise gegenüber Anforderungen des Apothekenbetriebs zurückzustellen, dem Engagement in Fort- und Weiterbildung sowie im Krankenstand. Auch die Kundenbindung ist eine solche Größe, die zwar wichtig, aber nicht leicht zu quantifizieren ist.

Die QM-Fraktionsbildung geht bis in die Terminologie hinein, wo die einheitlichen Regelungen je nach "Glaubensrichtung" neudeutsch als "Standard Operating Procedures" (SOPs), altpreußisch als "Arbeitsanweisungen" (vergleiche: "Heeresdienstvorschrift"), wertneutral als "Prozesse" oder mit positiver Grundstimmung als "Praxishilfen" bezeichnet werden.

Hier soll es um ein parteiübergreifendes Modell gehen, bei dem der Blick nicht durch materielle Interessen an Qualifizierungsprogrammen oder Auditierung getrübt ist. Deshalb wird das nachfolgende Beispiel für den Umgang mit einer Kundin (kein chauvinistisches Vorurteil, Frauen sind tatsächlich häufiger betroffen bei der Fehlanwendung oder Missbrauch von Analgetika als vermutet wird), als "Beratungsleitlinie" bezeichnet. Zahlreiche ähnliche Beispiele für das Qualitätsmanagement in der Patientenberatung finden sich im Bereich des "Pharmaceutical Care" [2].

Weiter Gestaltungsspielraum

Es ist offensichtlich, dass für die einzelne Apotheke ein weiter Gestaltungsspielraum besteht, solange allgemein verbindliche Mindeststandards eingehalten werden. Diese sollten zweckmäßigerweise bundeseinheitlich in einem transparenten Verfahren von den Kammern und Verbänden erarbeitet werden, bei dem wie bei Industrienormen Entwürfe publiziert werden und die interessierte (Fach-)Öffentlichkeit rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme bekommt. Bei Vorgaben von staatlicher Seite sind langwierige parlamentarische Prozesse zu befürchten, bei denen sachfremde Erwägungen erhebliches Gewicht bekommen können, oder schwer nachvollziehbare Verwaltungsakte, die u.U. praxisfern und nachträglich nur schwer korrigierbar sind.

Neue Möglichkeiten durch Telekommunikation

Das Qualitätsmanagement in der Beratung hat einen weiteren Aspekt, der bisher noch zu wenig diskutiert wird: den Einfluss des technologischen Wandels und der Globalisierung auf die Apothekenpraxis. Die Telekommunikationstechnik eröffnet Möglichkeiten für den Handel mit Arzneimitteln, von denen absehbar ist, dass sie mit gesetzlichen und anderen rechtlichen Einschränkungen nicht zu kontrollieren sind.

Es ist gut und richtig, wenn Apotheker die neuen technischen Möglichkeiten dazu nutzen, um sich z.B. Ärzten und Krankenkassen gegenüber als anbieterneutrale Vermittler von Informationen über Arzneimittel und deren zweckmäßige Anwendung zu profilieren (über die Vergütung der Tätigkeit von pharmazeutischen Informations-Brokern wird bei anderer Gelegenheit zu reden sein) oder in Chat-Groups von Kollegen, die man persönlich gar nicht kennt, Tipps zu bekommen. Auch ist die Gestaltung einer Apotheken-Website ein schönes Hobby, wahrscheinlich aber ohne nennenswerte wirtschaftliche Konsequenzen.

Umgang mit Arzneimitteln schwieriger als mit Videorekorder

Angesichts der vorherrschenden Technik-Euphorie lohnt es sich aber auch, darüber nachzudenken, was Versandapotheken und Arzneimittelinformations-Call-Center nicht können: Kunden und Ärzten den Eindruck persönlicher Kompetenz und Unabhängigkeit zu vermitteln und ihnen Dienstleistungen anzubieten, die auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind, selbst wenn Ihnen diese Bedürfnisse gar nicht bewusst sind oder sie sie am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen möchten. Das Leitbild von "informierten und mündigen Kunden" gilt ja nur mit Einschränkungen und für eine Minderheit. Wir alle sind auf vielen Gebieten auf die Beratung von Fachleuten angewiesen, die die Fülle der Informationen überblicken und ordnen können.

Entgegen dem Augenschein ist der richtige Umgang mit Arzneimitteln, wie wir wissen, schwieriger als der mit Videorekordern. Die Informationspolitik vieler pharmazeutischer Unternehmen trägt allerdings nicht dazu bei, den ApothekerInnen diese Aufgabe zu erleichtern.

Zwischen Standardisierung und Individualisierung

Eine wichtige aktuelle Aufgabe aller Offizinapotheker ist es, einen Weg zwischen Standardisierung von Dienstleistungen und individuellem Patientenservice zu suchen und die Leitlinien ihrer Tätigkeit für sich selbst und andere transparent zu machen [3]. Dabei sind die Methoden des Qualitätsmanagements ein wichtiges Hilfsmittel, aber kein Selbstzweck.

Sie können aber dazu beitragen, den verbreiteten Verdacht zu entkräften, dass die Tätigkeit von ApothekerInnen so weitgehend ökonomisch motiviert ist, dass sie in ein moralisches Defizit geraten sind, wie "test" feststellt [1]. Es ist ein schwacher Trost, dass dieser Verdacht in der aktuellen Diskussion über die Struktur und Zukunft des Gesundheitswesens nicht die Apotheken allein trifft.

Aus Kritik lernen

Solche Kritik anzunehmen, ist bitter. Das statistische Argument, die Stichprobe sei zu klein und auch regional nicht repräsentativ, trifft aber daneben: das Ergebnis scheint nicht untypisch zu sein und man muss etwas dafür tun, dass es sich so nicht wiederholt. In der Industrie ist die Behandlung von Mängelrügen (Complaint-Handling) ein wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagements, sie sollte es auch in der Apotheke sein. Es gilt der Grundsatz: Fehler lassen sich nicht immer vermeiden, aber man muss ihre Ursachen finden, sie abstellen und nicht den Eindruck aufkommen lassen, man habe etwas zu verheimlichen. Auch die Ansicht "Wenn sie es nicht von uns bekommt, gibt es ihr der Kollege" ist kurzsichtig und letztlich ein Armutszeugnis für den Berufsstand.

Es hat keinen Sinn, über die "test"-Kritik zu lamentieren und in die Opferrolle zu schlüpfen. Vielmehr muss man der "test"-Redaktion dankbar sein, dass sie Anforderungen an die Qualität des Beratungsgesprächs so präzis formuliert hat. Sie sind nicht leicht zu erfüllen, aber das Beispiel zeigt auch, dass es möglich ist. Erkannte Fehler sind etwas Positives - man kann daraus lernen.

Über Sinn und Unsinn von apothekenspezifischen Qualitätsmanagementsystemen wird gestritten. Professor Süverkrüp, Bonn, zeigt in seinem Beitrag, dass mit einem guten Qualitätsmanagementsystem fehlerträchtige Abläufe für alle Beteiligten zufriedenstellend, eindeutig und auch für Dritte nachvollziehbar geregelt werde können. Das gilt nicht nur für die Eigenherstellung, sondern vor allem für die Beratungstätigkeit.

Ziel Einheitliche Vorgehensweise bei Kunden, die im Handverkauf Schmerzmittel verlangen, und bei denen akut die Gefahr des Fehlgebrauchs oder der Abhängigkeit erkennbar ist.

Grundsätze

  • Moralisierende Ansprache unbedingt vermeiden
  • Konkretes Hilfsangebot machen
  • Erkennen lassen, dass der Apotheke das langfristige Wohlergehen des Kunden wichtiger ist als kurzfristige wirtschaftliche Erwägungen

    Beispiel für Gesprächsanknüpfung

    (Kontaktaufnahme mit Kundin, deren Namen nicht bekannt ist) Kundin: "Eine große Packung bitte." Apotheker(in): "Sie sind eine unserer besten -Kundinnen. Haben Sie den Eindruck, dass es Ihnen wirklich noch hilft? Sie wissen ja, wenn man es längere Zeit nimmt, wird das Risiko ziemlich groß, dass es mehr schadet als nützt. Ich möchte Sie aber gern noch möglichst oft gesund wiedersehen. Wenn es Ihnen recht ist, können wir bei Gelegenheit auch gern länger über Ihr Schmerzproblem sprechen, dann finden wir vielleicht noch einen besseren Weg."

    Weiterführung des Kontakts

  • Alternative 1: Die Kundin besteht auf ihrem Wunsch. Gewünschtes Arzneimittel abgeben, kleinere Packung mit dem Hinweis empfehlen, dass dies nur eine kurzfristige Lösung ist. Gespräch mit dem Hausarzt anraten und weitere Beratung anbieten.
  • Alternative 2: Augenblicklich ist keine Gelegenheit zum Beratungsgespräch (Kundin hat keine Zeit oder viel Kundschaft in der Apotheke). Termin zu einer normalerweise ruhigen Geschäftszeit vereinbaren und kleine Packung des gewünschten oder eines anderen Arzneimittels anbieten mit dem Hinweis: "Damit können Sie etwas gegen Ihre Beschwerden tun, bis wir uns ausführlicher unterhalten können." Gespräch termingerecht vorbereiten – Adressenlisten und Unterlagen bereit legen, wichtige Punkte und aktuelle Informationen noch einmal nachlesen. Vorschlag: Führung eines Schmerztagebuchs.
  • Alternative 3: Kurzes, unvorbereitetes Beratungsgespräch. Anamnese: Beschwerden seit wann, wie stark? Seit wann nehmen Sie das Mittel schon, wie oft, in welcher Menge? Weitere Beschwerden und Medikamente? (Sofern keine Aufzeichnungen in der Apotheke vorliegen) Haben Sie schon mit Ihrem Hausarzt über das Problem gesprochen?

    Ziel der Beratung

    In jedem Fall Umstellung der Selbstbehandlung auf risikoärmere Alternativen (Hausmittel) oder wirksame ärztliche Hilfe – bevorzugt durch Hausarzt. Wenn der Patient das nicht wünscht oder andere Gründe dagegen sprechen – Verweis auf Spezialisten oder Selbsthilfegruppe.

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