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Arzneimittel und Therapie
Vitamine: Natürliches oder synthetisches Vitamin E?
Vitamin E ist eine Sammelbezeichnung für alle natürlich vorkommenden oder synthetisch gewonnenen Tocopherole und Tocotrienole, die die biologische Aktivität von α-Tocopherol aufweisen. Dies sind α-, β-, γ- und δ-Tocopherol und -trienol, die sich durch verschiedene Methylierungspositionen unterscheiden. Hiervon ist das α-Tocopherol in der Natur die häufigste und zugleich biologisch wirksamste Substanz.
Ob die übrigen Derivate darüber hinaus spezifische Wirkungen besitzen, wurde bisher nicht erschöpfend untersucht. Die Substanzen verfügen über jeweils drei Chiralitätszentren und kommen in der Natur stets in der RRR-Form vor, die zugleich die höchste biologische Wirksamkeit aufweist. Bei der synthetischen Gewinnung entstehen dagegen alle acht möglichen Stereoisomere von α-Tocopherol, d.h. das Racemat all-rac-α-Tocopherol. Verarbeitet werden zumeist Tocopherolacetate, da diese weitaus weniger licht- und sauerstoffempfindlich sind als die Tocopherole selbst. Die Acetate werden nach Einnahme hydrolisiert, so dass Vitamin E resorbiert werden kann.
Biologische Wirkung kaum standardisierbar
Bei Angaben von Vitamin-E-Mengen in Internationalen Einheiten (I.E.) müssen die unterschiedlichen biologischen Wirkungen der verschiedenen Isomere und Derivate berücksichtigt werden. So ist eine I.E. Vitamin E definiert als 1 mg all-rac-α-Tocopherolacetat. Dies besitzt jedoch nur etwa 67% der biologischen Wirkung von RRR-α-Tocopherol.
Beim Vergleich von Konzentrationsangaben ist daher zu beachten, ob sie sich auf Internationale Einheiten oder ein bestimmtes Tocopherolderivat beziehen. Doch ist die Aussagekraft des Umrechnungsverfahrens durchaus kritisch zu sehen. Denn die biologische Wertigkeit der Substanzen wird mit Hilfe des Feten-Resorptionstests festgelegt. Dabei wird der Anteil lebensfähiger Rattenfeten ermittelt, die in Ratten mit kontrollierter Vitamin-E-Versorgung durch die zu testende Substanz heranwachsen.
Inwieweit diese Ergebnisse auf physiologische Wirkungen am Menschen übertragen werden können, ist zweifelhaft, zumal Vitamin E für eine immer weiter steigende Zahl von Indikationen eingesetzt wird, die in keinem Zusammenhang zur Fortpflanzungsfähigkeit stehen.
Auf die Menge kommt es an
Nach derzeitigem Kenntnisstand wird natürliches Vitamin E durch das Tocopherol-Transfer-Protein in der Leber bevorzugt in neugebildete VLDL eingeschleust. Außerdem wird natürliches Vitamin E später wieder ausgeschieden und hat damit eine höhere Bioverfügbarkeit. Der Unterschied zwischen natürlichem und synthetischem Vitamin E wäre demnach in der Praxis primär eine Frage der Mengen. Bei einer hochdosierten therapeutischen Anwendung von Vitamin E dürfte daher kein relevanter Unterschied bestehen. Bei einer sehr geringen Vitamin-E-Versorgung oder einer Substitution mit sehr niedrig dosierten Präparaten könnte der Unterschied dagegen bedeutsam werden.
Einen Sonderfall bilden Allergiker, denen vorzugsweise synthetisches Vitamin E empfohlen werden sollte. Denn dies ist eine chemisch definierte Substanz, während das Naturprodukt zwangsläufig die weiteren Derivate und geringe Mengen verwandter Begleitstoffe aus dem pflanzlichen Ausgangsmaterial, zumeist Sojaöl, enthält.
Anwendung in Prophylaxe und Therapie
Die Auswahl zwischen natürlichem und synthetischem Vitamin E hängt daher zumeist mit dem jeweiligen Anwendungsgebiet und der angemessenen Dosis zusammen. Klassisches Anwendungsgebiet ist der schwer diagnostizierbare Fall von Vitamin-E-Mangel. So sollte bei neurologischen Ausfallerscheinungen im Zusammenhang mit Resorptionsstörungen, die meist durch Mangel an verschiedenen Vitaminen oder Nährstoffen ausgelöst werden, auch an eine Vitamin-E-Substitution gedacht werden.
Daneben wird Vitamin E zur Prophylaxe und Therapie gegen eine Vielzahl von Krankheitsbildern eingesetzt. Dies sind insbesondere rheumatische Erkrankungen und Arteriosklerose. Weitere Anwendungen sind die komplementäre Schmerztherapie und der unterstützende Einsatz bei Demenzerkrankungen in der Geriatrie. Diese Anwendungen stützen sich mittlerweile auf eine Vielzahl von Anwendungsbeobachtungen und klinischen Doppelblind-Studien, doch steht eine Anerkennung der Indikationen durch die Zulassungsbehörden bisher aus. Auch die gängigen Verzehrempfehlungen orientieren sich bisher nur an der Vermeidung von Mangelzuständen und nicht an der angestrebten Prophylaxe degenerativer Erkrankungen.
Vielfältige Wirkungsmechanismen in der Diskussion
Ebenso vielfältig wie die möglichen Indikationen sind die denkbaren, zum Teil synergistischen Wirkungsmechanismen. Bekannt sind die Aufgaben des Vitamin E als Radikalfänger und Antioxidans. Daneben beeinflusst Vitamin E den Arachidonsäurestoffwechsel, was für die antirheumatische Wirkung mitverantwortlich sein dürfte. Vitamin E hat bei dieser Indikation in Studien ermöglicht, die Dosierung nichtsteroidaler Antirheumatika in klinisch relevantem Umfang zu reduzieren. Außerdem hemmt es die Proteinkinase C, was bei entzündlichen Bindegewebserkrankungen vorteilhaft sein kann. Weiterhin vermindert Vitamin E die Thrombozytenaggregation. Im Zusammenhang mit dem antioxidativen Effekt wird dies als Wirkprinzip gegen arteriosklerotische Erkrankungen angesehen. So verspricht Vitamin E eine synergistische Prophylaxe gegen Herzinfarkt und Schlaganfall. Dies bietet sich besonders für Diabetiker zur Prophylaxe gegen mögliche Diabetes-Folgeschäden an.
Wegen der Wirkung auf die Thrombozytenaggregation sollte bei Vitamin-K-Mangel oder Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten und gleichzeitiger Anwendung von Vitamin E die Blutgerinnung überprüft werden. Eventuell muss in solchen Fällen Vitamin K substituiert bzw. die Dosis des Gerinnungshemmers verändert werden, da Vitamin E zusätzlich gerinnungshemmend wirkt.
Dosierung
In den vielfältigen Untersuchungen wird für therapeutische Anwendungen zumeist eine Dosierung in der Größenordnung von etwa 600 I.E. pro Tag eingesetzt. Höchstdosen über 1000 I.E. pro Tag sind für wenige Tage möglich, doch können bei so hohen Dosierungen langfristig gastrointestinale Nebenwirkungen auftreten. Bei Anwendungen zur Prophylaxe finden sich in Studien zumeist Dosierungen von 100 bis 300 I.E. pro Tag. Zur Einnahme von Eisenpräparaten sollte stets ein Abstand von mindestens zwei Stunden eingehalten werden, da Eisen und Vitamin E sich gegenseitig in ihrer Resorption behindern.
Über die beschriebenen, zumeist schon seit längerer Zeit untersuchten Effekte hinaus werden immunstimulierende Wirkungen von Vitamin E, sowohl im humoralen als auch im zellulären Immunsystem, diskutiert. Vielfach untersucht, aber noch immer unklar ist die Frage, ob mit Antioxidanzien, z.B. einer Kombination aus Vitamin C und E, Krebsprävention betrieben werden kann. Überzeugender erscheint die Möglichkeit einer Prävention des Kataraktes, die tierexperimentell bestätigt werden konnte. Auch epidemiologische Studien sprechen für eine Senkung des Kataraktrisikos bei Vitamin-E-Substitution. Hierfür dürfte die antioxidative Wirkung verantwortlich sein, die die Lipidperoxidation in der Augenlinse vermindern kann.
Vermindertes Präeklampsie-Risiko
Jüngste Untersuchungen sprechen zudem für ein vermindertes Risiko der Präeklampsie durch Vitamin C und E. Bei einer Substitution von täglich 400 I.E. Vitamin E und 1000 mg Vitamin C in den ersten 16 bis 18 Wochen der Schwangerschaft wurde eine 75%ige Senkung der Präeklampsie-Rate im Vergleich zur Plazebogruppe beobachtet. Als Wirkungsmechanismus wird diskutiert, dass die antioxidativen Vitamine den oxidativen Stress vermindern, der durch mangelhaft durchblutete Plazenten entstehen kann.
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