Praxis

D. ServaisMethadontrinklösung – Problematik d

Im § 5 der Betäubungsmittel-Verschreibungs-Verordnung ist der Vergabemodus der Heroinsubstitutionsmittel detailliert vorgeschrieben. Nach mindestens sechsmonatiger erfolgreicher Teilnahme an einem Methadonprogramm kann den Drogenabhängigen das Substitutionsmittel in einer Menge von maximal sieben Tagesrationen "in einer zur parenteralen Anwendung nicht verwendbaren gebrauchsfertigen Form" zur eigenverantwortlichen Einnahme überlassen werden. Aus der Drogenszene ergab sich der Verdacht, dass die Methadontrinklösung nicht selten intravenös injiziert wird. Eine dadurch bedingte Gefährdung von Suchtkranken lässt sich vermeiden, wenn man versucht, die Injektion einer Methadontrinklösung durch geeignete Zubereitung oder Zusätze "unattraktiv" zu machen.

Bei Drogenabhängigen ergab sich der Verdacht, dass die im Rahmen des Methadonprogramms abgegebene Methadontrinklösung nicht oral eingenommen, sondern intravenös injiziert wurde. Behandelnde Ärzte hatten die Möglichkeit einer intravenösen Zufuhr der Methadontrinklösung nicht in Betracht gezogen, maßgeblich unter der Vorstellung, dass diese "in einer zur parenteralen Anwendung nicht verwendbaren gebrauchsfertigen Form" abgegeben wurde. Festgestellte punktionsverdächtige Hautverletzungen wurden auf einen Beikonsum anderer intravenöser Drogen zurückgeführt.

Dass Süchtige eine intravenöse Applikation der Methadontrinklösung praktizieren, wurde beschrieben [6, 12, 19]. In einer epidemiologischen Untersuchung in Australien von Darke et al. [6] gaben 50 Prozent aller befragten Substituierten in einem Methadonprogramm an, bereits Methadonsirup, der ausschließlich zur oralen Applikation bestimmt war, injiziert zu haben. 26 Prozent davon während ihrer gesamten Behandlungsdauer mindestens einmal wöchentlich. Maßgeblich dafür war die Verteilung durch Freunde/Bekannte sowie die eigene, nach Hause mitgenommene Dosis.

Der Modus der Heroinsubstitution

Die Abgabe des verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittels Methadon zur Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger unterliegt den Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und der Betäubungsmittel-Verschreibungs-Verordnung (BtMVV). Es ergeben sich aus der gesetzlichen Vorschrift über die Durchführung der Methadonbehandlung (§ 5 BtMVV) für die Diskussion zwei wesentliche Aspekte:

  • Solange der Patient nicht seit mindestens sechs Monaten und ohne Unregelmäßigkeiten am Methadonprogramm teilnimmt (§ 5 Abs. 7 BtMVV), ist "das Substitutionsmittel ... dem Patienten vom behandelnden Arzt, seinem ärztlichen Vertreter oder von dem von ihm angewiesenen ... Personal zum unmittelbaren Verbrauch zu überlassen" (Abs. 5). "Zum unmittelbaren Verbrauch" beinhaltet, dass die orale Einnahme täglich beobachtet werden muss, das heißt auch an Wochenenden oder Feiertagen und (nach Abs. 6) "im Falle einer ärztlich bescheinigten Pflegebedürftigkeit, bei einem Hausbesuch".
  • Nach mindestens sechsmonatiger, erfolgreicher Therapie kann "der Arzt oder sein ärztlicher Vertreter ... dem Patienten einmal in der Woche eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Substitutionsmittels aushändigen und ihm dessen eigenverantwortliche Einnahme erlauben". In diesem Fall muss jedoch (nach Abs. 3) "das Substitutionsmittel in einer zur parenteralen Anwendung nicht verwendbaren gebrauchsfertigen Form" verschrieben werden.

Zur Substitution zugelassen sind Levomethadon (L-Polamidon®), das von Hoechst zu diesem Zweck in einer ausdrücklich zur oralen Applikation zubereiteten Form angeboten wird, und das D,L-Methadon-Racemat.

Die praktische Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass überwiegend - offensichtlich aus Kostengesichtspunkten - das Methadonracemat unter Zusatz verschiedener Additiva (Tab. 1 und Tab. 2) als Trinklösung zum Einsatz kommt. Die folgenden Überlegungen beziehen sich daher auf diese Form der Substitutionstherapie.

Grundsätzlich sollte eine 1,0-prozentige Lösung verschrieben werden. In streng zu begründenden Ausnahmefällen kann eine vereinfachte Zubereitung hergestellt werden [17]. Eine intravenöse Injektion soll nach der Vorschrift des "Neuen Rezeptur-Formulariums" (NRF) [1] durch den Zusatz einer viskosen Grundlösung und der Aroma-Farbmittel-Konzentrate (Tab. 1 und Tab. 2) verhindert werden.

Viskose Grundlösung

Die Hydroxyethylcellulose 400 bewirkt eine erhöhte Viskosität der Lösung, durch übliche 20-G-Injektionsnadeln ist eine zügige Injektion aber durchaus möglich. Hydroxyethylcellulose mit einer mittleren Molekularmasse von 400000 Dalton ist vergleichbar mit Hydroxyethylstärke, die mit einer Molekularmasse von 450000 Dalton seit etwa 25 Jahren als Plasmaexpander verwendet wird.

Die intravenöse Applikation von Hydroxyethylcellulose stellte sich in Tierversuchen mit verschiedenen Spezies als nicht akut toxisch heraus [11, 16, 18]. Bei Hunden wurden auch nach wiederholten Injektionen keine Speicherphänomene festgestellt, obwohl ihnen - wie auch dem Menschen - ein Enzym zur Spaltung der Cellulose fehlt [11].

Hohe Konzentrationen von Saccharose und Glycerol bewirken eine hohe Osmolarität der Lösung und dadurch eine schmerzhafte Reizung, eventuell eine Thrombosierung der Venen bei intravenöser Zufuhr. Dieser Effekt lässt sich durch Verdünnung und/oder langsame Injektion vermeiden. Saccharose wird innerhalb von Stunden unverändert renal eliminiert [20], und Glycerol geht auf verschiedenen Wegen in den Kohlenhydrat- oder Fettstoffwechsel ein, weswegen es auch zur parenteralen Ernährung intravenös verabreicht wird.

Aroma, Farbmittel und weitere Additiva

Eine intensive Blau- oder Gelbfärbung sowie die Aromatisierung der Methadontrinklösung stellen den größten Unsicherheitsfaktor dar. Es wurde über allergische Reaktionen gegen Chinolingelb berichtet [5], das nur für den oralen Gebrauch empfohlen wird. Nach Tierversuchen wird der Farbstoff nach intravenöser Zufuhr unverändert mit der Galle und im Urin ausgeschieden [26]. Contramarum als Flüssigaroma enthält natürliche und naturidentische Aromastoffe in alkoholischer Lösung (Ethanol). Patentblau wird als Diagnostikum zur Beurteilung der Durchblutung sowie in experimentellen Studien häufig intravasal injiziert. Über Nebenwirkungen - ausschließlich allergischer Art - wurde äußerst selten berichtet [2, 13].

Neben allergischen Reaktionen [21] und Herzrhythmusstörungen nach Resorption des Pfefferminzöls [23] wurden Eigenschaften von Menthol in vitro beschrieben [22], die denen von Calciumkanal-Antagonisten ähnlich sind. Weitere Bestandteile der fertigen Lösung sind Citronensäure, die im Empfängerorganismus im Citratzyklus metabolisiert wird, und als Konservierungsmittel kommen Methyl- und Propyl-4-hydroxybenzoat zum Einsatz. Diese Kombination findet sich, ebenso wie der Lösungsvermittler Propylenglykol, in zahlreichen zur intravenösen Injektion bestimmten Zubereitungen. Macrogol-Glycerolhydroxystearat entspricht bis auf eine Hydroxyl-Gruppe dem zum parenteralen Gebrauch verwendeten Macrogol-Glycerolricinoleat und hat sich in Tierversuchen bei intravenöser Applikation als weniger toxisch erwiesen [3, 4, 14].

Gefahren der i.v. Applikation

Es ist also durchaus möglich, die Methadontrinklösung in ein Blutgefäß zu injizieren. Welche systemischen gesundheitlichen Schädigungen die Inhaltsstoffe verursachen können, ist nicht mit letzter Sicherheit vorauszusehen. Hypersensitive Reaktionen können erwartet werden, jedoch scheint die Injektion nach den oben angeführten Erläuterungen nicht so akut gefährlich zu sein wie zunächst angenommen.

Zu beachten bleibt letztlich noch die Gefährdung durch den Wirkstoff Methadon. Der klinische Einsatz des Methadons als intravenöses Analgetikum wird diskutiert [8, 15]. Geschwinde [7] schätzt als "äußerst gefährliche Dosis" im Hinblick auf die Atemdepression bei intravenöser Zufuhr 20 mg Levomethadon. Demgegenüber wurde von Darke et al. [6] als mittlere Dosis der Methadoninjektionen 50 mg angegeben, 40 Prozent der Süchtigen hätten schon mehr als 100 mg an einem Tag injiziert. Etwa ein Viertel aller Betroffenen habe den Sirup in unverdünntem Zustand injiziert, Komplikationen seien in der Form von Spritzenabszessen (23 Prozent der Befragten) und venösen Thrombosen (16 Prozent) beziehungsweise Venenverödungen (27 Prozent) aufgetreten.

Kann die i.v. Applikation vermieden werden?

Man sollte nicht vergessen, dass eine Substitutionstherapie mit Methadon keine kausale Behandlung der Sucht darstellt, sondern lediglich den Austausch der illegalen Droge Heroin gegen die - als legal definierte - Droge Methadon. Das Suchtverhalten mit der "Gier nach dem Kick" besteht unverändert. Methadon durchdringt die Blut-Hirn-Schranke um ein Vielfaches besser als Morphin. Für den Konsumenten hat die rasche Anflutung bei der intravenösen Applikation gegenüber der oralen Aufnahme den "Vorteil" des Rauscherlebens. Drogenerfahrene Versuchspersonen konnten die Wirkung intravenös verabreichten Levomethadons nicht von der des Heroins unterscheiden [1].

Wer sich mit Drogenabhängigen beschäftigt, kennt die Experimentierfreudigkeit und die Risikobereitschaft gerade jüngerer Süchtiger, neue Drogen und Konsummethoden auszuprobieren. Dass dabei auch eine zur oralen Einnahme präparierte Methadonlösung oder Lösungen anderer oraler Präparate (Aufschwämmungen zerstampfter Tabletten) versuchsweise intravenös appliziert werden und Komplikationen verursachen, ist berichtet worden [6, 10, 12, 19, 24]. Epidemiologische Studien über die Situation in Deutschland wurden noch nicht publiziert.

Methadon auf dem Schwarzmarkt

Ein Drittel aller mit Methadon assoziierten Drogentoten im Kreis Hamburg war zuvor zu keinem Zeitpunkt offiziell in ärztlicher Substitutionsbehandlung [9], sondern hatte das Methadon illegal erworben. Die kontrollierte Methadonabgabe nach § 5 BtMVV soll zwar einem illegalen Methadonhandel entgegenwirken, doch ein Teil des illegal gehandelten Methadons stammt aus Opiatsubstitutionstherapien. Da das Problem eines illegalen Handels mit Methadon bekannt ist, wird in "Der Arzneimittelbrief" [25] eine Sprechprobe gefordert, um sicherzugehen, dass das eingenommene Methadon auch geschluckt wurde!

Fehler bei der Methadonabgabe

Häufige Fehler bei der Methadonabgabe und damit Quellen für Unbefugte sind nach der eigenen Erfahrung:

  • Die Teilung der täglichen Dosis in eine unter Aufsicht und eine im Laufe des Tages einzunehmende Portion. (Hierfür besteht aufgrund der langen Halbwertszeit im allgemeinen keine Indikation, im Ausnahmefall müsste die Einnahme der zweiten Portion ebenfalls beaufsichtigt werden.)
  • Die Abgabe einer "Wochenend- oder Überbrückungsration" an - unabhängig von der Dauer der Substitutionstherapie - nicht ausreichend verantwortungsvolle Patienten. Eine Kontrolle durch chemisch-toxikologische Untersuchungen, wieviel Methadon tatsächlich eingenommen wurde, ist nicht möglich.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine richtige Einschätzung des Verantwortungsbewusstseins beim opiatsubstituierten Süchtigen im Umgang mit der Methadonlösung nicht immer gelingt. Eine erfolgreiche, mindestens sechsmonatige Teilnahme am Methadonprogramm, wie im § 5 Abs. 7 der BtMVV festgelegt, kann nur als grober Anhaltspunkt dienen. Die neueste Novellierung des Betäubungsmittelrechtes (10. BtMÄndV), mit der diese Frist von zwölf auf sechs Monate reduziert wurde, ist sicher ein Schritt in die falsche Richtung. Bedenkt man die bereits angesprochene Unzuverlässigkeit der Drogensüchtigen, ist die Frage berechtigt, warum überhaupt bewusst eine gesundheits- und eventuell lebensgefährdende Zubereitungsform an Süchtige abgegeben wird.

Trinklösung unattraktiver machen

Um die unnötige zusätzliche Gefährdung der Suchtkranken zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, die Injektion der Methadontrinklösung auf unschädliche Weise unattraktiver zu machen. Darke et al. [6] schlagen

  • erstens eine höhergradige Verdünnung des Methadons (ohne gesundheitsgefährdende Additiva) vor, wodurch sich die Injektion aufgrund der benötigten großen Volumina erschwert,
  • zweitens den Zusatz von Naloxon, das nur bei parenteraler Zufuhr wirksam werden kann. Als bedenklich ist hier allerdings eine Gefährdung durch die stark unterschiedlichen Halbwertszeiten anzusehen.

Die orale Einnahme von Methadon kann trotz dieser Überlegungen als Voraussetzung zur Teilnahme an einer Opiatsubstitution angesehen werden, da die längerfristige intravenöse Zufuhr seitens des Drogenabhängigen in hohem Maße die fehlende Bereitschaft zeigt, das Suchtverhalten tatsächlich zu überwinden.

Quelle: Nachdruck aus Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 15 vom 16. April 1999, Seite A988-992, mit freundlicher Erlaubnis der Verfasserin und der Redaktion. Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck bei der Verfasserin und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Süchtige, die im Rahmen einer Substitutionstherapie Methadontrinklösungen erhalten, können diese als Suchtmittel missbrauchen, indem sie sie nicht oral einnehmen, sondern sich intravenös injizieren. Durch Zusätze, die Aroma- und Farbstoffe sowie organische Säuren enthalten, soll diesem Missbrauch vorgebeugt werden, doch ist umstritten, wie effektiv diese Maßnahme ist.

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