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Arzneimittel und Therapie
Rückfallfieber: Wie Borrelien das Immunsystem austricksen
Das Rückfallfieber hat seinen Namen von dem typischen Krankheitsverlauf. Gerade glaubt der Patient, seine Krankheit überstanden zu haben, da tritt nach einigen Tagen erneut ein Fieberschub auf. Anschließend wechseln sich über einige Wochen fieberfreie Intervalle und erneute Fieberzacken ab, bis der Patient entweder stirbt (was in der Vorantibiotikaära in bis zu 40% der Fälle passierte) oder die Erkrankung "ausbrennt". Ursache des wellenförmigen Krankheitsverlaufes ist ein sinusförmiges An- und Abschwellen der Borrelienmenge im Blut. Diese Wellen spiegeln einen Wettkampf zwischen Krankheitserreger und Abwehrkräften wider.
Außenhaut aus Lipoproteinen
Schraubenbakterien besitzen eine verhältnismäßig simpel aufgebaute Außenhaut, die aus einem dichten Teppich sogenannter Lipoproteine besteht: Eiweiße, die mit komplexen Fettmolekülen verknüpft sind. Diese Lipoproteine werden vom Immunsystem als fremd erkannt und veranlassen die Bildung entsprechender Antikörper. Gleichzeitig werden auch zahlreiche Transmittersubstanzen freigesetzt, von denen besonders zwei, der sogenannte Tumornekrosefaktor und das Interleukin 1, einen Anstieg der Körpertemperatur verursachen.
Nach fünf bis sieben Tagen sind ausreichend Antikörper aus der IgM-Klasse vorhanden, um die im Blut zirkulierenden Borrelien zu neutralisieren. Die IgM-Antikörper binden an die Lipoproteine auf der Bakterienoberfläche und ermöglichen es so weißen Blutkörperchen und Fresszellen, die Erreger zu beseitigen.
Die Borrelien variieren ihre Antigene
Doch die Borrelien sind in der Lage, ihre Schutzhaut zu wechseln. Durch Antigenvariation ändern sie das Lipoprotein in einem winzigen, aber entscheidenden Detail. Die Folge: der Antikörper kann nicht mehr binden, die Bakterien werden nicht beseitigt und wachsen zu neuen Heerscharen heran. Nun dauert es wieder einige Tage, bis das Immunsystem neue passende Antikörper gebilder hat. Dieses Wechselspiel setzt sich über einige Wochen fort, bis das Immunsystem die schnell eingreifenden IgM-Antikörper durch Antikörper aus der IgG-Klasse ersetzt hat. IgG-Antikörper sind nicht ganz so zielgerichtet wie IgM, dafür aber um so schlagkräftiger: Die Borrelien werden bis auf den letzten Erreger neutralisiert.
Überlebensstrategie der Borrelien
Das wochenlange Scharmützel gehört zur Überlebensstrategie der Borrelien. Sie müssen nämlich einen sogenannten Wirtswechsel in einer Kleiderlaus oder einer Zecke durchmachen, um weiterleben zu können. Und je länger sie im Blut eines infizierten Menschen kreisen, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einem Saugakt von Laus oder Zecke aufgenommen werden.
Etwa 30 verschiedene Lipoproteinmuster, sogenannte major variant proteins (mvp), können die Borrelien auf ihrer Oberfläche einbauen. Theoretisch könnte also ein Rückfallfieber 29 Rückfälle haben. In der Praxis siegt das Immunsystem allerdings schon lange, bevor die Borrelien sämtliche "Antigenkarten" ausgereizt haben. Die IgG-Antikörper vernichten die Erreger meist nach dem dritten oder vierten Rückfall.
Was passiert im Zwischenwirt?
Unbekannt war bislang, was mit den mvp passiert, wenn die Borrelien dem Wettkampf mit dem Immunsystem vorzeitig beenden, indem sie von einer Laus oder Zecke bei einer Blutmahlzeit aufgenommen werden. Um im Zwischenwirt überleben zu können, wird eine ganz andere, mvp 33 genannte Oberflächenstruktur benötigt.
Im Mäusemodell wurde die Antigenvariation von Borrelia hermsii untersucht. Dieser Erreger des nordamerikanischen Rückfallfiebers wird von Zecken der Gattung Ornithodoros übertragen. Bereits wenige Minuten nach der Aufnahme in den Magen einer Zecke fangen die Borrelien an, sich ihr neues Schutzkleid überzustreifen. Die letzte im menschlichen Blut vorhandene Lipoproteinvariante verschwindet und wird konsequent durch vmp 33 ersetzt.
Wie aber reagieren die Borrelien, wenn sie Wochen oder Monate später mit dem Speichel der Zecke auf einen anderen Menschen übertragen werden? Um dies herauszufinden, infizierten Forscher Mäuse mit unterschiedlichen Serotypen von Borrelien, deren Oberflächenmuster genau bekannt war. Daraufhin ließen sie Laborzecken an diesen Mäusen Blut saugen und die Zecke nach einer Hungerperiode von einigen Wochen erneut Borrelien auf gesunde Mäuse übertragen.
Repertoire von Oberflächenantigenen wird ausgeschöpft
Sobald die Borrelien sich in dem Warmblüter wiederfanden, stülpten sie sich jenes Kleid über, das sie Wochen zuvor zuletzt bei den an Rückfallfieber erkrankten Mäusen getragen hatten. Es muss also ein molekularer Mechanismus vorhanden sein, der das im Expressionlocus existierende mvp-33-Gen mit dem zuletzt aktiven mvp-Gen "überschreibt". Dieser Kniff ermöglicht es den Borrelien, aus dem stereotypen Abspielen der für den Warmblüter vorgesehenen Antigensequenzen auszubrechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Borrelien via Zecke in denselben Menschen gelangen, in dem sie sich bereits vorher mit dem Immunsystem einen Wettkampf geliefert haben, ist sehr gering. Da dem Immunsystem eines solchen Menschen die entsprechende Oberflächenvariante natürlich bekannt ist, würde in einem solchen Fall die Infektion rasch ausgemerzt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Borrelien via Zecke in einen Menschen gelangen, dessen Immunsystem mit Borrelien bislang noch nichts zu tun hatte oder vielleicht Jahre zuvor von einer anderen Borrelienpopulation infiziert worden war. Und dann ist es sinnvoll, das Repertoire von Oberflächenantigenen voll auszuschöpfen.
Literatur
Schwan, T. G., B. J. Hinnebusch: Bloodstream- versus tick-associated variants of a relapsing fever bacterium. Science 280, 38-1940 (1998).
Prof. Dr. med. H. Feldmeier, Berlin
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