Physiologie

J. BraterBlutgruppen und Rhesussystem

Die Tatsache, dass das Blut bei allen Menschen gleich aussieht, führte schon frühzeitig zu dem Versuch, es bei einer Operation oder nach einem Unfall von einer Person auf eine andere zu übertragen (Bluttransfusion). Dabei stellte man in einigen Fällen fest, dass dieses Vorhaben problemlos gelang, in vielen anderen aber, dass es zu Unverträglichkeitsreaktionen kam, weil sich die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) zusammenklumpten, wodurch das Blut zerstört wurde.

Im Jahr 1900 kam der österreichische Arzt und Biochemiker Karl Landsteiner den Ursachen dieser fatalen Reaktionen auf die Spur, indem er die Blutgruppen entdeckte. Deren Einteilung beruht auf der Tatsache, dass sich auf der Oberfläche der Erythrozyten eine große Zahl unterschiedlicher zuckerhaltiger Bestandteile befinden, die als Antigene wirken, die also, sobald sie in einen anderen Körper gelangen, dort die Bildung gegen sie gerichteter Antikörper auslösen. Diese Antikörper bewirken eine Verklumpung (Agglutination) der eingedrungenen Erythrozyten und zerstören sie damit.

Landsteiner fand heraus, dass zwei voneinander unabhängige, vom Aufbau der Blutkörperchen-Membran abhängige Merkmale existieren, die er A und B nannte. Somit gibt es vier mögliche Kombinationen: Erythrozyten der Blutgruppe A enthalten auf ihrer Oberfläche das Antigen A; Erythrozyten der Blutgruppe B enthalten dementsprechend das Antigen B; sind sowohl die Antigene A als auch B vorhanden, so haben wir es mit Blut der Blutgruppe AB zu tun; und fehlen beide Antigene, so sprechen wir von der Blutgruppe 0.

Die bereits erwähnten Antikörper bilden sich nun aber nicht erst bei Kontakt mit körperfremdem Blut, sondern aufgrund komplizierter Mechanismen bereits im Säuglingsalter. Fortan sind sie zeitlebens in der Blutflüssigkeit (Plasma) enthalten. Blut der Gruppe A weist Antikörper gegen B - so genanntes Anti-B - auf, Blut der Gruppe B enthält Anti-A, Blut der Gruppe AB weder Anti-A noch Anti-B (sonst würde es sich ja gewissermaßen selbst zerstören), und Blut der Gruppe 0 enthält sowohl Anti-A als auch Anti-B.

Blutgruppenbestimmung

Diese Tatsache macht man sich bei der Blutgruppenbestimmung zunutze, indem man Testflüssigkeiten mit bekanntem Antikörpergehalt verwendet. Vereinfacht dargestellt, benützt man drei Testseren: eines mit Anti-A, eines mit Anti-B und eines, das sowohl Anti-A als auch Anti-B enthält. Bringt man nun Blut - aus Ohrläppchen oder Fingerbeere der zu testenden Person - in Kontakt mit diesen drei Flüssigkeiten und wartet ein bis zwei Minuten, so stellt man fest, dass es in Fällen von Unverträglichkeit zur Zusammenballung der roten Blutkörperchen kommt, die man meist mit bloßem Auge, im Zweifel mit einer Lupe erkennen kann. Die Abbildung zeigt die vier möglichen Reaktionen, aus denen sich eindeutig die Blutgruppen bestimmen lassen.

Nun existiert zur Unterscheidung des Blutes aber nicht nur dieses bekannte AB0-System, vielmehr gibt es etwa 30 weitere Schemata der Einteilung. Davon besitzt jedoch nur ein einziges eine größere Bedeutung: das Rhesus-System. Dieses wurde zufällig entdeckt, als man zu Forschungszwecken das Blut von Rhesusaffen in Meerschweinchen und Kaninchen einspritzte und feststellte, dass sich in den Nagetieren allmählich Antikörper gegen das Rhesusaffenblut bildeten, die dessen rote Blutkörperchen in der Folge verklumpten und auflösten. Verwendete man anstelle des Blutes von Affen das von Menschen, so trat dieser Effekt erstaunlicherweise in der Mehrzahl der Fälle ebenfalls auf.

Demzufolge enthält auch das menschliche Blut sehr häufig ein Antigen, welches dem des Rhesusaffen entspricht und das man deshalb auch als Rhesusfaktor bezeichnet. Ebenso wie das Affenblut wird es bei Kontakt mit den Antikörpern des Meerschweinchen- oder Kaninchenblutes verklumpt. In Mitteleuropa besitzen etwa 85 Prozent der Bevölkerung derartiges Blut, das man dann als Rhesus-positiv (Rh) bezeichnet, während man bei den restlichen 15 Prozent, bei denen die Zusammenklumpung nicht stattfindet, von rhesus-negativ (rh) spricht.

Kommen die Blutgruppen A, B, AB und 0 gleich häufig vor?

Nein. In Mitteleuropa ist A mit etwa 45 Prozent die häufigste Blutgruppe, gefolgt von 0 mit etwa 40 Prozent. Ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung besitzen Blut der Gruppe B, während die Gruppe AB nur bei etwa 5 Prozent vorkommt.

Ist es bei einer Bluttransfusion schlimmer, wenn das Spenderblut Antikörper gegen das Empfängerblut enthält oder umgekehrt?

Weitaus schlimmer ist es, wenn das infundierte Blut durch Antikörper im Blut des Empfängers zerstört wird. Man spricht in einem solchen Fall von einer Major-Reaktion. Enthält hingegen das Spenderblut Antikörper gegen das Blut des Empfängers, so ist die Reaktion (Minor-Reaktion) deswegen schwächer, weil die eingespritzten Antikörper im Blut des Empfängers stark verdünnt werden. Allgemein gilt jedoch, dass grundsätzlich nur gruppengleiches Blut übertragen werden darf.

Ist die Blutgruppenzugehörigkeit nur im Fall einer Transfusion von Bedeutung?

Nein. Eine wichtige Rolle spielen die Blutgruppen unter anderem beim gerichtlichen Vaterschafts-Ausschluss. Dieser beruht darauf, dass die Eigenschaften A und B und damit die Zugehörigkeit zu einer der vier Gruppen A, B, AB und 0 erblich sind. Bei bekannten Blutgruppen der Eltern können deshalb die möglichen Blutgruppen des Kindes vorhergesagt werden. Andererseits lässt sich auf diese Weise bei bekannter Blutgruppe von Mutter und Kind eine Aussage darüber machen, ob ein Mann mit einer bestimmten Blutgruppe der Vater sein kann. Diese Feststellung spielt in Gerichtsverfahren nicht selten eine entscheidende Rolle.

Da die Antigene des AB0-Systems auch in anderen Körperflüssigkeiten wie Speichel, Schweiß und Sperma vorkommen, lassen sie sich heranziehen, um einen Verdächtigen bei einem Strafverfahren - beispielsweise nach einer Vergewaltigung - zu be- oder entlasten.

Welche besondere Bedeutung hat das Rhesus-System im Fall einer Schwangerschaft?

Wächst in der Gebärmutter einer rhesus-negativen (rh) Frau ein von einem Rhesus-positiven Vater stammendes ebenfalls Rhesus-positives (Rh) Kind heran, so führt das bei der ersten Schwangerschaft in der Regel zu keinerlei Komplikationen. Während der Geburt gelangen aber häufig kindliche Blutkörperchen in das Blut der Mutter, wo sie die Bildung von Antikörpern gegen den Rhesusfaktor in Gang bringen. Im Fall einer erneuten Schwangerschaft besteht nun die große Gefahr, dass mütterliches, antikörperhaltiges Blut über den Mutterkuchen (Plazenta) in den kindlichen Körper gelangt und dort die roten Blutkörperchen des Embryos zerstört. Die dadurch beim Neugeborenen ausgelöste Krankheit mit schwerer Blutarmut (Anämie) und heftiger Gelbsucht (Ikterus) bezeichnet man als fetale Erythroblastose oder Morbus haemolyticus neonatorum. In besonders schlimmen Fällen kann die Rhesusunverträglichkeit sogar zur Totgeburt führen.

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