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Geschichte
Das Maiglöckchen – Symbol des Arztes, der Maria und der Liebe
Das Maiglöckchen (Convallaria majalis) zählte früher zur Familie der Liliengewächse (Liliaceae), wird aber heute einer eigenen Familie (Convallariaceae) zugerechnet, der auch Schattenblume (Maianthemum) und Salomonssiegel (Polygonatum) angehören. Es besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit der weißen Lilie (Lilium candidum), hat daher auch den Namen Maililie; auch der englische Name "lily of the valley" drückt diese Verwandtschaft aus.
Die Pflanze war und ist - wie wenige Heilpflanzen - durch ihren schlichten Wuchs, die zierlichen, ausdrucksvollen, schneeweißen und einzigartig duftenden Blüten im Frühjahr, später durch die kugelrunden roten Beeren, aber auch durch ihre Giftigkeit außerordentlich populär.
Beliebt ist das Maiglöckchen auch wegen seines Duftes. Noch heute besteht das Parfümöl "Diorissimo" zu etwa 90% aus Maiglöckchenduft, und eine der naturidentischen Hauptblumenkomponenten ist das Hydroxycitronellal.
Heilpflanze in Mittelalter und früher Neuzeit
Das Maiglöckchen hat weder in der antiken griechisch-römischen, noch in der arabischen Medizin eine Rolle gespielt; möglicherweise hängt das damit zusammen, dass die Pflanze vornehmlich im nördlichen Europa heimisch ist und in den Mittelmeerländern selten vorkommt.
Hildegard von Bingen (1098 - 1179) empfiehlt in ihrer Schrift "Physica" das Maiglöckchenkraut gegen Ausschläge und Geschwüre und besonders, prophylaktisch oder im Anfall, gegen Epilepsie [10].
Fast in allen wichtigen Kräuterbüchern, die in der Zeit zwischen 1470 und 1670 entstanden sind, wird das Maiglöckchen erwähnt und für eine Vielzahl von Krankheiten empfohlen. Im Vordergrund standen die Behandlung von Schlaganfall und Epilepsie [13]. Möglicherweise geht die Anwendung beim Schlagfluss auf die tropfenähnliche Blütengestalt zurück; nach alter humoralpathologischer Lehre fällt beim Schlagfluss ein "Tropfen" ins Gehirn [2].
Auch die Anwendung zur "Stärkung des Herzens" wird bereits genannt. So schreibt Hieronymus Bock in seinem berühmten "Kreutterbuch" von 1577 unter der Rubrik "Innerlich/Gift/Hertz/Hirn": "Meyenblumenwasser/das etlich mal distilliert/und mit gutem starkem Wein eingebeißt ist/... ist auch gut für das Grimmen/für gifft/stercket das Hertz und Hirn/bringet die verlorene sinn wider zu recht" [6]. Porträts von berühmten Ärzten vornehmlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert mit einem Maiglöckchen als Attribut weisen auf die Vorliebe für diese Heilpflanze hin [7, 8].
Maiglöckchen als Koronarmittel
Mit modernen Methoden konnten im Maiglöckchen etwa 40 verschiedene herzwirksame Glykoside nachgewiesen werden; Hauptglykoside sind Convallatoxin, Convallosid und Lokundjosid [12]. Außer dem Maiglöckchen enthalten der bei uns heimische Fingerhut (Digitalis) und das Adonisröschen (Adonis), die im Mittelmeerraum vorkommende Meerzwiebel (Urginea), der Oleander (Nerium) und schließlich eine in den Tropen vorkommende Liane (Strophanthus) herzwirksame Glykoside. Diese besitzen ein chemisch fast identisches und für die Herzwirksamkeit unerlässliches Grundgerüst (Cardenolid bzw. Bufadienolid), das mit verschiedenen Zuckermolekülen verknüpft ist, die wiederum für die pharmakokinetischen Eigenschaften, d. h. für die Resorption oder Ausscheidung verantwortlich sind [18].
Von den genannten herzwirksamen Pflanzen haben vornehmlich die Inhaltsstoffe des Fingerhuts (Digitalis) wie Digitoxin, Digoxin oder das daraus teilsynthetisch hergestellte Methyldigoxin Einzug in die moderne Medizin gehalten. Grund für den Siegeszug von Digitalis - erste Hinweise auf eine Herzwirksamkeit stammen von dem englischen Arzt William Withering aus dem Jahr 1775 - ist die hohe Resorption (90 bis 100%) der Digitalisglykoside aus dem Magen-Darm-Trakt ins Blut; Convallatoxin, das Hauptglykosid des Maiglöckchens, wird dagegen nur zu etwa 10% resorbiert [14]. Die bei hoher Resorption verbesserte Sicherheit in der Dosierung ist gerade bei den Herzglykosiden von besonderer Bedeutung, weil ihre therapeutische Breite sehr klein ist: Die für eine therapeutische Wirkung notwendige Dosis liegt verhältnismäßig nahe an der toxischen Dosis, wodurch die Gefahr des Auftretens schwerer Nebenwirkungen gegeben ist.
Präparate mit den chemisch reinen Glykosiden des Maiglöckchens kommen bei leichter Herzinsuffizienz und bei kardialen Ödemen zur Anwendung. Laut einer Monographie der Kommission E am ehemaligen Bundesgesundheitsamt sind Präparate aus Maiglöckchenkraut indiziert bei leichter Belastungsinsuffizienz, beim Altersherz und beim chronischen Cor pulmonale [11].
Die früher unkontrollierte Anwendung des Maiglöckchens in der Volksmedizin ist heute verlassen [22]; obsolet ist auch das früher häufig verwendete Schneeberger Schnupfpulver, bei dem ein Bestandteil das stark zum Niesen reizende Pulver getrockneter Maiglöckchenblüten war.
Lieblingsblume berühmter Ärzte
In der frühen Neuzeit war es üblich, Bildnisse berühmter Ärzte mit medizinischen Symbolen und Attributen auszustatten. Kennzeichen der Standeswürde waren z. B. Stock, Barett und Handschuhe. Als Symbol speziell für die Heilkunde fungierte oft das Maiglöckchen [13]. Im Folgenden einige Beispiele:
Kopernikus
Nikolaus Kopernikus wurde 1473 in Thorn geboren. Als Astronom und Begründer des heliozentrischen, nach ihm benannten kopernikanischen Weltbildes zählt er noch heute zu den berühmtesten Gelehrten überhaupt. Weniger bekannt ist, dass er nach umfangreichen astronomischen, mathematischen, humanistischen und kirchenrechtlichen Studien 1501 an der Universität in Padua noch Medizin studierte und diese Tätigkeit bis zu seinem Tode im Jahr 1543 in Frauenburg ausübte. 1541 hat er sich z. B. einige Monate in Königsberg aufgehalten, um dort einen der Räte des Herzogs Albrecht ärztlich zu betreuen.
Das Gemälde von Stimmer an der Astronomischen Uhr des Straßburger Münsters zeigt am unteren Bildrand Attribute für Kopernikus als Astronom; durch das Maiglöckchen in der linken Hand von Kopernikus wird aber darüber hinaus seine Zugehörigkeit zum Stand der Ärzte verdeutlicht. Die in großen Lettern auf dem Bild rechts angebrachte Inschrift besagt, dass ein Selbstporträt des Kopernikus dem Künstler (Tobias Stimmer) als Vorlage gedient habe.
Es gibt mehrere Porträts von Kopernikus mit einem Maiglöckchen, die wahrscheinlich alle auf sein Selbstbildnis zurückgehen, das in Frauenburg gehangen haben soll, aber verloren gegangen ist. Mehrere dieser Porträts zeigen Kopernikus übrigens mit einem Maiglöckchen in der Hand und ohne ein Attribut für die Astronomie [9].
Albrecht Dürer: Erasmus von Rotterdam
Dieser Kupferstich entstand 1526 nach zwei Zeichnungen, die Dürer beim Zusamentreffen mit Erasmus einige Jahre vorher angefertigt hatte. Auf der lateinischen bzw. griechischen Inschrift im Hintergrund heißt es: "Bild des Erasmus von Rotterdam, von Albrecht Dürer entsprechend einem Bildnis nach dem Leben gezeichnet. Besser zeigen ihn seine Schriften."
Die Darstellung des Maiglöckchens in der Blumenvase auf dem Tisch wird als Attribut für den kränkelnden Erasmus interpretiert [4].
Conrad Gessner
Conrad Gessner wurde 1516 in Zürich als Sohn eines unbemittelten Kürschners geboren. Frühzeitig wurde seine außergewöhnliche Begabung und Tüchtigkeit erkannt und gefördert. Er studierte Latein, Griechisch und Hebräisch, später Botanik, Zoologie und Medizin und ließ sich schließlich als Arzt in Zürich nieder. Er wurde dort zum Oberstadtarzt ernannt und erhielt eine Professur für Philosophie. Er starb in seiner Heimatstadt 1565 an der Pest.
Gessner gründete und leitete in Zürich einen Botanischen Garten und plante die Herausgabe einer großen, über 1500 Pflanzenabbildungen zählenden Historia Plantarum. Teile dieses Werkes sind in eine spätere Ausgabe des New Kreuterbuch von Matthiolus (1563) aufgenommen worden.
Gessners Porträt weist Attribute für drei seiner wichtigsten Tätigkeitsfelder auf: Das in der Mitte auf dem Tisch liegende Maiglöckchen weist auf den Arzt, zwei weitere Blumen rechts auf den Botaniker und das Buch links auf den Gelehrten hin. Eine lateinische Inschrift unterstreicht seine Tätigkeit als Naturforscher: "Ein zweiter Plinius war ich; durch mich liegt nunmehr die ganze Kraft der Natur vor aller Augen, überwunden durch die Kraft meines Geistes."
Johannes Bauhin
Johannes Bauhin wurde 1541 geboren. Er stammte aus einer Lyoner Familie, die mehrere bekannte Ärzte hervorgebracht hatte. Sein Vater wurde berühmt, nachdem er 1532 in Paris zum Feuertod verurteilt worden war, aber von einer Prinzessin aus dem Hause Valois, deren Leibarzt er gewesen war, gerettet wurde. Johannes Bauhin gründete 1563 in Lyon einen Botanischen Garten. Später war er als Leibarzt für den Grafen bzw. Herzog Friedrich von Württemberg tätig [21].
Unter dem Porträt, das ihn im Alter von 60 Jahren zeigt, sieht man links und rechts Maiglöckchen. Aus einem Handschuh - zur damaligen Zeit ein würdevolles Zeichen der Promotion - sprießen andere Pflanzen (Nelken?).
Wilhelm Fabry Hildanus
Fabry (1560 - 1634) wurde in Hilden bei Düsseldorf geboren und war Stadtarzt in Bern. Obgleich aus ärmlichen Verhältnissen stammend, zählte er zu den berühmtesten Wundärzten bzw. Chirurgen und hatte einen wissenschaftlichen Briefwechsel mit etwa hundert Gelehrten seiner Zeit. Er veröffentlichte eine Tafel mit den damals bekannten medizinischen Instrumenten.
Auf dem Bild ist neben den ihn als Chirurgen ausweisenden Instrumenten, einem auf seine Gelehrsamkeit hinweisenden Buch, dem Totenschädel zur Mahnung an die Vergänglichkeit auch deutlich ein Maiglöckchen zu erkennen, als Zeichen seiner therapeutischen Kunstfertigkeit.
Gregor Nymann
Nymann (1594 - 1638) war Professor der Botanik und Anatomie an der Universität in Wittenberg; bekannt war er als Embryologe. Auf dem Porträt von 1627 hält er neben den Maiglöckchen noch eine Schwertlilie und eine Tulpe in der Hand.
Johann Hoppe
Hoppe (1616 - 1654) war Professor für Chirurgie, Anatomie und Pathologie in Leipzig. Überliefert ist, dass er mit Plakaten zu seiner ersten öffentlichen Sektion wie zu einer Theatervorstellung eingeladen hat, nachdem ihm kurz vorher die Leiche eines Enthaupteten überlassen worden war.
Auf dem Bild hält er sehr ostentativ ein Maiglöckchen in der Hand und darunter eine - wie damals üblich - überschwängliche Lobpreisung, in der seine Geisteskraft mit der eines Titans und seine Arzneikunst mit der von Hippokrates verglichen wird.
Das Maiglöckchen als Symbol im Marienkult
Bereits in der vorchristlichen Zeit besaß das Maiglöckchen symbolische Bedeutung; bei den Germanen beispielsweise als Attribut für die Friedensgöttin Ostera [5]. Abbildungen aus jener Zeit sind nicht überliefert.
Eine bedeutende symbolische Rolle spielte das Maiglöckchen in der christlichen Lehre, insbesondere im Marienkult. Verschiedene Texte wurden im Mittelalter so interpretiert, dass sie auf Maria hinweisen, wie z. B. eine Stelle aus dem Hohenlied (2,1): "ego flos campi et lilium convallium" (Ich bin die Blume des Feldes und die Lilie der Täler). In einer Hymne Adams von St. Viktor (1110-1192) wird Maria wie folgt angeredet: "Flos campi, convallium singulare lilium, Christus ex te prodiit" (Blume des Feldes, einzigartige Lilie der Täler, aus dir ist Christus hervorgegangen), wobei "lilium convallium" mit Maiglöckchen (Convallaria majalis) zu übersetzen ist [3, 4].
Levi D'Ancona [16] unterscheidet innerhalb des Marienkults für das Maiglöckchen vier verschiedene Symbolgehalte: Es ist Symbol
- für die jungfräuliche Empfängnis,
- für die Inkarnation,
- für Mariae Himmelfahrt und
- für die Demut und Bescheidenheit Mariae.
Das Blühen der lieblichen weißen Blüten im Frühling wird darüber hinaus als Symbol für die Ankunft Christi gewertet [17]. Damit gehört das Maiglöckchen, das auch die Namen Marienglöckchen und Marienrisli trägt, zu den typischen "Marienblumen". Im Gegensatz zu den bekannteren "Marienblumen", wie der Rose oder der Lilie, die oft auffällig und an prominenter Stelle im Bild stehen, findet man das vom Wuchs mit seinen kleinen weißen, nickenden Blüten bescheiden anmutende Maiglöckchen oft unauffällig und klein am Bildrand dargestellt. Über 40 Altarbilder mit Darstellungen von Maiglöckchen sind bekannt; einige davon sollen im Folgenden näher besprochen werden.
Oberrheinischer Meister: Paradiesgärtlein
Diese Tafel von etwa 1410 zählt zu den wertvollsten Gemälden des Städel in Frankfurt. Sie zeigt neben Maria sechs weitere Personen und eine Vielzahl von Pflanzen. Für den zeitgenössischen Betrachter, der in der Regel weder schreiben noch lesen konnte, waren mit diesen Personen und Pflanzen bildhaft Geschichten und Symbole verknüpft, eine Kenntnis, die uns heute weitgehend verloren gegangen ist. Einige Kunsthistoriker und auch Botaniker haben jedoch weitgehend die Symbolsprache dieses Bildes aufklären und belegen können [20, 23].
Das Bild wird links vom Lebensbaum, hier ein fruchtender Kirschbaum, und rechts vom Todesbaum, der keine Früchte trägt, begrenzt; in der Mitte ein den alten jüdischen Stamm David symbolisierenden abgeschlagener Stamm, aus dem zwei frische Reiser (Maria und Christus) sprießen. Auf dem Hochbeet im Hintergrund vor der Mauer sind eine Reihe von Pflanzen wie (von links nach rechts) Samtnelken (Lychnos coronaria), Levkojen (Matthiola incana), Schwertlilien (Iris germanica) und Malven (Althaea rosea) abgebildet. Vor dem Beet ganz rechts die weiße Lilie (Lilium candidum) und neben dem Kirschbaum ganz links ein blühender Rosenstrauch. Die Lilie mit ihrem reinen auffallenden Weiß als Symbol für die Unschuld und unbefleckte Empfängnis Mariae und die Rose als Symbol für die Schönheit und Anbetungswürdigkeit Mariae sind die am häufigsten verwendeten Marienblumen. Neben dem gekappten Stamm rechts sehen wir blühende und gleichzeitig fruchtende Erdbeeren. Zu Füßen der Maria finden wir Schlüsselblumen (Primula veris) links und Märzenbecher (Leucojum vernum) rechts. Am unteren Bildrand sehen wir u. a. rechts wieder Schlüsselblumen, weiter links Immergrün (Vinca minor), gefolgt von Pfingstrosen (Paeonia officinalis).
Zu Füßen der das Christuskind im Zitherspiel unterweisenden Frau (wahrscheinlich Katharina von Alexandrien) findet sich eine Insel von Maiglöckchen. Es steht dort wohl als Symbol für die Bescheidenheit und Demut Mariae. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Maria nicht auf einer Bank, sondern auf einem Kissen quasi am Boden sitzt, ein zusätzliches Zeichen der Bescheidenheit [15].
Tintoretto: Die Heilige Familie mit Rosen
Domenico Tintoretto (1518 - 1594) ist der Sohn des noch berühmteren Jacopo Tintoretto. Die Rosen stehen im Mittelpunkt dieses Marienbildes. Die rote Rose in der Hand des Christusknaben ist hier weniger Attribut für die Schönheit und Lieblichkeit von Maria, sondern symbolisiert die Passion und den blutigen Leidensweg Christi. Unterstrichen wird diese Aussage durch die roten Rosen zu Füßen von Maria mit der lateinischen Inschrift "Agnus" (Lamm) und durch den als Knaben abgebildeten heiligen Johannes mit einer roten Rose in der Hand und dem Opferlamm im Arm.
An zentraler Stelle im Bild reicht die heilige Anna ihrer Tochter Maria eine weiße Maiglöckchenblüte dar - als Symbol für die Demut, Reinheit und Jungfräulichkeit ihrer Tochter Maria.
Das Maiglöckchen als Symbol für Liebe und Glück
Eine ähnliche positive Bedeutung wie im Marienkult hatte das Maiglöckchen auch im weltlichen Bereich. Als Pflanze, die im Wonnemonat Mai blüht, anmutig aussieht und süß duftet, galt sie als Symbol für den Frühling und die Hoffnung auf Liebe und Glück. Noch heute ist in Paris der 1. Mai "la journée du muguet", und man trägt Maiglöckchensträuße, damit man das ganze Jahr lang Glück hat. Das Maiglöckchen ist daher auch auf Verlöbnis- und Hochzeitsbildern zu finden. Im Folgenden einige Beispiele:
Niederrheinischer Meister: Liebeszauber
Dieses kleine Tafelbild von etwa 1480 hat im Laufe der Zeit zu vielfältigen Interpretationen Anlass gegeben; eine jüngere und besonders umfangreiche stammt von Lymant [19]. Die Autorin schildert und belegt besonders die Doppeldeutigkeit verschiedener Attribute und die damit verbundene Schwierigkeit, dieses Bild als Darstellung einer Liebesbeziehung Braut/Bräutigam oder der Prostitution zu deuten.
So kann der Hund als Symbol für die Treue und Ergebenheit der Frau gelten, genauso gut werden Schoßhunde und Hunde aber auch als Attribute für Kurtisanen verwendet. Das Gleiche gilt für den auf der mit Perlen gefüllten Schale sitzenden Papagei bzw. Sittich (rechts im Bild) und für die Perlen selbst: Der Papagei und die Perle können Reinheit und Jungfräulichkeit Mariae symbolisieren, aber auch Symbol für Unkeuschheit und Eitelkeit sein.
Die am Boden verstreut liegenden Pflanzen, wie die Maiglöckchen ganz rechts und die Rosen und Narzissen, sprechen nicht für die Auslegung "Kurtisane". Das Maiglöckchen symbolisiert immer Reinheit, Demut und Bescheidenheit, es ist in seinem Symbolgehalt immer positiv besetzt und daher hinsichtlich Doppeldeutigkeit über jeden Zweifel erhaben; Ähnliches gilt für die Rose und die Narzisse. Es wäre für den Künstler anderenfalls ein Leichtes gewesen, zusätzlich etwa eine in Hexensalben verwendete aphrodisierende Pflanze, wie z. B. das Bilsenkraut (Hyoscyamos niger), im Bild anzuordnen, um das Thema "Dirne" anzudeuten [1].
Süddeutscher Meister: Bildnis einer blonden Frau
Von wohlhabenden Familien wurden öfters anlässlich einer Vermählung, manchmal auch vorab als Brautwerbung, so genannte Hochzeits- oder Verlöbnisbilder in Auftrag gegeben. Als Symbol für die Hoffnung auf Liebe und Glück - vielleicht auch als Symbol für die Keuschheit der Braut - hält auf diesem Bild die Braut einen Maiglöckchenstrauß in der Hand. Das Portät des dazugehörigen Mannes hat sich übrigens auch erhalten. Er hat eine Nelke in der Hand. Die Nelke ist auf vielen Brautbildern zu finden und gilt als Symbol der Werbung um Liebe und Heirat [5]; noch heute hat die "Nelke im Knopfloch" eine ähnliche Bedeutung.
Am Ende des 18. Jahrhunderts verliert das Maiglöckchen seine Bedeutung in der Medizin und auch in der christlichen Symbolik. Nur noch selten findet man Bilder, auf denen das Maiglöckchen dargestellt ist.
Literatur
[1] Abraham, H., Thinnes, I.: Hexenkraut und Zaubertrank. Urs Freund Verlag, Greifenberg 1996.
[2] Bächthold-Stäubli, H. (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5, S. 1527. Verlag de Gruyter, Berlin/Leipzig 1932/33.
[3] Behling, L.: Die Pflanze in der mittelalterlichen Tafelmalerei. Böhlau, Köln/Graz 1967.
[4] Behling. L.: Zur Morphologie und Sinndeutung kunstgeschichtlicher Phänomene. Beiträge zur Kunstwissenschaft (1975).
[5] Beuchert, M.: Symbolik der Pflanzen. Insel Verlag, Frankfurt/M. 1996.
[6] Bock, H.: Kreutterbuch (Straßburg 1577). Reprint Verlag Kölbl, München 1964, S. 205.
[7] Brunn, v. W.: Das Maiglöckchen als Symbol des Arztes. Med. Welt 14, 505 - 506 (1936).
[8] Brunn, v. W.: Geschichtliches vom Maiglöckchen. Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Firma Dr. Degen und Kuth, Düren/Rheinland 1937.
[9] Mitteilungen des Ermländ. Kunstvereins, Heft 3, S. 73 - 152 (1876).
[10] Hildegard von Bingen: Heilkraft der Natur - "Physica". Rezepte und Ratschläge für ein gesundes Leben. Erstes Buch Cap. 1 - 157. Herder, Freiburg 1995.
[11] Kommission E am Bundesgesundheitsamt: BAnz. Nr. 76 vom 23. 4. 1987 und BAnz. Nr. 22a vom 1. 2. 1990.
[12] Kopp, B., Kubelka, W.: Neue Cardenolide aus Convallaria majalis. Planta Med. 45, 87 - 94 und 195 - 202 (1982).
[13] Kühn, W.: Die Maiblume bei den alten Aerzten. Med. Klinik 26, 684 - 685 (1906).
[14] Lehmann, H. D.: Zur Wirkung pflanzlicher Glykoside auf Widerstandsgefäße und Kapazitätsgefäße. Arzneim.-Forsch. 34, 423 - 429 (1984).
[15] Liebenwein-Krämer, R.: Oberrheinischer Meister - Paradiesgärtlein. Städelsches Kunstinstitut u. Städtische Galerie, Frankfurt/M. 1978.
[16] Levi D'Ancona, M.: The Garden of Renaissance - Botanical Symbolism in Italian Painting. Editore Olschki, Florenz 1977.
[17] Löber, K.: Agaleia 46, Böhlau, Köln/Wien 1988.
[18] Loew, D. A., Loew, A. D.: Pharmakokinetik von herzglykosidhaltigen Pflanzenextrakten. Z. Phytother. 15, 197 - 202 (1994).
[19] Lymant, B.: Z. Kunstgeschichte 1, 111 - 122 (1994).
[20] Münzel, G.: Das Frankfurter Paradiesgärtlein. Das Münster 6, 14 - 22 (1956).
[21] Pacher, A.: Medizinische Symbole und Attribute auf Bildnissen von Ärzten. Ciba Zeitschrift, Basel Nr. 7, S. 553 - 557 (1935).
[22] Saller, R., Reichling, J., Hellenbrecht, D.: Phytotherapie. Haug Verlag, Heidelberg 1995.
[23] Wolffhardt, E.: Beiträge zur Pflanzensymbolik. Z. Kunstwissenschaft 8 (1954).
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