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Berichte
Pflanzenbiotechnologie: Wirkstoffe, Produktion, Phytotherapie
Im Rahmen dieses Workshops befassten sich Prof. Dr. J. Reichling (Pharmazeutische Biologie) mit dem Thema "Australisches und neuseeländisches Teebaumöl als Quelle neuartiger Antiinfektiva", Prof. Dr. G. Fricker (Pharmazeutische Technologie) mit dem Thema "Drug delivery durch die Blut-Hirn-Schranke", sowie Dr. T. Hartmann (ZMBH/Prof. Dr. K. Beyreuther) mit dem Thema "Neue Targets bei der Alzheimer-Krankheit". Der Workshop war in die Bereiche Primärforschung, präklinische Forschung, klinische Forschung, Produktion und Zulassung gegliedert. Entsprechend vielfältig war das Spektrum der anwesenden Redner.
Screening von Wirkstoffen
Bereits im Bereich der Primärforschung, bei der Suche nach neuen Wirkstoffen, zeigt sich, wie Prof. Dr. G. Seibert (Aventis AG) und Dr. F. Petersen (Novartis AG) ausführten, dass auch die pharmazeutische Großindustrie verschiedene Ansätze vollzieht: Einerseits wendet sie HTS (High Throughput Screening) oder UHTS (Ultra High Throughput Screening) an, andererseits wird weiterhin traditionelles Wissen - am Beispiel des Antimalariamittels Artemisinin aufgezeigt - nach ethnopharmazeutischen Gesichtspunkten eingesetzt.
Ein wesentliches Problem besteht in der Beschaffung größerer Mengen von pflanzlichem Material, wenn über die Screeningphase hinaus Tests durchgeführt werden sollen. Die Firma Aventis, welche in Zusammenarbeit mit französischen Forschern unter Einsatz abenteuerlicher Avionik die Baumkronen tropischer Regenwälder nach Probenmaterial durchforstet, sieht sich diesem Problem - wie die anderen Pharmariesen auch - ausgesetzt. Damit verstärkt sich die eigentliche Suche nach Leitstrukturen, welche unter Einsatz der Kombinatorik oder des Molecular Modelling verändert werden können. Durch die chemische Modifikation erhofft sich die Industrie auch eine bessere patentrechtliche Absicherung ihrer Wirkstoffe.
Zulassung von Phytopharmaka
Durch die Neuzulassungsregelung für Phytopharmaka, welche diese Präparate in gleicher Weise wie sonstige allopathische Medikamente nach ihrer Unbedenklichkeit, pharmazeutischen Qualität und Wirksamkeit bewertet, stellen sich für die mittelständischen Phytopharmaka-Unternehmen neue Herausforderungen im Bereich der präklinischen und klinischen Forschung. Dr. H. H. Henneikke von Zepelin (Schaper & Brümmer GmbH) betonte die Notwendigkeit, den Wirksamkeitsnachweis nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchzuführen, und verwies auf die bestehenden internationalen Regeln zur Harmonisierung von klinischen Prüfungen.
Eine erweiterte Form der Überprüfung der klinischen Wirksamkeit ist der "Systematische Review" (vorgestellt von Prof. Dr. E. Ernst, University of Exeter, GB). Dabei werden über "Metaanalysen" die Daten aus Einzelstudien zusammengefasst und ausgewertet. Überzeugende Ergebnisse lieferten unter anderem Studien über Ginkgo biloba, Johanniskraut, Kava kava und Rosskastanie.
Prof. Dr. G. Glaeske (Universität Bremen) brachte die ernüchternde Schätzung, dass mit dem Abschluss der Neuzulassungsverfahren noch ca. 420 Phytopharmaka (aus etwa 70 Arzneipflanzen) von gegenwärtig ca. 1300 auf der so genannten Positivliste verbleiben werden. Damit wird sich auch das Spektrum der therapeutisch eingesetzten Medizinalpflanzen deutlich reduzieren. Die Thematik über die Neuregelung verschreibungsfähiger Phytopharmaka wird gegenwärtig in der Presse intensiv behandelt und kritisch diskutiert.
Standardisierung der Präparate
Die Standardisierung der Produktion von Phytoextrakten spielt zunehmend eine große Rolle, um den hohen Qualitätsanforderungen an die pflanzlichen Präparate zu genügen. Es ist zu erwarten, dass auch die mittelständischen Phytopharmakahersteller ihre Pflanzenextrakte optimieren, indem sie die physiologisch aktiven Anteile anreichern. Hier dürften vor allem züchterische Aspekte eine große Rolle spielen.
Alternativtechniken, wie fermentative Pflanzenzell- oder Gewebekulturen zur Produktion bioaktiver Wirkstoffe, vorgestellt von Dr. A. M. Nuutila (VTT-Biotechnology, Finnland), wurden vom Auditorium bezüglich Wirtschaftlichkeit eher kritisch durchleuchtet. Ein Ziel dieser Technologie liegt darin, den Bedarf im Produktionsmaßstab sowie eine gleichbleibende Qualität der Wirkstoffe besser zu gewährleisten. Der Vortrag von C. Lettenbauer (Hochschule Wädenswil, Schweiz) zeigte Ansätze, dass neue, kostengünstige Fermentertechnologien die In-vitro-Produktion ökonomisch attraktiver gestalten können.
Vielstoffgemische pro und kontra
Im Anschluss an die erste Vortragsreihe wurde eine interessante und kontrastreiche Diskussion geführt. Eine Streitfrage ist und bleibt der Einsatz von Vielstoffgemischen (Extrakten, Fraktionen) gegenüber Reinsubstanzen. Auch die pharmazeutische Großindustrie setzt weiterhin Vielstoffgemische für ihre Screenings ein, versucht aber bei einem Wirksamkeitsnachweis auf der Basis von Struktur-Wirkungs-Beziehungen ein singuläres Wirkprinzip herauszufinden, da sich Einzelwirkstoffe besser verkaufen lassen. Die Phytopharmakabranche hingegen sieht die Überlegenheit von Vielstoffgemischen in der pharmazeutischen Breite der Präparate und auch darin, dass Vielstoffgemische als Multitarget-drugs auftreten - "der Extrakt ist der Wirkstoff" so Prof. Dr. M. Habs (Willmar Schwabe GmbH & Co).
Nichtsdestotrotz besteht auch bei den Phytopharmakaherstellern ein großes Interesse, den Wirksamkeitsnachweis eines Pflanzenextraktes in präklinischen und klinischen Studien zu erbringen. Diesbezüglich wurden aktuelle Forschungsergebnisse über Hypericum (Prof. Dr. W. E. Müller, Universität Frankfurt; Dr. S. S. Chatterjee, Willmar Schwabe GmbH & Co), Crataegus, Vitex agnus-castus (Prof. Dr.B. Meier, Zeller AG) und Petasites hybridus (Dr. R. Käufeler, Zeller AG; Dr. V. Koch, Weber & Weber AG) vorgestellt.
Die überschaubare Teilnehmerzahl, sowie die "intime" Atmosphäre des IWH ermöglichten einen ausgesprochen fruchtbaren Informationsaustausch zwischen den Anwesenden. Die Forschung im Bereich der pflanzlichen Biotechnologie bleibt nicht nur für die großen Pharmakonzerne von eminenter Bedeutung, sondern wird auch für die mittelständischen Phytopharmakahersteller wichtiger. Dies sollte auch Anreiz geben, das bestehende Know-how an den Universitäten intensiver zu nutzen.
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