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Arzneimittel und Therapie
Molekulare Onkologie: Krebs – eine Krankheit der Gene
Eine der Voraussetzungen für die Entstehung von Krebs ist eine außer Kontrolle geratene und anhaltende Teilung von Zellen, die zu einer unaufhörlich wachsenden Menge anomaler Zellen führt. Zur Bildung eines solchen Tumors oder Neoplasmas kann es in allen Körpergeweben kommen.
Die Benennung der Tumoren richtet sich nach den Geweben, denen sie entstammen:
Die Klassifizierung des malignen Wachstums erfolgt nummerisch einerseits durch eine mikroskopische Charakterisierung entnommenen Tumorgewebes. Dabei wird bestimmt, zu welchem Anteil dessen Zellen im Vergleich zu den normalen Zellen im benachbarten, gesunden Gewebe noch differenziert aussehen. Andererseits findet eine Einteilung nach Stadien (meist I bis IV) statt, mit einer Beschreibung von Lokalisation, Größe und Aussehen des Primärtumors sowie der mengenmäßigen Erfassung von Knoten (N) und Metastasen (M). Vereinfacht gesagt, gilt bei diesem so genannten TNM Staging (T1–4, N0–4, M0–1), dass sich die Heilungschancen um so mehr verschlechtern, je höher diese Zahlen sind.
Ungebremstes Wachstum bei Fehlern im Genom
Die Umwandlung einer gesunden Zelle in eine Tumorzelle geht häufig darauf zurück, dass sich entweder veränderte Gene allmählich im Erbgut ansammeln oder regulierende Gene verlorengehen. Solche Ereignisse lassen sich möglicherweise von Umwelteinflüssen wie falscher Ernährung, giftigen Chemikalien, ionisierender Strahlung, Viren oder auch wegbereitenden Vorerkrankungen ableiten. Die Einzelheiten sind jedoch erst wenig bekannt. Grundsätzlich ist der Prozess der Krebsentstehung vermutlich mit vier bis fünf Veränderungen am Erbgut verbunden, wodurch die gebildeten Zellen nach und nach immer mehr entarten. Bis zum Auftreten der Krankheit können so mehrere Jahrzehnte vergehen. Liegt aber bereits bei der Geburt eine geschädigte Genkopie vor, entsteht ein Tumor meist in kürzerer Zeit.
Onkogene und Tumorsuppressorgene
Im wesentlichen tragen zwei Gentypen zum Ausbruch von Krebs bei: Protoonkogene lassen sich durch bestimmte Botenstoffe aktivieren und wieder blockieren, so dass sie bei Bedarf in einen ruhenden Zustand übergehen. Diese Gene nehmen Funktionen in der "normalen" Zellentwicklung wahr. Durch genetische Veränderungen werden sie zu Onkogenen, die ihre Steuerbarkeit verloren haben. Sie existieren dann nur in ihrer angeschalteten Form und übermitteln mit Hilfe der von ihnen gebildeten Proteine permanent Wachstumssignale zur Schaltzentrale im Kern, wo sie wiederum die entsprechenden Gene aktivieren. Produkte der Onkogene sind Wachstumsfaktoren oder an der Zelloberfläche befindliche Rezeptoren, an die sich bestimmte Wachstumsfaktoren binden und damit eine Signalübertragung einleiten.
Tumorsuppressorgene (Anti-Onkogene) bilden Proteine, die normalerweise das Wachstum bremsen und die Zelldifferenzierung begünstigen. Ihr Funktionsverlust durch sequenzverändernde oder genausschaltende Mutationen bewirkt ebenfalls einen anhaltenden Wachstumsimpuls oder eine Einbuße des Differenzierungsvermögens. Aufgehoben wird die Wachstumskontrolle von Zellen jedoch erst dann, wenn beide Genkopien inaktiviert sind oder fehlen. Ist nur eines der beiden Gene auf dem Chromosomenstrang betroffen, bleibt dies überwiegend ohne Auswirkungen.
Die meisten Zellen verfügen über Mechanismen zur Selbstzerstörung (Apoptose). Auch dieses Kontrollsystem hindert normale Zellen daran, sich zu oft zu teilen. Es wird aktiviert, damit bei der Zellteilung keine geschädigten Strukturen an die Tochterzellen weitergegeben werden. Dazu wird ein Enzym mobilisiert, welches die DNA zerstückelt, worauf die Zelle zum Abbau freigegeben wird. In Krebszellen unterbleibt dieser Mechanismus, so dass sie unbegrenzt wachsen. Das Suppressor-Gen p53 spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Zellzyklus und des programmierten Zelltodes. Bei etwa 66% aller Krebsarten, fast 100% aller Metastasen und etwa 75% aller Dickdarmkarzinome ist es inaktiv.
Die Suche nach gezielterer Krebs-Bekämpfung
Da beim Krebs stets die Gefahr besteht, dass Rezidive mit Rückfall (Wiederverschlechterung der Tumorkrankheit nach temporärer erfolgreicher Behandlung) oder Progression mit dokumentiertem Fortschreiten des Tumorwachstums auftreten, ist das Ziel einer kurativen Behandlung ist eine Heilung oder zumindest das langfristige Überleben ohne erneutes Auftreten von Tumoren. Eine Heilung ohne vollständige Remission ist nicht möglich. Ein Parameter zur Messung des Therapieerfolges stellt die auch als "objektive Remissionsrate" bezeichnete Summe kompletter und partieller (Reduktion des Tumorvolumens um mindestens 50%) Remissionen dar.
Palliative Behandlung lindert Symptome
Die palliative Behandlung dagegen will vor allem eine Linderung der Symptome und Verbesserung der Lebensqualität erreichen. Ein Beispiel dafür ist der Wirkstoff Ibandronat, der gegen die Hyperkalzämie eingesetzt wird. Das im Medikament enthaltene Bisphosphonat ist ein Knochencalcium-Regulator zur Verhinderung des übermäßigen Knochenabbaus. Dieser steht bei Krebspatienten vielfach im Zusammenhang mit Knochenmetastasen verschiedener Karzinome, Myelomen oder malignen Lymphomen. Krankhaft erhöhte Calcium-Konzentrationen im Blut verursachen Müdigkeit, Muskelschwäche, Durst und Erbrechen. In schweren Fällen können Nierenversagen und Tod eintreten.
Behandlungsmethoden
Als Behandlungsmethoden kommen Chirurgie sowie Strahlen-, Chemo- und Hormontherapien in Betracht. Die ersten beiden Methoden dienen vorrangig der lokalen Tumorkontrolle, während sich letztere zur systemischen Behandlung eignen. Kleine, rasch wachsende Tumoren sprechen gut darauf an. Die meisten heute angewandten tumorbekämpfenden Mittel machen sich die Unterschiede zunutze, die normale Zellen und Krebszellen bei Teilung, Wachstum oder Stoffwechsel aufweisen. Sind diese jedoch nicht sehr groß, werden bei der Behandlung mit zellzerstörenden, chemotherapeutischen Medikamenten (Zytostatika) auch gesunde Zellen mit hoher Vermehrungsrate beeinträchtigt. Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit oder Haarausfall sind die Folge. Daher konzentriert sich ein großer Teil der klinischen Krebsforschung darauf, die Vermehrung von Tumorzellen möglichst gezielt und kontrolliert zu verhindern oder diese selektiv abzutöten. Einen Schritt in diese Richtung geht die Biotherapie mit Agenzien, welche biologische Prozesse wiederherstellen, kontrolliert verstärken oder reduzieren.
Immuntherapie
Die Immuntherapie geht auf Behandlungsansätze des 19.Jahrhunderts zurück, als man feststellte, dass durch bakterielle Infektionen Mediatoren gebildet werden, die das Immunsystem stimulieren und in Einzelfällen zur Tumorrückbildung führen können. Inzwischen sind viele solcher Stoffe analysiert und ihre Wirkungsweise aufgeklärt. Substanzen, die spezifische Immunreaktionen auslösen, werden als Antigene bezeichnet. Dabei kann es sich um Mikroorganismen, Viren, Parasiten oder sonstige organische und anorganische Verbindungen handeln.
Auf das Erkennen von Antigenen spezialisierte Lymphozyten sind je nach Struktur und Funktion befähigt, Antikörper gegen diese zu bilden, Zellen direkt zu zerstören oder andere Immunzellen zu aktivieren. Eine der großen Lymphozytenfamilien umfasst die B-Lymphozyten, die an ihrer Oberfläche als Antigen-Rezeptoren dienende Antikörpermoleküle tragen. Die Bindung des Antigens an diesen Rezeptor auf der Zellmembran löst eine Zellaktivierung aus, mit deren Hilfe die Differenzierung der antigenreaktiven B-Zellen zur Antikörper abgebenden Plasmazelle oder zur Gedächtniszelle ausgelöst werden. Sobald sich die Antikörper mit den Antigenen verbunden haben, können entartete Zellen zerstört werden. Die im Körper zirkulierenden Gedächtniszellen werden bei einem nochmaligen Auftreten der Antigene sehr schnell aktiviert und produzieren dann dieselben Antikörper wie nach dem Erstkontakt, jedoch mit viel höherer Bildungsrate.
"Mabs" gegen Lymphome ...
Tumorzellen können verschiedene Antigene aufweisen, von denen meist einige tumorspezifisch sind. Ein Beispiel ist das CD 20-Antigen, welches sich auf unreifen, ruhenden und aktivierten B-Zellen befindet, aber nicht auf lymphoiden Stammzellen oder Plasmazellen. Es kommt auch auf den meisten B-Zellen-Lymphomen (Non-Hodgkin-Lymphome)vor. Rituximab (MabThera®) ist ein monoklonaler Antikörer (Mab), welcher an das CD 20-Antigen bindet. Mit dieser Markierung werden körpereigene Abwehrmechanismen in Gang gesetzt, die die entarteten Zellen zerstören. Der Antikörper wird als chimärisch (aus verschiedenen Wesen zusammengesetzt) bezeichnet, weil er aus einem (größeren) vom Menschen (humanen) und einem (kleineren) von der Maus (murinen) stammenden Teil besteht.
... und gegen Brustkrebs
Einige Produkte zellulärer Onkogene fungieren als Rezeptoren an der Oberfläche von Tumorzellen und verbinden sich mit epithelialen Wachstumsfaktoren. Im Zusammenhang mit Brustkrebs spielt vor allem das HER2 (human epidermal growth factor (EGF)-receptor 2)-Protein eine Rolle. Der Rezeptor sitzt in der Zellwand und ragt sowohl nach außen als auch über die Zellwand in das Zellinnere hinein. Er kommt auf 25 bis 30 Prozent aller Mammakarzinomzellen in erhöhter Anzahl vor (wird überexprimiert) und geht auf die Vervielfachung des Onkogens Her2/neu zurück. Der extrazelluläre Teil des HER2-Proteins hat antigene Eigenschaften, gegen den ein monoklonaler Antikörper wirkt, der an das HER2 bindet.
Bei Herceptin® handelt es sich um einen humanisierten Anti-HER2-Antikörper (Trastuzumab), der den Rezeptor blockiert. Hierdurch wird die übermäßige Teilung und Vermehrung der Tumorzellen gestoppt. Die vermehrte Bildung des Rezeptors des epidermalen Wachstumsfaktors hat eine hohe prognostische Aussagekraft, die mit dem Lymphknotenstatus vergleichbar ist. Sie bedeutet aggressives Tumorwachstum und Metastasierungsgefahr, häufig auch Resistenz gegen Hormontherapie und folglich eine stark reduzierte Überlebenswahrscheinlichkeit.
Quelle: "Roche Facetten" Nr.9, herausgegeben von der Hoffmann-La Roche Ltd., Basel.
Auch wenn die Medizin inzwischen manche Tumorarten erfolgreich in Schach halten kann, stirbt weltweit jeder vierte Mensch an Krebs. Erkenntnisse aus der Molekularbiologie haben zu Arzneimitteln geführt,die spezifischer wirken als frühere Medikamente und damit sowohl die Heilungschancen erhöhen als auch weniger schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Ein Beispiel dafür sind Antikörper, die Tumorzellen gezielt vernichten können.
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