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Arzneimittel und Therapie
Gentechnik: Die Impfstoffe der Zukunft
Parasiten, Bakterien und Viren greifen ständig unseren Organismus an. Das Immunsystem hat die Aufgabe, diese Aggressoren zu identifizieren, um dann eine Reaktion auszulösen, die sie zerstört. Anschließend speichert das System diesen Infektionserreger in seinem "Gedächtnis". So kann der Körper künftige Angriffe des gleichen Erregers wiedererkennen und abwehren. Weiße Blutkörperchen, die T-Lymphozyten, sind das Herzstück unserer Immunabwehr. Im Kontakt mit den infektiösen Mikroorganismen stimulieren diese T-Lymphozyten die B-Lymphozyten. Diese produzieren Antikörper, die die körperfremden Zellen erkennen und vernichten helfen.
Die Impfung beruht auf genau dieser Eigenschaft des Immunsystems. Ein "biologisches Material" wird in den Organismus inokuliert, das den Infektionserreger so imitiert, dass das Immunsystem die Abwehr organisiert. Heute enthalten die meisten Impfstoffe entweder einen toten Stoff (Virus, Bakterium oder (Molekül), einen inaktivierten Lebendstoff oder ein gereinigtes Fragment des Stoffes. Die Herstellung der Impfstoffe beruht auf der Vermehrung des Stoffes im Tier oder in Kulturen menschlicher Zellen. Diese Verfahren zur Gewinnung von Impfstoffen weisen jedoch Grenzen auf.
Konventionelle Produktion: die Grenzen
Aus diesem Grunde hatte die biomedizinische Industrie in den Achtzigerjahren in die Erforschung neuer Impfstoffe investiert, unter Nutzung der neuen Möglichkeiten der Molekularbiologie. Heute kann dank der Fortschritte der Gentechnik ein vollständiges Bakteriengenom mit drei Millionen Basenpaaren in weniger als sechs Monaten sequenziert werden.
Die rekombinanten Lebendimpfstoffe
Dank der gezielten Manipulation von Viren, Bakterien oder Parasiten können die Arzneimittelhersteller und -forschungsinstitute heute völlig neuartige Impfstoffe entwickeln. Die Forscher können zwei Genome von Bakterien oder Viren rekombinieren. Sie können außerdem bestimmte Gene des einen Erregers in das Genom eines abgeschwächten viralen oder bakteriellen Stammes einbringen. Dabei wird ein Vektorvirus verwendet, der keine Virulenz für die zu impfende Spezies aufweist, und es werden ein oder mehrere fremde Gene, die zu einem anderen Erreger gehören, in sein Genom eingebracht. Das Virus oder das Bakterium dienen somit als "Vehikel" oder "Display" von Antigenen für das Immunsystem.
Bei dem ersten rekombinanten Lebendimpfstoff, der jetzt im Handel ist, handelt es sich um einen oralen Veterinärimpfstoff gegen Tollwut (Firma Merial aus Lyon) zum Schutz von Füchsen. Fünf Labore des Institut Pasteur (Paris) arbeiten zur Zeit an der Entwicklung von rekombinanten Salmonella-, Adenoviren- und BCG-Impfstoffen. Im Bereich der Impfstoffe gegen Aids führt Pasteur-Mérieux-Connaught (Lyon) zwei Versuche mit rekombinanten Impfstoffen auf der Grundlage von Canarypoxviren an sorgfältig ausgewählten, gesunden HIV-seronegativen Probanden durch. Diese Versuche, die gemeinsam vom französischen Institut für Aids-Forschung (ANRS) und dem Institut Pasteur durchgeführt werden, betreffen die Toleranz und die Immunogenität.
Die molekularen Impfstoffe
Die Isolierung und das Klonen der Gene, die die Antigene der Viren, Bakterien und Parasiten kodieren, hat es ermöglicht, in die Phase der "biologischen Fabriken" überzugehen. "Das Gen, das für ein bestimmtes Antigen kodiert, wird in ein Bakterium, eine Hefe oder Tierzelle eingeführt, die das Antigen poduzieren", erläutert Dr. Marie-Louise Michel, Forschungsingenieurin im Bereich Genetische Rekombination und Expression des Institut Pasteur (Paris). Ihr Labor, das von Pierre Tiollais geleitet wird, hat einen Subunit-Impfstoff gegen Hepatitis B (300 Millionen Betroffene weltweit, 6000 neue Infektionen in Frankreich) auf der Grundlage von genetisch modifizierten Eierstockzellen von chinesischen Hamstern (CHO-Zellen) entwickelt. Dieser Impfstoff wird bereits seit 1989 von Pasteur Mérieux Connaught vermarktet. In den kommenden fünf Jahren dürften weitere Impfstoffe gegen Malaria (drei Millionen Tote pro Jahr), Denguefieber und Tuberkulose (ebenfalls weltweit drei Millionen Tote pro Jahr)entwickelt werden.
Verschiedene Subunit-Impfstoffe
Die Biologen unterscheiden zwischen drei verschiedenen Subunit-Impfstoffen: einfaches Molekül, konjugierte und hybride Impfstoffe. Ein isoliertes, einfaches Molekül kann in Gegenwart eines Adjuvans verabreicht werden, wodurch seine Immunogenität erhöht wird. Dies ist bereits der Fall beim Antitetanus-Impfstoff, der seit vierzig Jahren von Pasteur Mérieux Connaught vermarktet wird. Man spricht von konjugierten Impfstoffen, wenn es erforderlich ist, die Antigenfragmente chemisch an ein Carrier-Protein zu koppeln. Beim Institut Pasteur ist Nicole Guiso, die das Bordetella-Labor leitet, an einer Phase-III-Studie in Senegal beteiligt, die an einem konjugierten Subunit-Impfstoff gegen Keuchhusten durchgeführt wird. Dabei soll die Wirksamkeit dieses von Pasteur Mérieux Connaught entwickelten Impfstoffs mit einem klassischen Impfstoff mit ganzen Keimen verglichen werden. Die hybriden Impfstoffe oder Chimären sind ihrerseits noch nicht entwickelt worden. Hier geht es darum, dass antigene Fragmente aus unterschiedlichen Keimen an ein Carrier-Protein übertragen werden. Damit könnte beispielsweise eine gleichzeitige Immunisierung gegen Aids und Hepatitis B erfolgen.
Die DNA-Impfstoffe
Anfang der Neunzigerjahre haben zwei unerwartete Entdeckungen den Vakzinforschern neue Möglichkeiten erschlossen. Einerseits wurde nachgewiesen, dass eine einfache Injektion in den Muskel oder ein Partikelbeschuss auf der Haut das Eindringen von DNA in ein Gewebe und ihre Expression in den Zellen dieses Gewebes ermöglicht. Andererseits haben Versuche im Forschungszentrum von Merck in Pennsylvania (USA) den Nachweis erbracht, dass ein durch plasmidische (Das Gen des Proteins wird in einen Vektor, das Plasmid, eingeführt, das alle erforderlichen Elemente für die Expression enthält) DNA kodiertes Fremdprotein eine starke Immunreaktion auslösen kann, vergleichbar mit der Reaktion, die durch eine Virusinfektion hervorgerufen wird.
"Es geht nicht mehr darum, Antigene allein oder getragen von einem Bakterium oder einem Virus zu injizieren, sondern in bestimmte Zellen des Organismus, in diesem Fall Muskelzellen, das für das immunisierende Antigen kodierende Gen einzuführen", erläutert Dr. Marie-Louise Michel. Der Impfstoff wird somit lokal von dem zu immunisierenden Organismus produziert. Das Team von Marie-Louise Michel arbeitet zusammen mit einem Labor der Universität Ottawa an einem DNA-Impfstoff gegen Hepatitis B. Ihre Erfahrungen mit Impfungen gegen Hepatitis B mittels DNA bei Mäusen und Primaten haben gezeigt, dass spezifische Antikörper und T-Lymphozyten des Hepatitis-B-Virus produziert werden können. Dieses Impfverfahren weist zahlreiche Vorteile auf. Das so produzierte Antigen hat eine native Form, das heißt, es ist in allen Punkten ähnlich wie das bei einer Infektion synthetisierte Antigen. Darüber hinaus produzieren die Zellen des Organismus, die die plasmidische DNA internalisiert haben, das immunisierende Antigen dauerhaft.
"Ein Problem bleibt bestehen: das Risiko einer zufälligen Integration von plasmidischer DNA in das Genom des Wirts. Dieses Risiko ist mutagen: Die Integration könnte Protoonkogene aktivieren oder Tumorsuppressorgene deaktivieren", bewertet Dr. Michel den derzeitigen Stand. Die großen Arzneimittelhersteller arbeiten an DNA-Impfstoffen gegen etwa zwanzig Krankheiten, darunter Grippe, Aids, Hepatitis B und C, Tollwut, humane T-Zell-Leukämieviren (HTLV I) sowie humane Papillomaviren (HPV), die für Gebärmutterhalskarzinome verantwortlich sind.
Von präventiven zu therapeutischen Impfstoffen
Aids, Hepatitis C, Lyme-Krankheit und hämorrhagisches Fieber sind die neuen Krankheiten, die zu den älteren Infektionskrankheiten hinzukommen. Wenn Impfstoffe Krankheiten bei Gesunden verhüten, können sie auch zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden oder ein erneutes Auftreten der Krankheit bei Patienten, die latente Virusträger sind, verhindern. Die therapeutischen Impfstoffe "schulen" das Immunsystem, damit es gegen den Infektionserreger reagieren kann. Darüber hinaus werden Impfstoffe entwickelt, die verschiedene chronische Krankheiten bekämpfen sollen: Impfstoffe gegen Herpes, Hepatitis B, Hepatitis C, Aids und Papillomaviren. Die meisten Infektionserreger sind an der Entstehung von kanzerogenen Tumoren in den infizierten Organen beteiligt. Das in Straßburg ansässige Unternehmen Transgène führt zur Zeit vier klinische Phase-II-Prüfungen mit therapeutischen genetischen Impfstoffen zur Behandlung von Melanomen, Lungen-, Brust- und Prostatakrebs durch. "Falls überzeugende Ergebnisse für Prostatakrebs erzielt werden, könnte die Phase II zur Beantragung einer Zulassung für den amerikanischen Markt bis zum Jahre 2000 führen", erklärt der Medizinische Direktor von Transgène, Patrick Squiban.
Auch eine Kostenfrage
Bleibt nur noch ein finanzielles Problem zu lösen. Die Kostenfrage spielt nämlich eine große Rolle, insbesondere in den Entwicklungsländern. Im Durchschnitt geht man davon aus, dass die Entwicklung eines neuen Impfstoffs zehn Jahre dauert und 200 bis 300 Millionen US-Dollar kostet. Die Industrie kann sich nur für Impfstoffe interessieren, die eine ausreichende Rentabilität gewährleisten. "Die wichtigsten Märkte, in Bezug auf die Menge der erforderlichen Impfstoffe, sind jedoch in den ärmsten Ländern", stellt Claude Hannoun, emeritierter Professor am Institut Pasteur, fest.
Verabreichung von Impfstoffen über die Schleimhäute
Das Aufbringen der Impfstoffe unmittelbar auf die Schleimhäute ruft eine lokale Immunreaktion hervor, die im allgemeinen nicht durch die Impfstoffe ausgelöst wird, die systemisch verabreicht werden. Die Schleimhäute sind häufig die ersten Barrieren, die Erreger bei einer Infektion vorfinden. Um die Infektionserreger zu bekämpfen, bevor sie in den Organismus gelangen, verfügt das Immunsystem über Abwehrwaffen, die in den Schleimhäuten vorhanden sind: bestimmte Antikörper (IgA) und spezifische T-Lymphozyten der Schleimhäute. Die Anwendung von Impfstoffen auf den Schleimhäuten erfordert den Einsatz von besonderen Adjuvanzien. Die 1989 gegründete Biovector Therapeutics S.A. mit Sitz in Toulouse hat neue unternehmenseigene Verfahren für die Delivery oder Bereitstellung von biologischen Produkten entwickelt. Das Unternehmen verfügt über mehrere Patente für Biovektor-Systeme. Es handelt sich dabei um synthetische Partikel auf der Grundlage von einzigartigen, supramolekularen Strukturen, die im Hinblick auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit der aus der Biotechnologie abgeleiteten Produkte gezielt untersucht werden.
"Diese Partikel sind biomimetisch, das heißt sie weisen Ähnlichkeiten mit den Strukturen lebender Organismen, wie etwa Viren, auf. Das Produktionsverfahren wurde vom Unternehmen entwickelt. Dem Patienten können therapeutische Substanzen mit einem Vektor verabreicht werden, der die Erhaltung ihrer Stabilität gewährleistet", erläutert Frédéric Allemand, Vice President Business Development, Biovector Therapeutics S.A.
Vier Trägersysteme für Impfstoffe
Dieses Biotechnologieunternehmen arbeitet zur Zeit an der Entwicklung von innovativen Impfstoffen, von denen einige in Sprayform verabreicht werden. Auf der Grundlage von eigenen Verfahren oder über entsprechende Lizenzen hat die Biovector Therapeutics S.A. vier Biodelivery-Systeme für die Verabreichung von Molekülen aus der Biotechnologie entwickelt.
Die folgenden Projekte sind in der Realisierungsphase:
Quelle Bernard Banga, Französisches Informations-Zentrum für Industrie und Technik, eine Pressestelle des CFME.ACTIM.
Heute können mit Hilfe der Gentechnik die Gene von Viren, Bakterien oder Parasiten gezielt manipuliert werden. Damit können die Forscher den Anwendungsbereich von Impfungen auf Krankheiten ausweiten, für die heute noch keine Immunisierungsmöglichkeiten gegeben sind.
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