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Arzneimittel und Therapie
Die Pille gegen das Rauchen
Insgesamt ist der Verbrauch von Zigaretten in Deutschland in den letzten fünf Jahren um 8% gestiegen. Vor allem bei Frauen in den neuen Bundesländern und bei Jugendlichen ist der Anstieg deutlich. Die Frauen im Osten Deutschlands haben ihren Raucherinnenanteil von 20,5 auf 29,1% gesteigert - das ist ein Anstieg von über 40%. Damit liegen sie jetzt auf der Höhe des Westens: Hier rauchen 28,9% der Frauen. Männer sind jedoch wesentlich häufiger von der Nicotinsucht betroffen: Im Westen rauchen 36,5% und im Osten 40,5%. Der Raucheranteil hängt auch von der sozialen Schicht ab: Je höher diese ist, desto weniger Raucher gibt es. Besonders eifrige Zigarettenliebhaber sind die Jugendlichen: In der Altersgruppe um die Zwanzig rauchen fast 50%. Im Mittel raucht jeder Raucher zwischen 10 und 20 Zigaretten pro Tag.
Neben den Zigaretten erfreuen sich auch Zigarren und Zigarillos als Statussymbol neuerdings zunehmender Beliebtheit: Nach einem jahrzehntelangen kontinuierlichen Rückgang ging der Konsum hier in den letzten fünf Jahren um 72% in die Höhe. Tabakindustrie und Staat verdienen gut an der Sucht: Die Tabaksteuer-Einnahmen sind in den letzten fünf Jahren um 11% auf 21,6 Mrd. DM angewachsen, die Ausgaben der Verbraucher für Tabakwaren erhöhten sich um 17% auf 38,9 Mrd. DM.
Die Mehrheit befürwortet Einschränkungen
Aber längst nicht jeder Raucher raucht wirklich gern. Etwa ein Drittel aller Raucher hat in den letzten 12 Monaten einen ernsthaften Aufhörversuch gemacht. Eine 1999 europaweit durchgeführte Raucherstudie liefert interessante Erkenntnisse: Mehr als zwei Drittel der Raucher befürworten ein Mindestalter beim Kauf von Tabakwaren, sind für Nichtraucherzonen in Restaurants und Rauchverbote in Krankenhäusern.
40% der Raucher in Österreich und Portugal, aber 80% der Raucher in Schweden und in den Niederlanden haben bereits einen ernsthaften Aufhörversuch hinter sich - Deutschland liegt mit 39% bei Männern und 47% bei Frauen am unteren Ende der Spanne. An der Spitze der Einflussfaktoren, die den Aufhörwunsch unterstützen können, liegen der Rat des Arztes, mit dem Rauchen aufzuhören, und die gesundheitlichen Auswirkungen, sowohl für die Raucher selbst als auch für tabakrauchexponierte Nichtraucher im Umfeld. Dann folgen der Rat des Apothekers sowie die wachsende soziale Ächtung der Raucher.
Das Risiko wird falsch eingeschätzt
Viele aktive Raucher wollen aber gar nicht aufhören. Sie möchten nicht auf die angenehmen Begleiterscheinungen des Rauchens verzichten und schätzen zudem ihr Risiko falsch ein: 53% denken, dass sie mit dem Rauchen nur ein geringes gesundheitliches Risiko eingehen, 35% reden von einer mittleren Gefährdung, und nur 12% schätzen ihr Gesundheitsrisiko völlig zutreffend als hoch ein. Das Risiko eines Rauchers für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist zwei- bis fünfmal höher als das eines Nichtrauchers, und das für Lungenkrebs ist sogar um das 15- bis 20fache erhöht.
111 000 Tote jährlich
Jedes Jahr sterben 111000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, Alkohol verursacht dagegen "nur" 42000 Todesfälle pro Jahr, 13000 Menschen töten sich jährlich selbst, und 9000 sterben bei Verkehrsunfällen. Auch Passivraucher sind durch den "blauen Dunst" gefährdet. Jährlich sterben etwa 400 Nichtraucher an Lungenkrebs und 3000 an Herzkrankheiten, die durch Passivrauchen verursacht wurden. Damit sterben durch das "Verbraucherrisiko" eines Passivrauchers, der sich dem Zigarettenrauch aus den verschiedensten Gründen nicht entziehen kann, jährlich weit mehr Menschen als an BSE.
Es gibt keine Garantie
Die Zielgruppe für die Raucherentwöhnung sind nicht die aktiven "Gern-Raucher", sondern die schwankenden Raucher und die, die bereits einen Aufhörversuch unternommen haben, denn für den Erfolg der Raucherentwöhnung ist der feste Wille des Rauchers unabdingbar. Und selbst dann ist eine Heilung von der Sucht nicht möglich, und eine Erfolgsgarantie kann nicht gegeben werden. Nach der Entwöhnung müssen besonders rückfallträchtige Situationen gemieden werden, beispielsweise ein Kneipenbesuch mit rauchenden Freunden. Auch bei Problemen bei der Arbeit, in der Partnerschaft und bei der Wohnsituation greifen viele Exraucher erneut zum Glimmstängel.
Psychologische Prozesse spielen wichtige Rolle
Bei der Gewöhnung an das Rauchen und bei der Nicotinabhängigkeit spielen verschiedene Lernprozesse eine Rolle: rauchspezifische Reize werden erlernt, die erhöhte Konzentrationsfähigkeit und das Wohlbefinden beim Rauchen spielen zusätzlich eine wichtige Rolle. Motorische Prozesse wie die Beschäftigung der Finger bei Rauchritualen werden gefestigt und das soziale Verhalten entsprechend geübt. Zum Beispiel kann die soziale Kontaktaufnahme durch das Rauchen erleichtert werden. Diese Lernprozesse sind eng mit entsprechenden physiologischen und neurobiologischen Veränderungen verknüpft.
Das Rauchen verlernen
All dies kann auch wieder verlernt werden! - So lautet das Grundprinzip der Verhaltenstherapie, der wichtigsten Maßnahme zur Raucherentwöhnung. Am Anfang der Therapie steht die Analyse des individuellen Rauchverhaltens. Um die Motivation zum Aufhören zu stärken, müssen vor allem die positiven Aspekte des Rauchstopps betont werden. Steht der Entschluss fest, wird der Rauchstopp strukturiert vorbereitet. Der erste rauchfreie Tag wird festgelegt, der so genannte Zieltag. Bei der Selbstbeobachtung hilft ein spezielles "Nichtraucher-Tagebuch".
Auch wenn der Entzug zunächst einmal erfolgreich war, gilt es jetzt, den erreichten Erfolg nachhaltig zu sichern und effektiv Rückfällen vorzubeugen. Dazu dient die fortgesetzte strukturierte Selbstbeobachtung, bei der (rauch)kritische Situationen und konsumbezogene Erfolgs-/Misserfolgsmomente durch das "Nichtraucher-Tagebuch" dokumentiert werden. Der Ex-Raucher muss Alltag, Umgebung und Ernährungsverhalten verändern und Belohnungssysteme etablieren.
Um Rückfälle zu vermeiden, muss er ein Repertoire von Verhaltensalternativen in potenziellen Rückfallsituationen aufbauen und ständig erweitern. Regeln und Verhaltensrituale sollten dem erneuten Griff zur Zigarette vorgeschaltet sein und als "Rauch-Barrieren" dienen.
Besserer Erfolg mit Nicotinersatzstoffen oder Bupropion
Die Verhaltenstherapie kann medikamentös unterstützt werden, um die Entzugserscheinungen abzumildern. Dafür sind Nicotinersatzpräparate die Mittel der ersten Wahl. Hier sind Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt, und die Erfolgsrate bei der Raucherentwöhnung ist gut dokumentiert.
Eine neues Mittel zur medikamentösen Raucherentwöhnung ist das Antidepressivum Amfebutamon (syn. Bupropion). Die Substanz wird bereits seit zehn Jahren in den USA als atypisches Antidepressivum unter dem Namen Wellbutrin eingesetzt. Unter dem Namen Zyban wurde Bupropion SR (slow release) in den USA im Mai 1997 als erstes nicht nicotinhaltiges Medikament in der Indikation Raucherentwöhnung zugelassen.
Plazebokontrollierte Studien: gute Erfolgsrate
Die Empfehlung der FDA-Beratungskommission beruht unter anderem auf zwei plazebokontrollierten Studien mit insgesamt rund 1500 erwachsenen Teilnehmern. Die Behandlung erfolgte über sieben bis neun Wochen. Jeder Teilnehmer rauchte mindestens 15 Zigaretten pro Tag.
In einer plazebokontrollierten Dosisfindungsstudie mit 613 Teilnehmern wurde zweimal täglich 150 mg Bupropion SR - nach Einschleichen mit einmal täglich 150 mg in den ersten drei Behandlungstagen - über eine Behandlungszeit von sieben Wochen als therapeutische Dosis empfohlen. In einer vierarmigen, plazebokontrollierten, doppelblinden Studie zur Raucherentwöhnung in der Langzeitanwendung bei 893 Patienten wurde die Wirksamkeit von Bupropion SR als Monotherapie, in der Kombination mit einer Nicotinersatztherapie (Nicotinpflaster) und Nicotinersatztherapie als Monotherapie vs. Plazebo verglichen. Hier wurden initial 150 mg pro Tag in den ersten drei Behandlungstagen und zweimal 150 mg während der verbleibenden Behandlungszeit angewendet.
49% der Teilnehmer, die mit Bupropion SR behandelt wurden, konnten nach siebenwöchiger Behandlungsphase mit dem Rauchen aufhören, 36% der Teilnehmer, die ein Nicotinpflaster (21 mg/Tag Wirkstofffreisetzung) erhielten, und 23% der Teilnehmer, die mit einem Plazebo behandelt wurden (kontinuierliche Abstinenzraten zwischen Woche 4 und 7). Bei einer kombinierten Anwendung von Nicotinpflaster und Bupropion SR hörten 58% der Teilnehmer bis zur siebten Woche mit dem Rauchen auf, wobei der Unterschied zur Bupropion-Monotherapie nicht signifikant war.
Noch ein Jahr nach Behandlungsbeginn betrug die kontinuierliche Abstinenzrate 18,4% für Bupropion SR gegenüber 9,8% für Nicotinpflaster und 5,6% für Plazebo. Die Punktprävalenzabstinenz, also die Abstinenz während einer bestimmten Studienwoche, betrug nach 12 Monaten unter Plazebo 15,6%, unter Nicotinersatztherapie alleine 16,4%, unter Bupropion SR als Monotherapie 30,3% und unter der Kombination Bupropion SR mit Nicotinersatztherapie 35,5%.
Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmung
Bupropion hemmt die Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahme in die Synapse und erhöht dadurch die Konzentration dieser Neurotransmitter im synaptischen Spalt, ohne das Serotonin-System zu beeinflussen. Bupropion gilt als atypisches Antidepressivum und wird weder den trizyklischen Antidepressiva noch den Serotonin-Wiederaufnahme- oder MAO-Hemmern zugeordnet.
Der Wirkmechanismus von Bupropion bei der Entwöhnung des Rauchens ist noch nicht geklärt. Da Bupropion als Catecholamin-Wiederaufnahmehemmer zu einer Erhöhung von Dopamin und Noradrenalin unter anderem im Nucleus accumbens und Locus coeruleus im limbischen System führt, kann es vermutlich nicotinbedingte Entzugssymptome und Rauchdrang mildern. Wahrscheinlich erhöht Bupropion ähnlich wie Nicotin die extrazelluläre Dopaminkonzentration. Die Genusswirkung von Nicotin kommt unter anderem über eine Erhöhung der Dopaminkonzentration im Locus coeruleus zustande, und die Freisetzung von Noradrenalin ist für die stimulierende Wirkung von Nicotin verantwortlich.
Bupropion scheint die Begleitwirkungen von Nicotin auf die noradrenergen und dopaminergen Strukturen zu simulieren. Wahrscheinlich werden so das so genannte Craving ("Heißhunger" nach der Droge) und die Entzugssymptome gemildert. Durch die adrenerge Wirkung kommt es zu keiner Gewichtszunahme. Das Suchtpotenzial von Bupropion bei der Raucherentwöhnung ist wenig beschrieben und wird derzeit als gering eingeschätzt.
Bei Krampfanfällen kontraindiziert
Da die Inzidenz von Krampfanfällen unter Bupropion SR 300 mg mit 0,1% angegeben wird, ist die Substanz bei Patienten mit Krampfanfällen in der Anamnese oder erhöhter Krampfbereitschaft kontraindiziert. Zyban ist ebenfalls kontraindiziert bei Patienten unter gleichzeitiger Wellbutrin-Behandlung oder sonstiger Bupropion-Anwendung, da das Krampfpotenzial der Substanz dosisabhängig ist. Bulimie, Anorexia nervosa und die Einnahme von MAO-Hemmern stellen weitere Kontraindikationen dar. Die Washout-Zeit zwischen der letzten Einnahme von MAO-Hemmern und Bupropion sollte mindestens 14 Tage betragen.
Das Krampfrisiko wird erhöht durch prädisponierende Faktoren wie Schädelhirntrauma oder einen Tumor im ZNS, exzessiven Alkoholkonsum, abrupten Entzug von Alkohol oder Sedativa, Abhängigkeit von Opiaten, Cocain oder anderen Stimulanzien, Appetitzüglern, die Einnahme von Medikamenten, die die Krampfschwelle reduzieren (z.B. Antipsychotika, Antidepressiva, Theophyllin, systemische Steroide), oder der Behandlung von Diabetes mellitus mit oralen Antidiabetika oder Insulin.
Wechsel- und Nebenwirkungen
Bupropion ist ein schwacher Hemmstoff des Cytochrom-P450-Isoenzyms 2D6. Bei der Kombination von Bupropion SR mit Medikamenten, die über CYP2D6 abgebaut werden (z.B. Neuroleptika, Antiarrhythmika, trizyklische Antidepressiva, Betablocker und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer), gilt deshalb der Warnhinweis, dass diese Medikamente vorsichtig und ggf. in reduzierter Dosis angewendet werden sollen.
Bupropion wird im Allgemeinen gut vertragen. Die hauptsächlichen Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Benommenheit, Kopfschmerz, Hautausschlag und Schlafstörungen, die sich im Laufe der Anwendung bessern können. Wegen der Gefahr von Schlafstörungen sollte die zweite Tablette nicht am Abend, sondern lieber spätnachmittags genommen werden.
Allerdings kann es auch zu schweren unerwünschten Wirkungen kommen. In einer der zulassungsrelevanten Studien erlitt ein Proband eine schwere Panikattacke, ein weiterer eine heftige allergische Reaktion mit Angioödem, Atemnot und petechialen Blutungen, und ein Patient starb unter den Umständen eines plötzlichen Herztods. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass das Antidepressivum zu einer tödlichen QT-Zeit-Verlängerung geführt haben könnte.
Kombination mit Nicotinpflastern
Bupropion kann allein oder in Kombination mit Nicotinpflastern eingesetzt werden, wobei in dieser Kombination das Auftreten einer behandlungsbedürftigen Hypertonie zu beachten ist (4 bis 6% der Probanden). Die Dosierung beträgt einmal täglich 150 mg (eine Tablette) in den ersten drei Behandlungstagen, danach zweimal täglich 150 mg für insgesamt 7 bis 12 Wochen, wobei ein Mindestabstand von 8 Stunden zwischen den Einnahmen eingehalten werden soll. Es wird empfohlen, mit der Behandlung zu beginnen, während der Patient noch raucht, und innerhalb der ersten zwei Wochen einen Tag festzulegen, an dem der Patient mit dem Rauchen aufhört ("Rauchverzichtstag"), vorzugsweise in der zweiten Woche. Die Dosierungen von 150 mg pro Einnahme und 300 mg pro Tag sollten nicht überschritten werden.
Bei der Raucherentwöhnung mit Bupropion sollte dieser Tag zwischen dem 8. und dem 10. Tag der Tabletteneinnahme liegen, da dann ein Steady state, ein konstanter Wirkspiegel von Bupropion, erreicht ist, der den Raucher vor Entzugserscheinungen schützt. Die Gesamtbehandlungsdauer mit Bupropion liegt zwischen 7 und 9 Wochen, eine längere Behandlung ist gut möglich.
Die meisten Menschen rauchen, weil es zu unangenehm ist, damit aufzuhören. Und der Rauchstopp hat seine Tücken: Je früher die Raucherkarriere begonnen hat, desto schwerer ist der Entzug. Jetzt kann ein Arzneimittel die Raucherentwöhnung unterstützen: Amfebutamon (syn.: Bupropion, Zyban) wird als Antidepressivum bereits seit 10 Jahren angewendet und soll nun als "Pille gegen das Rauchen" Anfang Juli auch in Deutschland eingeführt werden. Zyban® wurde in den USA im Mai 1997 als erstes nicht nicotinhaltiges Medikament in der Indikation Raucherentwöhnung zugelassen.
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