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DAZ Feuilleton
Ausstellung: Gehirn und Denken – Kosmos im Kopf
Der Künstler Via Lewandowsky hat für jedes inhaltliche Thema einen eigenen Raum gestaltet, der sich jeweils spezifisch auf den Menschen in seinem Alltag, seine täglichen Aufgaben und sein Erleben bezieht. Da jeder Raum eine ganz spezifische Ausstrahlung besitzt und wie eine kleine in sich geschlossene Ausstellung funktioniert, bieten sich dem Besucher im erlebenden Durchgang assoziative Verknüpfungen.
Die Nervenzellen – Bausteine des Gehirns
Im "Sektionssaal", dem ersten Themenraum, wird Licht ins Dunkel des Gehirns gebracht. Aus den Anfängen hirnanatomischer Forschung entwickelten sich zahlreiche Präparations-, Schnitt, Färbe- und Konservierungstechniken, um die einzelnen Strukturen des Gehirns erkennen und in ihrer Funktion deuten zu können.
Insbesondere in den Jahren zwischen 1870 und 1930 kam die Hirnforschung zu bedeutenden Ergebnissen: In unzähligen Hirnsektionen sowie durch hauchdünnes Schneiden und neue Färbemethoden des Hirngewebes beschrieben Neuroanatomen die Nervenzelle mit ihren Fortsätzen und Verzweigungen als Struktur- und Funktionseinheit. Physiologen und Psychologen erforschten experimentell, wie das Nervensystem reagiert. An Ausfallerscheinungen bei Erkrankungen und Verletzungen des Nervensystems erkannten Neurologen, welche Gehirnregion welche Funktion organisiert.
Unter den jüngsten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen imponiert besonders die These, dass die Nervenimpulse nicht linear fließen, sondern in mannigfacher Weise parallel. Somit arbeitet unser Gehirn nicht hierarchisch, sondern modular und vernetzt.
Die alte philosophische Frage, wie denn Vernunft und Geist mit unserem physiologischen Körper zusammenhängen, beantwortet die Hirnforschung mittlerweile erstaunlich einhellig: Bewusste Wahrnehmung, Denken, Aufmerksamkeit, Handlungsplanung, aber auch Gefühle und Willensakte sind untrennbar an physiologische Hirnprozesse gebunden.
Auch das Gefühl sitzt im Gehirn
Seit ihren Anfängen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte die Psychologie, die Gesetzmäßigkeiten des Gefühlslebens zu ergründen. Nach Freuds Erkenntnis, dass wir nicht Herr in unserem eigenen Haus sind, vermutete man den Ort der Gefühle, Emotionen und Affekte in entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnarealen. Es dauerte weitere 50 Jahre, bis Forscher das limbische System als den Ort identifizierten, wo wir Menschen fühlen.
Heute lassen sich selbst panische Angst oder auch Glücksgefühle durch elektrische Reizung bestimmter Areale des limbischen Systems hervorrufen. Auch die Psychopharmaka entfalten genau hier ihre unterstützende Wirkung.
Fragen rund um das Gehirn
Der "Uhrenladen" thematisiert die inneren und äußeren Rhythmen des Menschen, die Synchronisation seiner inneren "Uhr" mit den beruflichen und privaten Pflichten des Alltags.
Weitere Räume beantworten die folgenden Fragen:
- Wie bringt sich das Gehirn zum Ausdruck?
- Wie wächst ein Gehirn?
- Wie viele Gehirne sind ein Gehirn?
- Wie lernt das Gehirn, was es braucht?
- Was alles leistet ein Gehirn?
- Wie orientiert das Gehirn sich im Raum?
- Erlebt das Gehirn meinen Tod?
- In wie vielen Welten lebt das Gehirn?
- Wie arbeitet ein krankes Gehirn?
- Wie erinnert sich das Gehirn?
- Ist das Gehirn die Orgel der Sinne?
- Lässt das Gehirn sich ersetzen?
- Wird das Gehirn sich in Zukunft kennen?
Die Ausstellung liefert, unterstützt durch ein umfangreiches Rahmenprogramm und ein illustriertes Begleitbuch, eine Fülle von Antworten nicht nur auf einzelne Detailfragen, sondern insgesamt auf das, was schon Immanuel Kants Denken inspirierte: Wer bin ich?
Deutsches Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden, Tel. (0351) 4846670, www.dhmd.de Geöffnet: Di, Do, Fr 9.00 bis 17.00 Uhr; Mi 9 bis 20.30 Uhr; Sa, So 10.00 bis 17.00 Uhr. Begleitbuch zur Ausstellung: Kosmos im Kopf – Gehirn und Denken, 225 Seiten, 38,– DM. Hatje Cantz Verlag {au}Dr. Gerd Leidig, Köln
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