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Arzneimittel und Therapie
Dyspeptische Beschwerden: Artischocken – als Gemüse viel zu schade
Bei Patienten, die über Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit und Erbrechen klagen, lassen sich in etwa 45 Prozent der Fälle strukturelle oder biochemische Veränderungen, wie eine Refluxkrankheit, Ulzera oder, äußerst selten, auch ein Malignom diagnostizieren. Bei allen anderen ist das Ergebnis der endoskopischen Untersuchung ohne Befund, eine Erklärung für die Beschwerden lässt sich nicht finden. Sie leiden unter einer "funktionellen Dyspepsie". Noch immer nicht ganz geklärt sind deren Ursachen. Sicher kann die Psyche der Verdauung einen Streich spielen.
Doch sie allein lässt sich kaum für chronische Störungen im oberen Magen-Darm-Trakt verantwortlich machen. Als ein wesentlicher Mechanismus wird eine mangelnde Motilität angesehen. Doch das ist es nicht allein, wie Untersuchungen in den letzten Jahren zeigten. Inzwischen gelten auch Störungen der viszeralen Nozizeption, hervorgerufen beispielsweise durch Viren, als wichtige pathogenetische Faktoren. Sie führen zu einer viszeralen Hyperalgesie und machen den Magen-Darm-Trakt besonders schmerzempfindlich. Der Magenkeim Helicobacter pylori spielt dagegen bei dyspeptischen Beschwerden keine Rolle. Entsprechend fehlgeschlagen sind damit auch Versuche, Oberbauchbeschwerden mit einer Eradikationstherapie zu behandeln.
Fiederspaltige Grundblätter als Wirkstofflieferant
Die Therapieoptionen bei funktioneller Dyspepsie sind zahlreich. Angefangen von Pirenzepin über H2-Antagonisten, Dopaminantagonisten bis hin zu den Peristaltika bieten sich zahlreiche Wirkstoffgruppen an, deren Nebenwirkungen hinlänglich bekannt sind. Als Alternative bietet sich die Artischocke an. Genauer gesagt: Der Extrakt aus den fiederspaltigen Grundblättern von Cynara scolymus L., die die Wirkstoffe, Caffeoylchinasäuren und Flavonglykoside vom Luteolin-Typ, in besonderes großen Mengen enthalten. Sie stammen mittlerweile aus pharmazeutisch ausgerichtetem kontrollierten Anbau.
Speziell für die medizinische Anwendung wurden inzwischen Sorten selektioniert mit langen Rosettenstadien und einem entsprechend hohen Inhaltsstoffgehalt, aus denen sich standardisierte Artischockenextrakte mit hoher Qualität herstellen lassen. Blätter aus abgeernteten Gemüsekulturen besitzen dagegen deutlich weniger wirksame Inhaltsstoffe.
Choleretisch - hepatoprotektiv - lipidsenkend
Anwendungsgebiet des Artischockenextraktes sind laut Positivmonographie der Kommission E dyspeptische Beschwerden. Doch das Gewächs aus dem Mittelmeerraum, das inzwischen auch in unseren Breiten angebaut wird, kann noch mehr: Cynara scolymus wirkt nicht nur choleretisch - und damit verdauungsfördernd -, sondern auch hepatoprotektiv. So zeigte der Extrakt in vitro eine Hemmung der Tetrachlorkohlenstoff-induzierten Schädigung von Rattenhepatozyten.
Die lipidsenkende Wirkung beruht wohl in erster Linie auf einer Hemmung der LDL-Oxidation. Zumindest konnte gezeigt werden, dass sowohl der Extrakt als auch das Hauptflavonglykosid Luteolin die Menge an endogenem Tocopherol bei der Kupfer-induzierten LDL-Oxidation einspart. Für Kenner der Phytotherapie nur logisch: Luteolin allein war weniger gut wirksam als der Gesamtextrakt - ein weiterer Beleg für die additiven und synergistischen Effekte, die in den klassischen Phytopharmaka zusammenwirken.
Sicher in der Langzeittherapie
Doch In-vitro-Untersuchungen allein überzeugen auch in der Phytotherapie längst nicht mehr von der Wirksamkeit. Untersucht wurden daher Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Artischockenextrakts (Hepar-SL forte) in zwei Anwendungsbeobachtungen unter Praxisbedingungen. 553 Patienten mit dyspeptischen Beschwerden, die aus 52 Arztpraxen stammten, erhielten über sechs Wochen täglich 320 mg Trockenextrakt. Innerhalb dieses Zeitraums gingen die typischen Beschwerden - Übelkeit, Erbrechen, Blähungen, Obstipation, Bauchschmerz und Fettunverträglichkeit - gemessen anhand eines Scores, um 70 bis 90 Prozent zurück. Auch über einen längeren Zeitraum lässt sich dieser Effekt aufrecht erhalten, wie eine Langzeitsstudie über sechs Monate zeigte: Über den gesamten Zeitraum blieben die dyspeptischen Beschwerden gleichermaßen gut behandelbar.
Und, möglicherweise der wichtigste Aspekt: Nebenwirkungen traten unter dem Phytopharmakon so gut wie keine auf. Entsprechend positiv das Urteil zur globalen Wirksamkeit: 22,1 Prozent urteilten "ausgezeichnet", 64,7 Prozent "gut". Der Artischockenextrakt kann damit als wirksames, vor allem aber sicheres Phytopharmakon gegen dyspeptische Beschwerden eingestuft werden.
Quelle: Pressekonferenz: "Der Artischockenextrakt Hepar-SL forte bei dyspeptischen Beschwerden: Daten - Fakten - Perspektiven", München, 10. Mai 2000, veranstaltet von Sertürner Arzneimittel GmbH, Berlin.
Dr. Beate Fessler, München
Artischocken schmecken nicht nur lecker als Gemüse – aphrodisierende Wirkung inklusive. Sie wirken auch gegen funktionelle dyspeptische Beschwerden. Wichtig ist, dass der standardisierte Extrakt aus dem "richtigen" Teil der Pflanze gewonnen wird. Denn nur dann enthält er die medizinisch wirksamen Substanzen.
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