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Berichte
Klinische Pharmazie: Krebs bei Kindern
Aufgrund der altersabhängigen Häufigkeitsverteilung bei malignen Erkrankungen hat man im Unterschied zur internistischen Onkologie in der Pädiatrie nur sehr geringe Patientenzahlen. Um dennoch die Therapie systematisch zu optimieren, werden die Patienten in ganz Deutschland nach einheitlichen Studienplänen behandelt und die Ergebnisse für jede Tumorentität in Studienzentren ausgewertet. Dadurch ist es gelungen, die Mortalität insgesamt in den letzten 25 Jahren um mehr als 25% zu senken. Bei der akuten lymphatischen Leukämie (ALL), welche die häufigste maligne Erkrankung bei Kindern darstellt, liegt die Heilungschance heute bei 80%.
Zytostatikatherapie birgt hohe Infektionsgefahr
Je nach Zielsetzung unterscheidet man in der Onkologie zwischen kurativer, prolongativer und palliativer Therapie. Bei der Letzteren ist das Ziel hauptsächlich die Verbesserung der Lebensqualität und nicht mehr die Heilung. Auch bei der prolongativen Therapie wird keine Heilung angestrebt, sondern eine Tumorverkleinerung und vor allem eine Lebensverlängerung, während bei der kurativen Therapie die vollkommene Beseitigung des Tumors angestrebt wird. Zur Beurteilung des Therapieerfolges sind die Begriffe komplette Remission (CR), partielle Remission (PR) und progressive disease (PD), also Fortschreiten des Tumors, üblich. Neben Operation und Bestrahlung ist die Polychemotherapie das wichtigste Therapieelement. Da die Zytostatika auf alle schnell wachsenden Zellen, also nicht nur die Tumorzellen wirken, betreffen die Nebenwirkungen alle Gewebe und Organe mit hohem Zellumsatz, also zuerst das blutbildende System, dann die Haut und Schleimhäute und die Keimdrüsen. Am problematischsten ist dabei die Infektionsgefahr durch reduzierte Bildung immunkompetenter Zellen und die vereinfachte Penetration von Keimen durch die geschädigte Haut. Daher kommt der supportiven Therapie mit Antibiotika, Antimykotika und Virustatika besondere Bedeutung zu, um insbesondere bei der Hochdosis-Therapie die therapiebedingten Komplikationen zu senken.
Wenig Studien zur Pharmakokinetik bei Kindern
Da die verwendeten Zytostatika alle eine sehr geringe therapeutische Breite haben, spielt die Pharmakokinetik der Substanzen eine wichtige Rolle. Die Kenntnisse über die Pharmakokinetik der Zytostatika bei Kindern sind jedoch begrenzt; deshalb sind auch fast alle eingesetzten Substanzen für Kinder nicht zugelassen. Ein ursächliches Problem ist u.a. die Belastung der Patienten durch häufige Entnahmen von größeren Blutvolumina, die normalerweise für pharmakokinetische Studien notwendig sind. Um derartige Studien zu ermöglichen, wird in der Arbeitsgruppe von Professor Boos an analytischen Methoden mit sehr geringem Probenbedarf gearbeitet. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Kapillarelektrophorese, da dieses Verfahren theoretisch nur wenige Nanoliter Probe benötigt. Mit Hilfe dieser Methode ist es gelungen, validierte Verfahren zur Bestimmung der Zytostatika Paclitaxel, Doxorubicin, Daunorubicin, Idarubicin und Methotrexat zu entwickeln, die es ermöglichen, diese Arzneistoffe aus kapillären Blutentnahmen zu bestimmen.
Dosis individuell einstellen
Um die Anzahl der Blutentnahmen pro Patient zu reduzieren, werden bei der Auswertung populationskinetische Verfahren angewendet. Bei dieser Methode werden alle vorhandenen Messwerte aller Patienten zusammen ausgewertet. Dadurch ist es möglich, mit drei bis vier Probenentnahmen pro Patient auszukommen. Des Weiteren kann man mit diesem Verfahren sehr einfach Abschätzungen der inter- und intraindividuellen Variabilität erhalten sowie Kofaktoren wie Alter, Geschlecht oder Gewicht identifizieren, welche die Pharmakokinetik beeinflussen. Sind diese Faktoren identifiziert, kann man damit die Dosis für jeden Patienten entsprechend seiner Charakteristika genauer einstellen und damit eventuell das Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen reduzieren. Als ein Beispiel nannte der Referent die Asparaginase in der Leukämietherapie. Aufgrund von systematischen Untersuchungen zur Pharmakokinetik und -dynamik bei Anwendung verschiedener Präparate konnte eine Halbierung der Dosis mit deutlich weniger Nebenwirkungen bei unverändertem antileukämischem Effekt erreicht werden.
Pharmazeuten und Ärzte sollten zusammenarbeiten
Dr. Hempel berichtete - außer über therapeutisch relevante Aspekte - auch über seine Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Pharmazeuten mit dem medizinischen Personal in der Klinik. Die pädiatrische Onkologie stellt dabei seiner Ansicht nach einen Bereich dar, in den sich der Pharmazeut mit seinen bioanalytischen, pharmakokinetischen und pharmakologischen Kenntnissen extrem gut einbringen kann. Die Kenntnisse ergänzen sich ideal mit denen der Mediziner, die die praktisch-therapeutische Erfahrung und die Kenntnisse aus den theoretisch-medizinischen Fächern haben. Auch die Zusammenarbeit mit klinischen Pharmakologen funktioniert - so Dr. Hempel - in seinem Bereich aufgrund der gemeinsamen wissenschaftlichen Interessen außerordentlich gut. Allerdings ist seitens der Pharmazeuten ein Engagement notwendig, das deutlich über das "Übliche" hinausgeht, denn ein derartiges Engagement wird an einer Universitätsklinik auch bei Ärzten als selbstverständlich vorausgesetzt. Dr. Hempel konnte überzeugend die praktische Relevanz von Bioanalytik und klinischer Pharmakokinetik für die Therapieoptimierung aufzeigen. Er leistete somit einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Lehrveranstaltung, und wir hoffen auch für die Zukunft auf seine Mitarbeit.
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