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Arzneimittel und Therapie
Demenz: Mit Ginkgo gegen das Vergessen
Kognitive Störungen bei alten Menschen zeigen fließende Übergänge von altersbedingtem Leistungsabfall (altersnormal) über leichte kognitive Beeinträchtigungen bis hin zu schwerster Demenz. Dem Übergangsbereich "leichte kognitive Beeinträchtigung" wird immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet, weil er Hochrisikogruppen früh erkennen lässt und damit eine frühzeitige Intervention und Prävention ermöglicht. Die Schwierigkeit dabei ist, dass dieser Leistungsbereich noch nicht durch klinische Symptome gekennzeichnet ist und sich somit nicht klar von den altersnormalen Beeinträchtigungen abgrenzen lässt. Eine einheitliche Definition hat sich deshalb bislang noch nicht gefunden. Auch existieren unterschiedliche diagnostische Kriterien, die sich im Wesentlichen auf die verringerte Leistung in Gedächtnistests - bei erhaltener Fähigkeit der Alltagsbewältigung - beziehen. Die Prävalenz für leichte kognitive Beeinträchtigungen liegt bei 16 bis 20 Prozent bei den über 65-Jährigen. Innerhalb von drei Jahren manifestiert sich bei etwa 40 Prozent dieser Gruppe eine klinische Demenz. Eine neue Studie zeigt, dass das relative Risiko für eine Demenz bei den Personen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen um das 30fache erhöht ist im Vergleich zu Unbeeinträchtigen. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache der Altersdemenz. In den letzten Jahren konnten umfangreiche Kenntnisse zur Pathophysiologie gewonnen werden, wenn auch die zugrunde liegenden pathogenetischen Vorgänge noch nicht in allen Einzelheiten geklärt sind. Etwa fünf Prozent der Alzheimerfälle werden durch Mutationen verursacht, 95 Prozent gehen mit Umweltfaktoren (z.B. Alter) und genetischen Veränderungen einher, die nicht mit Mutationen gleichzusetzen sind, sondern schon in der Fetalphase ausgebildet werden. Letztere wird als sporadische Alzheimer-Krankheit bezeichnet.
Alzheimer: Diabetes Typ 2 des Gehirns?
Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass es sich bei der sporadischen Alzheimer-Krankheit um den Diabetes mellitus Typ 2 des Gehirns handelt. Der experimentelle Beweis hierfür wurde am Tiermodell erbracht. Mäusen mit guter Lernfunktion wurde mit Hilfe von Streptozotocin der neuronale Insulinrezeptor funktionell geschädigt. Im Gehirn wurde dadurch ein Zustand erzeugt, der dem Diabetes Typ 2 im Körper entspricht. Die hervorgerufenen neuronalen Stoffwechselveränderungen ähnelten stark denen, die auch bei der sporadischen Alzheimer-Krankheit auftreten: Mehr Insulinrezeptoren wurden gebildet und die Konzentration an Insulin und auch an energiereichen Phosphaten sank ab. Auf molekularer Ebene nahm die Messenger-RNA (mRNA) des Glucosetransportproteins in unterschiedlichen Hirnarealen ab. Diese Störungen im neuronalen Glucosestoffwechsel führten zu einem permanenten Energiedefizit. Die Folge war ein Nachlassen der Gehirnleistungen Lernen, Gedächtnis und Kognition. Ein Spezialextrakt von Ginkgo biloba (EGb 761, Tebonin) konnte in diesem Tierexperiment den Energiestatus im Gehirn erhöhen. Die durch Streptozotocin induzierten Veränderungen der neuronalen Insulinrezeptoren wurden auf fast normalen Zustand zurückgeführt. Auch die mRNA des Glucosetransportproteins konnte mit EGb 761 aktiviert werden. Parallel dazu verbesserten sich die experimentell ausgelösten Störungen der Leistungen Lernen, Gedächtnis und Kognition.
Demenz geht mit dem Abbau von Zellmembranen einher
Neurodegenerative Erkrankungen gehen mit einem Abbau zellulärer Membranen einher. Eingeleitet wird diese Zellschädigung durch die Hydrolyse von membranständigen Phopholipiden, vor allem Phosphatidylcholin, zu Cholin. Aufgrund der Hypoxie bzw. Ischämie bei neurodegenerativen Erkrankungen wird der Neurotransmitter Glutamat vermehrt freigesetzt. Dieser stimuliert glutamaterge N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren. Die Folge dieser Übererregung der NMDA-Rezeptoren ist ein unphysiologisch starker Einstrom von Calciumionen in die Nervenzelle. Dadurch werden in der Zelle membranabbauende Enzyme wie die Phospholipase A2 aktiviert, die Phosphatidylcholin zu Cholin abbaut, das dann freigesetzt wird. Cholin ist somit ein empfindlicher Indikator für den Membranabbau unter pathophysiologischen Bedingungen.
Bilobalid hemmt den Membranabbau
Bilobalid ist ein Wirkstoff aus Ginkgoblättern. Es ist ein Terpenlacton, das im Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 mit einem Anteil von etwa drei Prozent enthalten ist. Bilobalid vermag die Cholinfreisetzung und die NMDA-bedingte Aktivierung der Phospholipase A2 zu hemmen.
Der NMDA-Rezeptor kann nur geöffnet werden, wenn neben Glutamat auch der Kotransmitter Glycin vorhanden ist und den Glycin(B)-Rezeptor stimuliert. Da die blockierende Wirkung von Bilobalid auf den NMDA-Rezeptor in Anwesenheit hoher Glycinkonzentrationen aufgehoben wird, wurde angenommen, dass Bilobalid ein Antagonist am Glycin(B)-Rezeptor sein könnte. Neue Untersuchungen ließen jedoch auf einen anderen Wirkmechanismus von Bilobalid schließen. So wurde beobachtet, dass Cholin nur in Anwesenheit von Chloridionen freigesetzt wird. Wird Chlorid z.B. durch Sulfat oder Nitrat ersetzt, findet kein Membranabbau statt. Dieser notwendige Einstrom von Chlorid kann sowohl über ligandengesteuerte Chloridkanäle als auch über Chloridtransporter erfolgen. Der Einsatz verschiedener Hemmstoffe der Chloridkanäle und -transporter lässt vermuten, dass Bilobalid an den Glycin- und GABA-gekoppelten Chloridkanälen angreift.
Leistungsfähigkeit und Befinden
In einer neuen randomisierten, plazebokontrollierten, doppelblinden Studie wurde die kurzfristige Wirkung von Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 auf die mentalen Funktionen gesunder Probanden untersucht. Die beteiligten Frauen und Männer waren zwischen 50 und 60 Jahre alt und hatten keine altersbedingten kognitiven Beeinträchtigungen. Über einen Zeitraum von vier Wochen erhielten 34 Probanden den Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 in einer Tagesdosis von 240 mg, 32 Probanden ein Plazebopräparat.
Als primäre Zielvariablen der Studie wurden sechs unterschiedliche mentale Funktionen gewählt, die anhand von 15 verschiedenen neuropsychologischen Messverfahren und etablierten Fragebögen zur Befindlichkeit erfasst wurden. Außerdem wurde die Lebensqualität der Probanden - bezogen auf die körperliche und mentale Gesundheit - bewertet.
Das Ergebnis: Die Stimmung der mit Ginkgo behandelten Patienten verbesserte sich signifikant. Auch konnten Bewegungsabläufe besser koordiniert werden, wie sie z.B. für das Bedienen von Maschinen notwendig sind. Die Genauigkeit des Bewegungsablaufes und die Geschwindigkeit der motorischen Bewegungen wurde erhöht. Außerdem konnte EGb 761 das subjektiv wahrgenommene Gesundheitsempfinden und die Konzentrationsfähigkeit steigern.
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