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Pharmakoepidemiologie
A. VogelreuterSekundäranalyse von Krankenkassendate
Hypertoniebehandlung im Alter
Ein überproportionaler Arzneimittelkonsum alter Menschen, gemessen an den Ausgaben in Relation zum Bevölkerungsanteil, ist in verschiedenen Studien belegt [1 - 4]. Als Ursache für diese relativ überhöhten Arzneimittelausgaben älterer Patienten wird oftmals die im Alter häufig anzutreffende Multimedikation, welche durch Multimorbidität bedingt ist, genannt. Da ein solches multimedikamentöses Therapiekonzept vermehrt zu arzneimittelbezogenen Problemen führen kann, stellen Patienten höheren Lebensalters eine klassische Zielgruppe für die Pharmazeutische Betreuung dar.
Ziel der vorliegenden Studie war es, am Beispiel der Hypertoniebehandlung im Alter darzustellen, wie auf der Basis sekundärer Analyse von GKV-Daten, die Verordnungsrealität hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit Therapieempfehlungen untersucht werden kann. Das Patientenkollektiv der über 60-jährigen Hypertoniker wurde als Grundgesamtheit gewählt, da der Bluthochdruck eine der prominenten Alterserkrankungen ist [5, 6, 7]. Für die medikamentöse Therapie dieser Erkrankung existieren mit dem Stufenplan der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks allgemein anerkannte Vorgaben, die in der vorliegenden Untersuchung für einen Vergleich mit einer anhand von Rezeptdaten analysierten Therapie herangezogen wurden.
Darüber hinaus wird für die Problematik der Multimedikation, ebenfalls am Beispiel der medikamentösen Therapie älterer Hypertoniker, eine methodische Vorgehensweise aufgezeigt, mit deren Hilfe das Ausmaß und die Schwere potenzieller Arzneimittelinteraktionen auf der Grundlage von Medikamentenverordnungen abgeschätzt werden können. Der Anteil älterer antihypertensiv medikamentös behandelter Patienten beträgt annähernd 90% [5].
Vergleicht man die Anzahl unterschiedlicher Wirkstoffe, die Hypertoniker im Vergleich zu Nichthypertonikern im Laufe eine Jahres zusätzlich zu ihrer antihypertensiven Therapie erhalten, so zeigt sich, dass Hypertoniepatienten, z. T. als Folge ihrer Erkrankung, signifikant mehr Arzneimittel verordnet wurden [5].
Die Daten und ihre Auswertung
Die Untersuchung beruht methodisch auf der so genannten Sekundärdatenanalyse. Ausgewertet wurden dazu Daten der gesetzlichen Krankenversicherung, die für geriatrische Hypertoniker im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen dokumentiert wurden (zur Methode vgl. [8, 9]). Hierbei handelt es sich im einzelnen um Verordnungsblätter sowie Krankenscheine. Diese Dokumente enthalten neben der Krankenversichertennummer (anonymisiert), dem Geburtsjahr und Geschlecht des Patienten Angaben zur Medikation (Fertigarzneimittel, Wirkstoff, Packungsgröße, Darreichungsform) und zu den Diagnosen (Klartextdiagnosen oder ICD; vgl. [10]).
Bezugspopulation für die vorliegende Untersuchung waren 658 über 60-jährige Hypertoniker. Diese sind Teil eines Kollektivs von 1598 Versicherten über 60 Jahre, die im Jahr 1989 durchgängig bei der AOK Dortmund versichert waren und im Rahmen einer (für die AOK Dortmund) repräsentativen Stichprobenziehung ermittelt wurden [8]. Die Bildung der Untersuchungspopulation erfolgte über das Verfahren der internen Diagnosevalidierung, d. h., entsprechende Krankenscheindiagnosen mussten, da sich die Validität einer Diagnose nicht automatisch aus deren Nennung ergibt, durch Kontextinformationen (z. B. Wiederholung der Diagnose im weiteren Therapieverlauf, Verordnung von Antihypertensiva) erhärtet werden [11].
Über die Angabe von Schweregraden der Hypertonie in Klartextdiagnosen, die Dauer der Diagnosenennung sowie die medikamentöse antihypertensive Therapie wurden Patienten als sicher erkrankte Hypertoniker definiert [6]. Die qualitative und quantitative Erfassung der verordneten Arzneimittel erfolgte mit Hilfe der anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikation (ATC) und der jeweils festgelegten Tagesdosis (DDD) (vgl. [12, 13]).
Zur Untersuchung der Konformität antihypertensiver Arzneimittelverordnungen mit den Therapievorgaben wurde der seinerzeit aktuelle Stufenplan von 1988 zugrunde gelegt (s. Abb. 1). Für die Datenauswertung muss eine gewisse Kontinuität im Verordnungsverhalten des Arztes gewährleistet sein, denn nur unter dieser Bedingung kann von einer rationalen, zielorientierten Behandlung der Erkrankung ausgegangen werden. Berücksichtigt wurden in der Untersuchung somit diejenigen Hypertoniepatienten, denen antihypertensive Arzneimittel im Rahmen einer Dauermedikation verordnet wurden. Empfänger blutdrucksenkender Dauerverordnungen bilden auch die Bezugspopulation für die Untersuchung von Ausmaß und Schwere potenzieller Arzneimittelwechselwirkungen.
Die Beantwortung entsprechender Fragestellungen in diesem Zusammenhang kann nur gelingen, wenn sichergestellt ist, dass mindestens zwei Arzneimittel zeitgleich eingenommen wurden. Ist eines als Dauermedikation verordnet worden, so kann von einer kontinuierlichen Applikation ausgegangen werden, sodass jeder zusätzlich eingenommene Wirkstoff einen potenziellen Interaktionspartner darstellt.
Antihypertensive Dauerverordnung
Aus den genannten Gründen ist es für die durchzuführenden Untersuchungen grundlegend, zunächst den Begriff der antihypertensiven Dauerverordnung unter Berücksichtigung des verfügbaren Datenbestandes zu definieren. Als Basis für die Erarbeitung dieser Definition gilt zum einen die Überlegung, dass die Patientengruppe der Bluthochdruckpatienten bereits krankheitsbezogen definiert ist, sodass die Wahrscheinlichkeit einer antihypertensiven Dauermedikation unter diesen Patienten erhöht ist und auch bei einer geringeren Gesamtverordnungsmenge als 270 DDD (entspricht einem Verordnungszeitraum von ca. 9 Monaten) von einer Langzeittherapie ausgegangen werden kann. Da empfohlen wird, die medikamentöse Behandlung des Bluthochdrucks einem Stufenplan folgend durchzuführen, hat dies zur Folge, dass Patienten teilweise mit mehreren antihypertensiven Substanzen gleichzeitig behandelt werden. Da für die Arzneimitteltherapie des Hypertonus in der Geriatrie eine zurückhaltende Dosierung empfohlen wird und bereits vor Erreichen der Maximaldosis auf eine Kombinationsbehandlung umgestellt werden sollte, wird eine Reduzierung der Dosierung der Einzelsubstanzen bei zunehmender Anzahl antihypertensiver Arzneimittel angenommen.
Diese Überlegungen und allgemeine Empfehlungen, die aufgrund individueller Unterschiede hinsichtlich der Dosis nicht konkretisiert werden können, bildeten die Grundlage für die Erstellung einer Definition der Dauerverordnung antihypertensiver Substanzen. Demzufolge wurde ein Patient als Empfänger von Dauerverschreibungen blutdrucksenkender Pharmaka definiert, wenn er im Laufe des Beobachtungsjahres 1989 eine der in Tabelle 1 definierten Verordnungsmengen erhalten hatte.
Die Definition orientiert sich bewusst nicht an einzelnen Wirkstoffen, sondern an Arzneimittelgruppen, da somit vermieden wird, dass Patienten, die eine Therapieumstellung innerhalb einer Wirkstoffgruppe erfahren hatten (z. B. von dem β-Blocker Propranolol auf den β-Blocker Metoprolol), nicht als Empfänger von Dauerverordnungen erfasst wurden, obwohl sie de facto als solche einzuordnen waren.
Vergleich mit den Empfehlungen der Bluthochdruck-Liga
Da die Pharmakotherapie des Bluthochdrucks nicht in jedem Falle mit einem einzelnen Wirkstoff durchgeführt wird, sondern einem Stufenplanschema folgt (Abb. 1) [14], lässt sich auch die Verordnungsprävalenz einzelner Arzneimittelgruppen im Rahmen einer Dauertherapie entsprechend differenziert betrachten. Es zeigt sich, dass die Häufigkeit der Dauerverordnungen der einzelnen Wirkstoffgruppen in Abhängigkeit von der Therapieform (Monotherapie oder Kombinationstherapie mit zwei oder drei antihypertensiven Substanzen) differiert (Abb. 2).
Monotherapie Die am häufigsten in einer antihypertensiven Langzeit-Monotherapie eingesetzten Arzneimittel stammten aus den Gruppen Diuretika (26,0%), Reserpinpräparate (23,6%) und Calcium-Antagonisten (22,7%). Während Betablocker (16,5%) noch annähernd jedem sechsten Empfänger einer blutdrucksenkenden Einfachbehandlung verordnet wurden, waren die übrigen Arzneimittelgruppen für die Monotherapie von untergeordneter Bedeutung.
Die im Rahmen einer Kombinationstherapie am häufigsten verordneten Antihypertensiva entstammten den Arzneimittelgruppen der Calcium-Antagonisten und Diuretika. Während Diuretika die am häufigsten verschriebenen Medikamente in Kombination mit zwei weiteren Antihypertensiva darstellten, wurden Calcium-Antagonisten bevorzugt zur Kombinationstherapie mit nur einem zusätzlichen Präparat rezeptiert.
Reserpinpräparate waren, gemessen an der Verordnungsprävalenz, in der Einfachbehandlung neben Diuretika und Calcium-Antagonisten die bedeutsamsten Medikamente. In Kombinationstherapien lag die Verordnungsprävalenz von Reserpinpräparaten deutlich niedriger. Auch für die Arzneimittelgruppe der β-Blocker wird deutlich, dass ihr überwiegender Einsatz in der Monotherapie lag (Einsatz bei 16,5 % der Monotherapien), während die Häufigkeit ihrer Anwendung mit zunehmender Anzahl der Kombinationspartner abnimmt (Zweier-Kombinationen 13,4%; Dreier-Kombinationen 6,7%).
Insgesamt wurden knapp 68% der monotherapeutisch behandelten Hypertoniker mit Calcium-Antagonisten, Diuretika, β-Blockern oder ACE-Hemmern therapiert. Diese Wirkstoffgruppen wurden in den seinerzeit geltenden Therapieempfehlungen gemäß Stufenplan für eine Monotherapie empfohlen (Abb. 1) [14]; d. h. 68% der monotherapierten Hypertoniker erhielten 1989 eine den Empfehlungen der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks konforme Dauerbehandlung (Abb. 3).
Kombinationstherapie Typische Arzneimittel für die Anwendung in der medikamentösen Kombinationstherapie waren ACE-Hemmer, Dihydroergotoxin und Vasodilatatoren. Am deutlichsten wird dies bei den ACE-Hemmern, deren Verordnungsprävalenz in der Monotherapie deutlich unterhalb der Verordnungsprävalenz in der Kombination mit zwei weiteren Komponenten lag. Wurden ACE-Hemmer nur bei 2,5% der Monotherapien verordnet, kamen sie bei 6,7% der Zweier-Kombinationen und 11,5% der Dreier-Kombinationsbehandlungen zum Einsatz (Abb. 2). Sie wurden somit in der Kombination mit zwei weiteren antihypertensiven Substanzen am dritthäufigsten verordnet, während sie als blutdrucksenkendes Monotherapeutikum am seltensten aller Arzneimittelgruppen zum Einsatz kamen.
Potenzielle Interaktionen bei der antihypertensiven Medikation
Wie an anderer Stelle gezeigt werden konnte, erhalten insbesondere ältere Hypertoniepatienten zusätzlich zu ihrer antihypertensiven Therapie durchschnittlich mehr Arzneimittel im Vergleich zu einer alters- und geschlechtsgleichen Gruppe von Nichthypertonikern [5]. Deshalb untersuchten wir die Fragen, mit welchen potenziellen Interaktionen bei vorhandenen Dauertherapien zu rechnen ist und ob diese in der Gruppe der Hypertoniepatienten im Vergleich zu den Nichthypertonikern häufiger auftreten.
Aus Gründen der programminternen Abfragetechnik erfolgen die Untersuchungen jeweils paarig mit zwei potenziellen Interaktionspartnern. Bei simultaner Verordnung von mehr als zwei Dauermedikationen wird auf mögliche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Partnern untereinander geprüft. Als Grundlage für diese Untersuchungen dient die ABDA-Datenbank [15], in der solche Interaktionen Berücksichtigung finden, die
- durch mehrere ausführliche klinische Studien beschrieben sind (nicht nur Tierversuche oder Einzelfallberichte),
- den Therapieerfolg in Frage stellen können,
- lebensbedrohlich sein können.
Das Hauptkriterium zur Unterscheidung der Wechselwirkungen orientiert sich an der Schwere des Effektes. Im Einzelnen werden fünf Wertungsstufen unterschieden: 1 - schwerwiegend. Arzneimittelkombinationen, denen diese Wertung zukommt, können lebensbedrohend sein oder Intoxikationen oder bleibende Schädigungen beim Patienten verursachen. Die gleichzeitige Einnahme derartiger Kombinationen ist kontraindiziert. 2 - mittelschwer. Die Einnahme derart eingestufter Arzneimittelkombinationen führt häufig zu therapeutischen Schwierigkeiten. Bei einer sorgfältigen Überwachung (z. B. Laborwerte, klinische Symptome) kann die Kombination jedoch verabreicht werden. 3 - geringfügig. Bei geringfügigen Interaktionen können etwas verminderte oder verstärkte Wirkungen auftreten oder sie betreffen nur einen bestimmten Personenkreis (z. B. Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz). 4 - unbedeutend. Derartige Wechselwirkungen haben meist nur geringfügige Auswirkungen und erfordern keine besonderen Maßnahmen. 5 - Fremdangaben. Interaktionen, die nur in Einzelfällen beschrieben sind oder vermutet werden. Ihre klinische Relevanz ist nicht geklärt.
Insgesamt wurden 320 Arzneimittelkombinationen, die der Untersuchungspopulation der Hypertoniker häufig verordnet wurden, auf potenzielle Wechselwirkungen untersucht. In der Gruppe der Nicht-Hypertoniker betrug die Anzahl der hinsichtlich potenzieller Wechselwirkungen untersuchten dauerverordneten Arzneimittelkombinationen 187 (Abb. 4).
Die Überprüfung auf mögliche Wechselwirkungen zwischen den Dauerverordnungen unter Hypertonikern ergab, dass 62 der 320 Kombinationen, entsprechend 19,4%, potenziell interagierende Kombinationen (Summe aller Wertungsstufen) darstellen. Der entsprechende Gesamtanteil potenziell wechselwirkender Dauermedikationen unter den Normotonikern betrug 9,1% und liegt damit bei weniger als der Hälfte und signifikant unterhalb des vergleichbaren Anteils unter Bluthochdruckpatienten (Vierfeldertest, p < 0,01; χ² = 9,51).
Eine Betrachtung des Schweregrades der möglichen Wechselwirkungen zeigt, dass auch hinsichtlich der potenziellen Interaktionen zwischen Hypertonikern, die mit antihypertensiven Pharmaka behandelt wurden, und Normotonikern deutliche Unterschiede bestehen (Tab. 2). Liegt unter Hochdruckpatienten der Anteil potenzieller schwerer Interaktionen an der Gesamtzahl festgestellter möglicher Wechselwirkungen bei 1,6% und der Anteil potenziell mittelschwerer Wechselwirkungen bei 53%, so sind unter Nicht-Hypertonikern eventuelle schwere Wechselwirkungen nicht festzustellen, denn der Anteil möglicher mittelschwerer Interaktionen liegt mit 29% signifikant niedriger als der entsprechende Anteil unter den Bluthochdruckpatienten (Vierfeldertest, p < 0,001; χ² = 27,57). In der Folge zeigen die Ergebnisse aus den Interaktionsuntersuchungen, dass eventuelle Wechselwirkungen der Wertungsstufen drei, vier und fünf ("geringfügig", "unbedeutend", "Fremdangaben") unter den Normotonikern mit 71%, gemessen an der Gesamtzahl potenzieller Interaktionen, signifikant höher liegen als unter den Empfängern antihypertensiver Dauermedikationen.
Lediglich eine von allen untersuchten Arzneimittelkombinationen wurde als schwerwiegend klassifiziert. In diesem Fall handelt es sich um die Verordnung einer Kaliumcitrat-Kombination gemeinsam mit dem kaliumsparenden Diuretikum Triamteren, die eine schwere, lebensbedrohliche Hyperkaliämie zur Folge haben kann.
Als "interaktionsträchtigster" Verordnungspartner zeigte sich in der Gruppe der Hypertoniker die Arzneimittelkombination Hydrochlorothiazid plus Triamteren. Bei 43,5% aller dauerverordneten Arzneimittelkombinationen, bei denen eine derartige antihypertensive Kombinationstherapie erfolgte, können Wechselwirkungen unterschiedlicher Schweregrade auftreten. So kann z. B. bei gleichzeitiger Gabe dieser Arzneistoffkombination mit Digitalisglykosiden deren Wirkung durch Triamteren verstärkt werden oder bei simultaner Applikation von Antidiabetika eine Wirkungsverminderung dieser Arzneimittel durch das Thiaziddiuretikum hervorgerufen werden.
Für den Calcium-Antagonisten Nifedipin wurde unter den Bluthochdruckpatienten eine Häufigkeit potenzieller Interaktionen von 12,5% ermittelt. 88% dieser potenziellen Interaktionen waren der Wertungsstufe 2 ("mittelschwer") zuzuordnen. In den meisten Fällen handelte es sich hierbei um eine mögliche Wirkungsverstärkung von Herzglykosiden oder Theophyllin bei Gabe des entsprechenden Arzneimittels gemeinsam mit Nifedipin.
Die Interaktionsuntersuchungen haben somit verdeutlicht, dass Patienten, die dauerhaft mit antihypertensiv wirksamen Medikamenten behandelt wurden, in einem deutlich höheren Maße der Gefahr ausgesetzt waren, Arzneimittelwechselwirkungen zu erfahren. Es ist festzustellen, dass unter einer Dauermedikation mit einem blutdrucksenkenden Medikament signifikant mehr Arzneimittelwechselwirkungen eines höheren Schweregrades zu finden waren als bei der Medikation mit einem Arzneimittel, welches nicht dieser Indikationsgruppe zuzurechnen ist.
Abweichung von Ideal und Realität der Therapie
Ein Vergleich der Therapieempfehlungen der Deutschen Hochdruckliga aus dem Jahr 1988 mit der Verordnungsrealität zeigt, dass im Rahmen einer Langzeit-Monotherapie überwiegend die empfohlenen Arzneimittel verordnet wurden. Über zwei Drittel der mit einem antihypertensiven Pharmakon behandelten Hypertoniker erhielten Substanzen aus den Gruppen Diuretika, Calcium-Antagonisten, β-Blocker und ACE-Hemmer.
Reserpin ist aufgrund der zentralnervösen Wirkung - unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind Benommenheit, Schwindel, psychische Veränderungen und extrapyramidal-motorische Störungen [16] - in der Altersheilkunde als obsolet anzusehen; dennoch wurde es im Rahmen jeder vierten Monotherapie verordnet. Auch als Kombinationsarzneimittel in Verbindung mit Diuretika oder Calcium-Antagonisten waren Reserpinpräparate von Bedeutung.
Eine Gegenüberstellung der Empfehlungen zur Verordnung antihypertensiver Substanzen auf den einzelnen Stufen des Therapieschemas mit der Verordnungsrealität belegt einen zunehmenden Grad der Abweichung von der Therapieempfehlung mit steigender Anzahl kombinierter antihypertensiv wirksamer Substanzen (Abb. 3). Als möglicher Grund für diese Feststellung kann eine Individualisierung der blutdrucksenkenden Pharmakotherapie angenommen werden. Da die medikamentöse Behandlung den individuellen Umständen des Patienten, der Wirkung sowie der Verträglichkeit anzupassen ist, gibt es keine ideale antihypertensive Therapie, die alle Voraussetzungen einer Medikation für den alten Menschen erfüllt [17].
Eine Analyse von Verordnungsdaten, wie sie in der vorliegenden Untersuchung modellhaft dargestellt wurde, könnte bei einer kontinuierlichen Durchführung zu einem effektiven Monitoring-Instrument entwickelt werden, das z. B. zur Überprüfung der Durchsetzung bestimmter therapeutischer Strategien im zeitlichen Vergleich dienen kann, insbesondere dann, wenn sie mit aktuellen Daten aus dem pharmazeutischen Betreuungsprozess verglichen werden. Damit wäre eine weitere Grundlage für eine fachliche Diskussion im Rahmen von Qualitätszirkeln gegeben, die die vordergründige Kostendiskussion sinnvoll ergänzen könnte.
Pharmazeutische Betreuung mit Medikationsdatei
Der Schwerpunkt der Pharmazeutischen Betreuung aus Apothekersicht liegt im Erkennen und Lösen arzneimittelbezogener Probleme, wie sie hier dargestellt wurden (z. B. Auswahl der Medikation, Dosierung, Interaktionen) [19, 20]. Derartige Probleme können in der Apotheke jedoch erst zusammenhängend erkannt werden, wenn die Verordnungsdaten des Patienten dokumentiert werden (z. B. auf dem Chip einer Patientenkarte ("A-Card") oder durch die Apotheken-Software) und durch den Apotheker bei jeder neuen Verordnung oder Selbstmedikation abrufbar und einsehbar sind.
Auf diese Art ist es möglich, in der Apotheke eine Medikationsdatei der Patienten anzulegen, die fortlaufend, auch mit Arzneimitteln aus der Selbstmedikation, ergänzt wird. Mit Hilfe dieser Medikationsdatei kann, nach Ableitung eines patientenspezifischen Medikationsprofils, der Apotheker arzneimittelbezogene Probleme identifizieren und ggf. lösen [21].
Handelt es sich um Probleme, die im Zusammenhang mit verordneten Arzneimitteln stehen, so wird der Apotheker versuchen, diese in Zusammenarbeit mit dem Arzt zu lösen. Er greift dabei mit seiner Tätigkeit im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung nicht in die Therapiehoheit des Arztes ein, sondern leistet als kompetenter Partner des Arztes durch den Dialog mit dem Patienten einen wichtigen Beitrag zur Optimierung der Pharmakotherapie [22].
Zusammenfassung
- Die Untersuchungen haben verdeutlicht, dass es mit Hilfe von Sekundärdaten möglich ist, die Verordnungsrealität im Vergleich zu entsprechenden Therapievorgaben abzubilden und kritisch zu beurteilen.
- Die vorgestellte Methode erlaubt es, Aussagen bzgl. des Ausmaßes sowie der Schwere potenzieller Arzneimittelinteraktionen von Verordnungen einer Patientengruppe zu treffen und diese vergleichend mit denen von Kontrollgruppen zu beurteilen.
- Die retrospektive Abbildung des Verordnungsverhaltens von Ärzten kann zur Kontrolle und Optimierung der Pharmakotherapie auch im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung als Informationsquelle herangezogen werden, um Betreuungsschwerpunkte einzugrenzen und therapeutische Fortschritte zu beurteilen.
- Die Pilotstudie zur Umsetzung von Pharmaceutical Care bei 110 alten, multimorbiden Patienten hat nicht nur Erfolge für die betreuten Patienten gezeigt, sondern hat auch die teilnehmenden Apotheker von der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieses Konzeptes überzeugt [18].
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