Pharmakologie

R. Kaul:Johanniskraut – Mechanismen der antide

Während die Wirksamkeit von Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen weitgehend anerkannt ist, gehen die Meinungen über die entscheidenden Wirkstoffe in der Droge bzw. im Extrakt auseinander. Einige Wissenschaftler identifizieren ihn mit Hypericin, andere mit Hyperforin, und noch recht neu ist die These, dass auch das Biflavonoid Amentoflavon an der antidepressiven Wirkung beteiligt ist. Dieser Beitrag befasst sich mit den pharmakologischen Effekten von Hypericum-Extrakt bzw. dessen Inhaltsstoffen in verschiedenen In-vitro- und In-vivo-Modellen. Er zeigt auf der Grundlage der jetzigen Kenntnisse, welche Inhaltsstoffe für die antidepressive Wirkung verantwortlich sind und wie diese Wirkung zustande kommt.

Rückblick und Problemstellung

Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) wurde bereits in der Antike von Dioskurides beschrieben (77 n. Chr.) und galt als fiebersenkende, wundheilungs- und diuresefördernde Pflanze. Im Mittelalter kamen zahlreiche Indikationen hinzu, doch diese waren eher durch den Aberglauben geprägt. Die Griechen hängten eine oder mehrere Pflanzen über ihre Götterfiguren, um die bösen Geister abzuwehren, von denen nach der damaligen Vorstellung psychisch kranke Menschen besessen waren. Die psychotrope Wirkung Die psychotrope Wirkung dieser vielseitigen Pflanze wurde erstmals im frühen 19. Jh. dokumentiert.

Wissenschaftlich ist die Wirksamkeit gegen Depressionen erst vor einigen Jahren zweifelsfrei belegt worden. Von der Aufbereitungskommission E wurde Johanniskraut positiv bewertet und in der Monographie "Hyperici herba" beschrieben, wobei als Anwendungsgebiete der innerliche Einsatz bei psychovegetativen Störungen, depressiven Verstimmungszuständen, Angst und/oder nervöse Unruhe genannt wird [1]. Zu diesem Indikationsgebiet gibt es auf dem Arzneimittelmarkt eine Vielzahl von alten und neuen¹ Hypericum-Präparaten.

Das Johanniskraut besitzt mehrere Gruppen pharmakologisch interessanter Inhaltsstoffe bzw. Wirkstoffe, z. B. Hypericine (Hypericin, Pseudohypericin), Flavonoide (Quercetin, Quercitrin, Hyperosid, Rutosid, Kämpferol), Biflavonoide (Biapigenin, Amentoflavon), Phloroglucinderivate (Hyperforin, Adhyperforin), Xanthone (1,3,6,7-Tetrahydroxyxanthon), Gerbstoffe (Catechin, Procyanidine) und ätherisches Öl (2-Methyl-3-buten-2-ol) (Strukturformeln siehe Abb. 1).

Während die Wirksamkeit von Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen weitgehend anerkannt ist, gehen die Meinungen über die entscheidenden Wirkstoffe in der Droge bzw. im Extrakt auseinander. In den Fertigpräparaten, die größtenteils ethanolische oder methanolische Trockenextrakte als Wirkstoff enthalten und deren antidepressive Wirksamkeit in mehreren klinischen Studien nachgewiesen wurde [2 – 7], sind die Inhaltsstoffe bzw. Wirkstoffe im unterschiedlichen Maße enthalten. In der Deklaration der Zusammensetzung ist meistens der Gehalt an Gesamthypericin angegeben, und im Vordergrund der Suche nach dem Prinzip der antidepressiven Aktivität stand meist das Hypericin.

Der physiologische Effekt von Johanniskraut, der bislang die meiste Beachtung fand, nämlich die Hemmung der Monoaminoxidase A (MAO-A), konnte allerdings mit der Reinsubstanz Hypericin nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Dies hatte zur Folge, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im September 1995 mit dem – inzwischen teilweise widerrufenen – so genannten Bühler-Papier für die (Nach-)Zulassung von Hypericum- Präparaten verlangte, dass bei der Standardisierung des Extraktes dessen zusätzliche Normierung auf einen Inhaltsstoff zu unterlassen sei.

Inzwischen ging die Suche nach den Wirkstoffen im Johanniskraut weiter. Aktuell werden vor allem mehrere Hypothesen diskutiert:

  • Hypericin entfaltet seine Wirksamkeit nur im Beisein der Procyanidine, da diese dessen Wasserlöslichkeit und Bioverfügbarkeit verbessern; daher sei der gesamte Johanniskrautextrakt, und nicht die Reinsubstanz Hypericin, als Wirkstoff anzusehen.
  • Die hauptsächliche Wirksubstanz sei nicht das Hypericin, sondern Hyperforin.
  • Flavonoide, insbesondere das Biflavonoid Amentoflavon, sind auch an der antidepressiven Wirkung beteiligt.

    Im übrigen ist der Mechanismus der antidepressiven Wirksamkeit so komplex, dass noch weitere Inhaltsstoffe zum Wirkspektrum beitragen dürften.

    Wirkungsmechanismus

    Die Wirkung von klassischen Antidepressiva, wie den trizyklischen Substanzen, werden auf einen Angriff dieser Substanzen an das biochemische Übertragungssystem im Gehirn bzw. Zentralnervensystem (ZNS) zurückgeführt. Sie hemmen die Wiederaufnahme der in den synaptischen Spalt freigesetzten Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin in das Axoplasma der Nervenzellen in unterschiedlichem Ausmaß [8, 9] (Abb. 2). Dies führt zu vermehrter Verfügbarkeit dieser Stoffe an ihren Bindungsstellen (Rezeptoren).

    So soll z. B.

  • die Noradrenalin-Aufnahmehemmung zu Antriebssteigerung,
  • die Serotonin-Aufnahmehemmung zu Angstminderung führen. Gleichzeitig blockieren klassische Antidepressiva aber in unterschiedlichem Ausmaß auch postsynaptische Adrenozeptoren (α1-, α2- und β-Rezeptoren) und die cholinerge Übertragung. Insbesondere die anticholinergen Effekte sind für eine große Zahl unerwünschter Wirkungen dieser Antidepressiva verantwortlich.

    Die pharmakologische Wirkung der Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer kann über einen ähnlichen Mechanismus erklärt werden, den die klassischen Antidepressiva besitzen: Sie erhöhen die Verfügbarkeit der Neurotransmitter, indem sie ihren enzymatischen Abbau hemmen.

    Die Monoaminoxidase existiert in zwei Formen:

  • Die MAO-A katalysiert die Desaminierung von Noradrenalin, Adrenalin und Serotonin,
  • die MAO-B katalysiert die Desaminierung von Dopamin. Folglich scheint die Hemmung der MAO-A für eine antidepressive Wirkung erforderlich zu sein.

    Ein zweites Enzym, das im ZNS die Desaminierung der Neurotransmitter katalysiert, ist die Catechol-Omethyltransferase (COMT). Wenn sie gehemmt wird, steht eine größere Transmittermenge im ZNS zur Verfügung. Längerfristig verringert sich die Dichte der (α-Adrenozeptoren und der serotoninergen 5-HT2-Rezeptoren [10]. Auch die Wiederaufnahme der Überträgersubstanzen Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und L-Glutamin wird durch Antidepressiva beeinflusst [11].

    Hemmung der Enzyme MAO und COMT

    In-vitro-Untersuchungen Hypericin mit einem Reinheitsgrad von 80% (gewonnen mit einem nicht näher erklärten Extraktionsverfahren) aus Hypericum perforatum, wurde in vitro hinsichtlich seiner Hemmwirkung auf die MAO geprüft. Als Testmedien wurden Präparationen aus Rattenhirn-Mitochondrien verwendet, die eine Differenzierung der MAO-A und MAO-B erlaubten. Die IC50, bezogen auf die Hypericin-Konzentration, betrug für die MAO-A 68 µM, für die MAO-B 420 µM. Die Hemmung war irreversibel [12].

    Eine andere Arbeitsgruppe konnte das Ergebnis nicht bestätigen, fand jedoch eine Hemmung der MAO durch mehrere nicht näher definierte wässrig-ethanolische Gesamtextrakte aus Hypericum perforatum. Diese Extrakte wurden mittels HPLC fraktioniert. Hemmwirkungen auf die MAO wurden mit zwei Fraktionen nachgewiesen, die kein Hypericin, sondern insbesondere Xanthon-Derivate enthielten.

    Die vermuteten Wirkstoffe wurden als Reinsubstanzen in demselben Testsystem geprüft, wobei sich für die Hemmung der MAO-A resp. MAO-B die folgenden IC50-Werte ergaben:

  • Flavon 1,0 resp. 720 µM,
  • Xanthon 1,5 resp. 480 µM,
  • Kämpferol 3,0 resp. 900 µM,
  • Flavanon 790 resp. 850 µM und
  • Cumarin 65 resp. 8,5 µM [13] (Tab. 1). Somit konnten Flavone und Flavonoide im Hypericum-Extrakt als potente MAO-A-Hemmer und Cumarin als MAO-B-Hemmer nachgewiesen werden.

    Zur Überprüfung, welche MAO-hemmenden Verbindungen Hypericum enthält, wurden aus oberirdischen Pflanzenteilen Hypericine, Flavonoide, Pflanzensäuren, Xanthone, Phloroglucinderivate (Hyperforin) und Procyanidine in reiner Form isoliert. Die Testung auf MAO-Hemmung erfolgte mit [14C]-Serotonin als Substrat für MAO-A und [14C]-Benzylamin als Substrat für MAO-B; das Enzympräparat war eine Suspension von Rattenlebermitochondrien [14, 15]. Zur Positivkontrolle wurde Tranylcypromin eingesetzt. Eine MAO-AHemmung in einer relevanten Konzentration (10 bis 90 µM) konnte nur für wenige lipophile Flavonoide und Xanthone nachgewiesen werden, keine dieser Verbindungen hatte eine relevante Wirkung auf die MAO-B (Tab. 1).

    Ein Heptanextrakt mit bisher nicht identifizierten Extraktsubstanzen übte einen starken Hemmeffekt auf die Monoaminoxidase aus. Ein starker Hemmeffekt wurde auch für die Flavonolglykoside nachgewiesen, während die Flavon(ol)aglykone keine Wirkung zeigten. Die Autoren urteilen, dass Substanzen, die nur in Konzentrationen von 10-4 M oder 10-3 M eine Hemmung zeigen, nicht als Hemmer der MAO anzusehen sind [2].

    Über In-vitro-Untersuchungen zum Einfluss von Hypericin, Hypericum-Gesamtextrakt sowie verschiedenen Extrakt-Fraktionen auf die MAO und die COMT gibt es einen weiteren Bericht [16]: Zur Fraktionierung eines wässrig-methanolischen Rohextraktes mit 0,3% Gesamthypericin nach DAC 86 wurden 5 g auf Kieselgel aufgezogen und stufenweise in sechs Fraktionen eluiert. Zur MAO-Bestimmung diente die durch MAO katalysierte Oxidation von Vanillylamin zu Vanillin. Das gebildete Vanillin wurde mittels HPLC bestimmt. Grundlage der COMT-Aktivitätsbestimmung ist die durch COMT katalysierte und in Anwesenheit von S-Adenosylmethionin, Magnesiumionen und S-Adenosylhomocystein ablaufende Umwandlung von DOPAC (3,4-Dihydroxyphenylessigsäure) in Homovanillinsäure (HVA) und iso-HVA.

    Die Befunde (Tab. 1) zeigen, dass Hypericum-Extrakt die MAO- und die COMT-Aktivität nur in relativ hoher Konzentration hemmt. Die COMT-Hemmung ist in erster Linie auf Flavonoide bzw. Flavonoidglykoside zurückzuführen. Eine MAO-Hemmung, die zurzeit nicht bestimmten Einzelsubstanzen zugeordnet werden kann, wird bei hohen Konzentrationen in allen Hypericum-Extrakt-Fraktionen beobachtet. Die MAO wird durch isoliertes Hypericin wesentlich geringer gehemmt als durch den Gesamtextrakt.

    Aus den Befunden kann geschlossen werden, dass die Extraktwirkung nicht allein auf Hypericin zurückzuführen ist. Insbesondere die Ergebnisse mit flavonoidreichen Hypericum-Fraktionen lassen vermuten, dass auch andere Verbindungen an der Wirkung des Gesamtextraktes beteiligt sind. In weiteren Untersuchungen der verschiedenen Hypericum-Inhaltsstoffe wiesen Quercetin, Luteolin und Kämpferol in einer Konzentration von 10 µM mit 80 bis 95% Hemmung der MAO die stärkste Wirkung auf. Eine etwa gleichstarke Hemmung bewirkten die Xanthone mit 70 bis 90% und die Hydroxyxanthone mit 60 bis 80%.

    Hyperforin zeigte mit weniger als 20% nur eine schwache Hemmwirkung. Von den polaren Verbindungen erwies sich nur Quercitrin mit 65% Hemmung als wirksam, während die Phenolcarbonsäuren unwirksam waren. 1,3-Dihydroxyxanthon hemmte in Konzentrationen von 1 mM und 1 µM zu 70% bzw. 40%. Die Gesamthypericinfraktion zeigte nur in sehr hoher Konzentration (1 mM) eine etwa 70%ige Hemmung. In einer Konzentration von 100 µM wurde die MAO sowohl durch die Gesamthypericinfraktion als auch durch reines Hypericin nur zu weniger als 10% gehemmt [17] (Tab. 1).

    Aufgrund dieser Befunde ist festzustellen, dass Hypericine zwar eine Hemmung der Monoaminoxidase bewirken, jedoch nur in hohen Konzentrationen von 100 µM bis 1 mM, die mit Hypericum-Präparaten nicht erzielt werden. Der Einfluss des Hypericum-Extraktes auf die Aktivität der MAO-A bzw. MAO-B wurde weiter untersucht [18].

    Abweichend vom Gesamtextrakt bewirkte reines Hypericin in Konzentrationen bis 100 mg/ml keine signifikante Hemmung dieser Enzyme. Die in früheren Untersuchungen festgestellte Hemmwirkung von Hypericin dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die damals verwendete Hypericinlösung nur eine Reinheit von 80% aufwies. Möglicherweise ist eine in den verbleibenden 20% dieser Präparation enthaltene Substanz für die beobachtete MAO-Hemmung verantwortlich.

    In-vivo-Untersuchungen Zur abschließenden Beurteilung der MAO-Hemmung-Hypothese wurden Versuche in vivo mit Albinoratte durchgeführt. Der Hypericum-Gesamtextrakt, das Hypericin, 1,3-Dihydroxyxanthon und Quercitrin wurden in relativ hohen Dosierungen eingesetzt: 300 mg/kg KG Gesamtextrakt bzw. 100 mg/kg KG Reinsubstanz [17] (Tab. 1). Die Ergebnisse zeigten, dass weder der Gesamtextrakt noch die eingesetzten Reinsubstanzen (wie z. B. das in vitro aktive Xanthon) eine Hemmung der MAO-A bzw. MAO-B bewirken. Ein potenter MAO-Hemmer sollte jedoch in diesem Testsystem eine IC50 von höchstens 10 µM besitzen, wenn er am Menschen therapeutisch relevant sein soll.

    Wiederaufnahmehemmung von Neurotransmittern, Rezeptordichte und Rezeptorbindung

    Noradrenerges und serotoninerges System Klassische Antidepressiva sind Substanzen, die zumindest kurzfristig die noradrenerge und auch die serotoninerge Neurotransmission im Zentralnervensystem (ZNS) verstärken. Diese Effekte sind bei parenteraler Applikation der Antidepressiva innerhalb von wenigen Minuten vorhanden. Die antidepressive Wirksamkeit dieser Substanzen stellt aber in der klinischen Erfahrung keinesfalls einen akuten Mechanismus dar, sondern benötigt in der Regel zwei bis drei Wochen, um voll ausgeprägt zu sein (Wirklatenz). Erst nach diesem Zeitraum kommt es durch langanhaltende Wiederaufnahmehemmung der Botenstoffe zu einem Überangebot von Neurotransmittern im synaptischen Spalt. Danach gleicht der Organismus das Überangebot durch adaptive Veränderung im Überträgersystem des ZNS wieder aus. Der bekannteste Prozess ist die β-Down-Regulation, d. h. eine Abnahme der Dichte der postsynaptischen β-Rezeptoren und eine Abnahme der Aktivität des an den β-Rezeptor gekoppelten Transduktionssystems (Adenylatcyclase).

    Auch an der serotoninergen Synapse gibt es, wahrscheinlich wieder bedingt durch die relative Konzentrationserhöhung von synaptischem Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT), ähnliche adaptive Veränderungen, die sich vor allen Dingen auch in einer Abnahme der Dichte der 5-HT2-Rezeptoren nachweisen lassen. Damit ist auch deutlich, dass zumindest einer der beiden Prozesse von trizyklischen Antidepressiva ausgelöst wird. Die β-Down-Regulation stellt nicht die einzige adaptive Antwort von Synapsen auf eine chronische Exposition gegenüber Antidepressiva dar. An der noradrenergen Synapse können postsynaptisch lokalisierte α1-Rezeptoren entgegengesetzt reagieren, sodass ihre Dichte und Funktionalität sogar zunimmt (Up-Regulation) [8, 9] (Abb. 2).

    Um die therapeutische Wirkung von Antidepressiva erklären zu können, untersucht man sie in vitro in verschiedenen Rezeptormodellen bzw. in neuronalen Wiederaufnahmemodellen. Man geht davon aus, dass eine Reihe unterschiedlicher akuter Effekte im Bereich der noradrenergen bzw. serotoninergen Neurotransmission bei subchronischer Behandlung mit Antidepressiva zu adaptiven Veränderungen führt, die letztlich die antidepressive Wirkung am Menschen ausmachen [8].

    Hypericum-Extrakte versus Hypericin

    In-vitro-Untersuchungen Die Bindung von standardisiertem Hypericum-Extrakt bzw. seiner Leitsubstanz Hypericin an verschiedenen Neurotransmitter-Rezeptoren wurde mit Hilfe von Standard-Bindungsmethoden in vitro durchgeführt. Zur Charakterisierung der Effekte auf die neuronale Wiederaufnahme von Noradrenalin bzw. Serotonin wurde eine synaptosomale Präparation des Maushirns eingesetzt. Dabei wurde die Interaktion eines radioaktiv markierten Liganden mit dem spezifischen Rezeptor dadurch quantifiziert, dass im Parallelversuch mit einer hohen Konzentration eines "kalten" Liganden eine Blindkontrolle durchgeführt wurde [8].

    Die Untersuchungen zeigten, dass Hypericum-Extrakt (1,5% Hyperforin) die synaptosomale Aufnahme von Noradrenalin und Serotonin konzentrationsabhängig mit einem IC50-Wert von 2 bis 5 µg/ml hemmt. Im Gegensatz zum Hypericum-Extrakt zeigte Hypericin nur bei sehr hoher Konzentration (> 10 µM) Effekte auf die spezifische Bindung bzw. spezifische Aufnahme der untersuchten Liganden. Unter gleichen Bedingungen betrugen die IC50-Werte von Noradrenalin und Serotonin für das Antidepressivum Desipramin 3 nmol/ml bzw. 207 nmol/ml und für Clomipramin 14 nmol/ml bzw. 0,9 nmol/ml [19, 20] (Tab. 2).

    Eine andere Arbeitsgruppe untersuchte mit Synaptosomen aus Rattenhirn den Einfluss eines Hypericum-Extraktes auf die Serotoninaufnahme durch postsynaptische Rezeptoren und fand, dass der Extrakt bei einer Konzentration von 6,2 µg/ml die Serotonin-Aufnahme um 50% (IC50-Wert) reduziert [21] (Tab. 2).

    Der Nachweis für eine Verringerung der Serotonin-Rezeptoren bzw. eine verminderte Verfügbarkeit der Serotoninrezeptoren konnte mit Hilfe einer fluoreszenzmikroskopischen Methode erbracht werden. Nach Inkubation von Nervenzellen mit Hypericum-Extrakt (5 x 10-4 bis 5 x 10-6 mol) ließen sich signifikant weniger Serotoninrezeptoren auf den Nervenzellen nachweisen. Die fluoreszenzmikroskopische Untersuchung der Rezeptordichte ergab, dass nach 6-stündiger Inkubation mit Hypericum-Extrakt eine maximale Reduktion der Serotoninrezeptor-Expression auf der Zelloberfläche erreicht war. Die Abnahme der Rezeptorexpression zeigte sich für die 5 x 10-5 molare Hypericum-Lösung besonders ausgeprägt, sie war jedoch auch bei niedrigeren Konzentrationen nachweisbar [22].

    In-vivo-Untersuchungen Außer der Blockierung der neuronalen Wiederaufnahme von synaptisch freigesetztem Noradrenalin und Serotonin verursachen viele Antidepressiva nach subchronischer Einnahme eine Reduktion der Dichte von β-Rezeptoren in der frontalen Hirnrinde. So reduzierte eine 2-wöchige orale Behandlung von männlichen Wistar-Ratten mit Imipramin (Tagesdosis 20 mg/kg KG) die Dichte der kortikalen β-Adrenozeptoren um 25%. Die orale Behandlung mit Hypericum-Extrakt (Tagesdosis 240 mg/kg KG) führte zu einer entsprechenden Reduktion um 16%. Dagegen erhöhte sich die Dichte der 5-HT2-Rezeptoren in der frontalen Hirnrinde durch die Behandlung mit Hypericum-Extrakt signifikant [19, 20] (Tab. 2).

    Bei unbehandelten depressiven Patienten findet sich eine verminderte Anzahl von postsynaptischen 5-HT2-Rezeptoren, während die Anzahl bei behandelten Patienten im Normbereich liegt. In einer Rezeptorbindungsstudie wurde der Einfluss einer chronischen Gabe von 2700 mg/kg KG Hypericum-Extrakt oral an Ratten auf Affinität und Anzahl der zentralen 5-HT1A- und 5-HT2A-Rezeptoren untersucht. Nach einem Behandlungszeitraum von 26 Wochen hatte die Zahl beider Rezeptor-Subtypen in synaptosomalen Präparationen des Rattenhirns signifikant zugenommen, während die Rezeptoraffinität keine signifikante Änderung erfuhr [23] (Tab. 2). Diese Befunde weisen auf eine Up-Regulation von 5-HT1A- und 5-HT2A-Rezeptoren durch den über längere Zeit applizierten Hypericum-Extrakt hin.

    Hypericum-Extrakte versus Hyperforin

    In-vitro-Untersuchungen Die in der Pflanze mengenmäßig vorherrschenden Phloroglucinderivate Hyperforin (2 bis 4%) und Adhyperforin (Begleitstoff) blieben lange Zeit unbeachtet, weil sie chemisch sehr labil und daher in unsachgemäß behandelter oder gelagerter Droge oft stark reduziert sind. Neue Extraktionsverfahren ermöglichen nun, Extrakte mit stabilen definierten Hyperforingehalten für klinisch-pharmakologische Studien bereitzustellen [24, 25].

    Vergleichende Untersuchungen an biochemischen Modellen wurden mit unterschiedlichen CO2-Extrakten (1,5% bzw. 38,8% Hyperforin) sowie den Reinsubstanzen Hypericin und Hyperforin durchgeführt. Sowohl die beiden Extrakte als auch reines Hyperforin – nicht jedoch Hypericin – hemmten dosisabhängig die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin. Mit reinem Hyperforin ließen sich in Konzentrationen von 0,1 bis 0,04 µg/ml (205 bis 80 nM) Effekte erzielen, die jenen synthetischer Antidepressiva vergleichbar sind [20] (Tab. 2).

    Hyperforin hemmte die durch verschiedene Neurotransmitter induzierten Kontraktionen an Meerschweinchen-Ileum-Präparationen und desensibilisierte die Präparationen gegenüber Acetylcholininduzierter Kontraktionen; auch hyperforinreicher Extrakt hob die Serotonin-induzierten Kontraktionen auf [26]. In einer weiteren Arbeit wurde untersucht, in welchem Maße Hypericum-Extrakte, Hyperforin und Imipramin die Serotoninaufnahme in Ratten-Mastzellen hemmen. Nicht gereinigte Ratten-Peritonealzellen, die 8 bis 12% Mastzellen enthielten, wurden für diese Untersuchungen verwendet. In vorherigen Untersuchungen war festgestellt worden, dass die [3H]-Serotoninaufnahme durch Peritonealzellen von der Zeit und der Temperatur abhängig ist. Nach 15-minütiger Inkubation der Testsubstanzen mit den Zellen ließ man Serotonin 45 min lang auf den Ansatz wirken.

    Dabei ergaben sich folgende IC50-Werte für die Testsubstanzen:

  • Imipramin 0, 3 µg/ml.
  • Hypericum-Extrakte je nach den verwendeten Lösungsmitteln zwischen 2,5 und 50 µg/ml. Die Hemmwirkung stand in enger Korrelation mit dem Hyperforingehalt des Extraktes.
  • Reines Hyperforin 3,4 µg/ml [27].

    In-vivo-Untersuchungen In zwei Tiermodellen zeigten die beiden oben genannten CO2-Extrakte dosisabhängig eine signifikante antidepressive Wirkung. Auch hier war der hyperforinreiche Extrakt nach subchronischer Behandlung (30 mg/kg KG oral täglich) wesentlich wirksamer als der hyperforinarme Extrakt (300 mg/kg KG oral täglich). Diese Wirkung war mit 10 mg/kg KG i.p. täglich vergleichbar [28]. Hyperforinreicher Extrakt hemmte die durch Serotonin induzierten Bradykardien in anästhesierten Ratten [26].

    Dopaminerges System Zur Beeinflussung des dopaminergen Systems durch Antidepressiva liegen bisher nur wenige Untersuchungen vor. 1977 wurde erstmals darauf hingewiesen, dass Dopamin bei der Pathogenese der Depression eine wichtige Rolle zukommt. Eine Beeinflussung der dopaminergen Transmission wurde auch nach wiederholter Behandlung bei solchen Antidepressiva gemessen, die nach akuter Gabe ganz andere Neurotransmitter beeinflussen. Nach chronischer Imipraminbehandlung wurde eine Potenzierung der Reaktion auf Dopaminagonisten und eine reduzierte Konzentration des liten 3,4-Dihydroxyphenylessigsäure (DOPAC) gefunden. Dieses ist ein Indiz für eine reduzierte Wiederaufnahme von Dopamin in die Nervenendigung [29].

    In neueren Arbeiten wurde untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen der Änderung des zerebralen dopaminergen Systems und antidepressiver Behandlung durch Serotonin-Wiederaufnahmehemmung besteht. An 13 Patienten mit starken Depressionen wurden zerebrale D2-Rezeptoren mittels des D2-Rezeptor-Antagonisten Iodobenzamid in der Photonenemissionstomographie bestimmt. Die Dopaminrezeptorbindung wurde vor und während der Serotonin-Wiederaufnahmehemmung analysiert. Eine Zunahme der D2-Rezeptorbindung während der Serotonin-Wiederaufnahmehemmung wurde im Striatum und Gyrus cinguli anterior in behandelten Respondern, aber nicht in Non-Respondern, festgestellt. Die Erhöhung der D2-Rezeptorbindung war signifikant; sie korrelierte mit der klinischen Besserung der depressiven Patienten, gemessen an der Hamilton-Depressions-Skala (HAMD). Damit könnten D2-Rezeptoren im Wirkmodus der Antidepressiva eine wichtige Rolle spielen [30].

    Für eine Betonung des dopaminergen Systems spricht auch die beobachtete Hemmung der Catecholamin-β-Hydroxylase, die den Umbau von Dopamin zu Noradrenalin katalysiert. Ein biochemischer Mechanismus bei Depression wird in einer verminderten Konzentration an Catecholaminen gesehen [31].

    Hypericum-Extrakte versus Hypericin

    In-vitro-Untersuchungen Ein alkoholischer Hypericum-Extrakt auf der Basis an "Gesamthypericin" hemmte die Dopamin-β-Hydroxylase (ein Enzym des DOPAAbbaus) mit einer IC50 von 0,1 µmol/l, reines Hypericin mit einer IC50 von 51 µmol/l. Die Enzyme der DOPA-Synthese, wie Tyrosinase und Tyrosin-Decarboxylase, wurden vom Hypericin nicht beeinflusst [31]. Die Tatsache, dass Hypericum-Extrakt im Vergleich zu reinem Hypericin ein wesentlich besserer Hemmer (mit einem Faktor von etwa 200) von Dopamin-β-Hydroxylase ist, zeigt deutlich, dass das Hypericin nicht alleine für diesen Effekt verantwortlich ist.

    In-vivo-Untersuchungen Als Mechanismus der Hypericum-Wirkung kann nach den bisher vorliegenden Befunden eine Beeinflussung des dopaminergen Systems vermutet werden. Für einen solchen Wirkmodus spricht, dass die Referenzsubstanz Bupropion, ein Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmstoff mit hoher Affinität zum D2-Rezeptor, in einigen verwendeten Testmodellen ein ähnliches Wirkungsprofil zeigte wie der Hypericum-Extrakt. Die Wirkung des Hypericum-Extraktes konnte außerdem sowohl im Ketaminnarkosemodell als auch im Forced-Swimming-Test (FST) durch Dopaminrezeptorblocker aufgehoben werden: durch den unspezifischen Blocker Haloperidol ebenso wie durch den spezifischen D2-Rezeptorblocker Sulpirid [29, 32, 33].

    Ketamin-induzierte Narkosedauer In einer Untersuchung wurde die Beeinflussung der Ketaminschlafzeit bei Mäusen geprüft. Die Applikation des Hypericum-Extraktes in der Dosis von 50, 200 und 500 mg/kg KG (entsprechend reinem Hypericin von 0,15 mg/kg, 0,6 mg/kg und 1,5 mg/kg KG) mittels Schlundsonde erfolgte zwei Stunden nach intraperitonealer Injektion des Narkotikums. Verglichen wurde die Wirkung mit zwei synthetischen Antidepressiva, nämlich Imipramin und Bupropion. Imipramin hemmt die Wiederaufnahme sowohl von Serotonin als auch von Noradrenalin. Für Bupropion, mit höherer Affinität zum D2-Rezeptor, wurde eine Wiederaufnahme-Hemmung von Dopamin nachgewiesen.

    Die meisten Antidepressiva bewirken eine Verlängerung der Narkosedauer. Bemerkenswerterweise führte Bupropion in diesen Untersuchungen, wie der Hypericum-Extrakt, zu einer signifikanten Verkürzung, während Imipramin zu einer signifikanten Verlängerung der Schlafdauer führte [32] (Abb. 3). Reines Hypericin in äquivalenter Dosierung, bezogen auf Gesamthypericin im Extrakt, bewirkte eine schwächere dosisabhängige Reduktion der Schlafdauer [32].

    Die Wirkung von Hypericum wurde durch Haloperidol, einen D2- und D4-Rezeptorantagonisten, und durch Sulpirid, einen D2/D3-Rezeptorenantagonisten, gehemmt. Daher wird vermutet, dass die Wirkung von Hypericum-Extrakt über die Beeinflussung des dopaminergen Systems erfolgt [33].

    Immobilitätsdauer: Forced Swimming Test (FST) Die Suche nach den aktiven Inhaltsstoffen von Hypericum perforatum erfolgte durch eine Fraktionierung des Gesamtextraktes mittels Sephadex-LH 20 Gelchromatographie. Insgesamt wurden sechs Fraktionen erhalten, deren Inhaltsstoffe qualitativ und quantitativ mittels HPLC untersucht und charakterisiert wurden. Die Dosierung der Fraktionen für die pharmakologische Testung erfolgte anhand ihres Anteils am Gesamtextrakt. Die Fraktionen II und IIIc verkürzten die Immobilitätsdauer im FST nach Porsolt signifikant, wobei im Vergleich zum Pflanzenextrakt wesentlich geringere Dosierungen für vergleichbare Effekte notwendig waren [29].

    Wie HPLC-Untersuchungen zeigten, handelt es sich bei der Fraktion II um eine durch Flavonoide (Flavonglykoside) repräsentierte Fraktion, während Fraktion IIIc fast ausschließlich aus Proanthocyanidinen, Hypericin und Pseudohypericin besteht. Für beide Fraktionen konnte im FST eine Dosis-Wirkungs-Beziehung vom Typ "inverted-U-shape" aufgestellt werden [29]. Die Aktivität der Fraktion IIIc im Schwimmtest ging deutlich über die des Gesamtextraktes hinaus. In einer Dosierung, die umgerechnet 18 mg des Gesamtextraktes entspricht, bewirkte die Fraktion IIIc noch eine signifikante Verkürzung der Immobilitätsdauer (Abb. 4).

    Da die Hauptaktivität im Schwimmtest in der Naphthodianthrone enthaltenden Fraktion IIIc auftrat, erschien eine weitere Auftrennung dieser Fraktion erforderlich. Nach Aufreinigung mittels Gaschromatographie konnte neben Hypericin und Pseudohypericin eine Fraktion gewonnen werden, die mittels dünnschichtchromatographischer und massenspektroskopischer Untersuchungen als Procyanidin-Fraktion (bezeichnet als Subfraktion IIIc1) charakterisiert werden konnte. Sie enthält im wesentlichen ein dimeres Procyanidin (Procyanidin B2).

    Löslichkeitsversuche mit Hypericin und Pseudohypericin hatten gezeigt, dass diese Fraktion offensichtlich einen lösungsvermittelnden Effekt auf die Naphthodianthrone ausübt. Daher erschien es sinnvoll zu überprüfen, ob diese Fraktion einen Eigeneffekt im Schwimmtest (FST) aufweist. Wie die Löslichkeitsversuche gezeigt hatten, gingen nach einem Zusatz des 10fachen Überschusses der Subfraktion IIIc1 etwa 20% des eingesetzten Hypericins in Lösung [29]. Ausgehend von dieser Berechnung wurden von der Subfraktion IIIc1 zunächst 10 mg/kg KG, später 20 mg/kg KG getestet. Es zeigte sich, dass weder 10 mg/kg KG der Procyanidinfraktion noch 20 mg/kg KG einen nennenswerten Einfluss auf die Dauer der Immobilität im FST besaßen [29, 34] (Abb. 5).

    Wie phytochemische Untersuchungen zeigten, besserte sich die Löslichkeit der schlecht löslichen Naphthodianthrone durch Zusatz der Subfraktion IIIc1. Dass die Verbesserung der Löslichkeit einen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit der Naphthodianthrone ausübt, bestätigten pharmakologische Untersuchungen. Die Reinsubstanzen beeinflussten die Immobilitätsdauer im FST gar nicht (Pseudohypericin) oder erst in sehr hohen Dosierungen (Hypericin: 0,23 mg/kg KG) [34] (Abb. 6). In Kombination mit Subfraktion IIIc1 bewirkten Hypericin und Pseudohypericin eine signifikante Verkürzung der Immobilität schon bei sehr niedrigen Dosierungen (Hypericin: 0,009 mg/kg KG, Pseudohypericin: 0,166 mg/kg KG) [34] (Abb. 7). Die Effekte der jeweiligen Kombinationen konnten durch den spezifischen D2/D4-Rezeptorantagonisten Sulpirid antagonisiert werden; dies ist ein Hinweis darauf, dass die antidepressive Wirkung offensichtlich über das dopaminerge System vermittelt wird [34] (Abb. 8).

    Abnahme des Prolactinspiegels Nach 3-wöchiger Behandlung von Ratten mit Hypericum-Extrakt konnte eine signifikante Abnahme des Prolactinspiegels nachgewiesen werden. Dies spricht indirekt für einen dopaminergen Wirkungsmechanismus des Hypericum-Extraktes. Dopamin hemmt die Prolactinsekretion in der Hypophyse [32].

  • Hypericum-Extrakte versus Hyperforin

    In-vitro-Untersuchungen Hyperforinarme Hypericum-Extrakte, hyperforinreiche Hypericum-Extrakte sowie Hyperforin hemmten die synaptosomale Aufnahme von Dopamin in Maushirn-Präparationen um 50% (IC50) in Konzentrationen von 0,9 µg/ml, 0,06 µg/ml und 0,06 µg/ml [20]. Unter gleichen Bedingungen betragen die IC50-Werte für das Antidepressivum Nomifensin 37 nmol/ml und für Amineptin 355 nmol/ml [19, 20] (Tab. 2).

    Hypericum-Extrakt (1,5% Hyperforin) hemmt alle drei Neurotransmittersysteme (Noradrenalin, Serotonin und Dopamin) etwa im selben Konzentrationsbereich (IC50) von 1 bis 5 µg/ml. Dies spricht für einen Wirkungsmechanismus von Johanniskraut, der demjenigen der trizyklischen Antidepressiva vergleichbar ist.

    GABA-erges System GABA ist der bedeutendste inhibitorische Neurotransmitter; ihm kommt eine entscheidende Rolle bei Stress und Angstreaktionen zu. Die GABA-ergen Mechanismen werden auch für die antidepressive Wirkung als relevant angesehen. Nach Imipramin- Behandlung wurde durch GABAB-Rezeptor- Stimulation die Down-Regulation von β-Rezeptoren gesteigert [35]. Bei depressiven Patienten wurde nach Gabe von einem auf das GABAerge System wirkenden Stoff, z. B. Fengabin, eine antidepressive Wirkung festgestellt [36]. Niedrige Mengen von GABA wurden im Blutplasma sowohl bei bipolaren als auch bei unipolaren Depressionen gefunden. Es wurde vorgeschlagen, dass Benzodiazepine, welche die GABAA-Rezeptor-Stimulation verstärken, effektive Antidepressiva und Anxiolytika sein könnten [37-39]. GABA-erge Systeme im ZNS regulieren auch Dopamin-induziertes Verhalten [40, 41].

    Hypericum-Extrakte versus Hyperforin

    In-vitro-Untersuchungen Die synaptosomale GABA-Aufnahme wurde durch den Hypericum-Extrakt mit einer IC50 von 1,1 µg/ml gehemmt. Die GABAA-Rezeptorbindung war dagegen mit einer IC50 von 3 µg/ml weniger empfindlich gegenüber Hypericum-Extrakt [42] (Tab. 2).

    Eine weitere Arbeit untersuchte den Einfluss des Hypericum-Extraktes auf die Bindung an GABAA-, GABAB- und Benzodiazepin-Rezeptoren. Hypericum-Extrakt zeigte eine starke Bindung an beide GABA-Rezeptortypen (Ki 0,06 µg/ml für Typ A bzw. 0,009 µg/ml für Typ B; Tab. 2). Dagegen war die Benzodiazepin-Rezeptorbindung mit Ki 24 µg/ml weniger empfindlich [18].

    Weitere Untersuchungen zeigten, dass ein hyperforinarmer Hypericum-Extrakt, ein hyperforinangereicherter Hypericum-Extrakt und Hyperforin die synaptosomale GABA-Aufnahme signifikant hemmten. Hyperforinreicher Extrakt war wesentlich wirksamer als hyperforinarmer Extrakt [19, 20]. Für reines Hyperforin war die Hemmung stark ausgeprägt, und zwar gegenüber den einzelnen Neurotransmittern in folgender Reihenfolge: Noradrenalin ≥ Dopamin > GABA ≥ Serotonin >> L-Glutamat (IC50 0,043 bis 0,445 µg/ml) [20, 28] (Tab. 2).

    Hypericum-Extrakte versus Amentoflavon

    In-vitro-Untersuchungen Benzodiazepine wirken, indem sie die hemmende Funktion GABA-erger Neuronen verstärken. Es wurden spezifische Bindungsstellen für Benzodiazepine (Benzodiazepin-Rezeptoren) im gesamten ZNS gefunden. An diesen Bindungsstellen wirken Benzodiazepine als Agonisten. Dabei besteht eine hohe Korrelation zwischen der pharmakologischen Aktivität verschiedener Benzodiazepine und der Affinität zu ihren Bindungsstellen. Diese sind funktionell mit dem GABA-System verbunden. Durch die Interaktion der Benzodiazepine mit ihren Bindungsstellen wird die Affinität von GABA zu deren Rezeptoren, die Teil des Chloridkanals sind (GABA-Rezeptor-Chloridkanal-Komplex), erhöht. Die Benzodiazepine steigern somit durch allosterische Wechselwirkung die Affinität von GABA an ihre Rezeptoren und verstärken dadurch die GABA-Wirkung. Flumazenil ist ein Benzodiazepinantagonist, durch den die Wirkung von Benzodiazepinen spezifisch aufgehoben werden kann: Es verdrängt Benzodiazepine kompetitiv von deren Bindungsstelle am Chloridkanal, ohne selbst deutlich intrinsische Aktivität zu besitzen [11].

    In einer Untersuchung wurde gezeigt, dass Hypericum-Extrakt die Bindung von [3H]-Flumazenil zu Benzodiazepin-Bindungsstellen des GABAA-Rezeptors im Rattenhirn in vitro mit einem IC50-Wert von 6,83 µg/ml hemmt. Viele Bestandteile des Extraktes

  • wie Hypericin, die Flavone Quercetin und Luteolin, die glykosidischen Flavonoide Rutin, Hyperosid und Quercitrin und das Biflavon I3-II8-Biapigenin
  • hemmten die Bindung bis zu Konzentrationen von 1 µM nicht. Im Gegensatz dazu erzielte Amentoflavon einen IC50-Wert von 14,9 ± 1,9 nM. Vergleichende HPLC-Analysen von Hypericin und Amentoflavon in Extrakten verschiedener Hypericum-Arten zeigten eine mögliche Wechselwirkung zwischen der Amentoflavon-Konzentration und der Hemmung der Flumazenilbindung an den Benzodiazepin- Bindungsstellen. Bei Hypericin wurde dagegen keine derartige Korrelation beobachtet [43] (Tab. 2).

    Da Amentoflavon, im Gegensatz zu Hypericin, eine sehr wirksame Verbindung zur Hemmung der [3H]-Flumazenilbindung an Benzodiazepin-Bindungsstellen in vitro darstellt, behaupten die Autoren der Studie, dass Amentoflavon möglicherweise an der antidepressiven Wirkung von Hypericum-Extrakten beteiligt ist.

    Zusammenfassung

  • Hypericum-Extrakte und Hypericine zeigten in vitro eine deutliche Hemmung der MAO bei einer Konzentration von 10-3 M; bei der noch recht hohen Konzentration von 10-4 M war die Hemmung nur schwach ausgeprägt.
  • Hypericine bewirken in vitro eine Hemmung der MAO in Konzentrationen von 1 µM bis 100 µM, die jedoch in vivo nicht zu erzielen sind. Das wurde in Tierversuchen bestätigt, bei denen trotz höchster Dosierung keine MAO-Hemmwirkung nachweisbar war. Damit dürfte die bisherige Hypothese, dass die MAO-Hemmung der einzige Wirkungsmechanismus für Hypericum und seine Inhaltsstoffe sei, keine Grundlage mehr haben.
  • Hypericum-Extrakt in therapeutisch relevanten Konzentrationen hemmt die synaptosomale Wiederaufnahme von Noradrenalin, Serotonin, Dopamin, GABA und L-Glutamat. Das führt zu einem Überangebot dieser Neurotransmitter im synaptischen Spalt. Der Organismus gleicht dies durch adaptive Veränderungen im Überträgersystem der Neuronen wieder aus: Dichte und Funktionalität der β-Rezeptoren werden bei Anwendung von Johanniskraut erniedrigt (β-Down-Regulation), genauso wie bei den klassischen trizyklischen Antidepressiva.
  • Bei den trizyklischen Antidepressiva nimmt auch die Dichte der 5-HAT2-Rezeptoren ab, bei Johanniskraut jedoch kommt es hier zu einer Up-Regulation, d. h. zu einer Zunahme der Serotoninrezeptoren.
  • Die bisherigen Studien weisen auf Hyperforin als einen für die antidepressive Wirkung verantwortlichen Inhaltsstoff von Hypericum hin.
  • Hypericin und Pseudohypericin erwiesen sich in diesen In-vitro-Versuchen als unwirksam. Dass sie dennoch wichtige Wirkstoffe sind, wurde in In-vivo-Versuchen bestätigt. Zwar waren sie in einem Test, in dem Hypericum-Extrakt antidepressive Wirksamkeit zeigte, unwirksam, sie entfalteten aber ihre Wirksamkeit im Beisein der Procyanidin-Fraktion (Procyanidin B2), die deren Wasserlöslichkeit und Bioverfügbarkeit verbessert. Als Wirkmechanismus der Hypericine wird die Beeinflussung des dopaminergen Systems vermutet.
  • Beide Wirkstoffe, Hypericin und Hyperforin, tragen über den einen und anderen Mechanismus wesentlich zu den antidepressiven Wirkungen von Johanniskraut bei. Im Übrigen ist der Mechanismus der antidepressiven Wirksamkeit so komplex, dass noch weitere Inhaltsstoffe, z. B. Flavonglykoside, zum Wirkspektrum beitragen dürften. Flavonoide, insbesondere Amentoflavon, führen zu einer erhöhten Affinität der Benzodiazepine an den GABA-Rezeptoren.
  • Alles in allem muss der gesamte Hypericum-Extrakt und nicht eine der in ihm enthaltenen Reinsubstanzen als therapeutisch wirksames Prinzip angesehen werden.

    Literatur [1] Bundesanzeiger Nr. 228 vom 05. Dezember 1984, Monographie der Kommission E, BGA Berlin (Korrektur 1989). [2] Reuter, H. D.: Z. Phytother. 14, 239–254 (1993). [3] Schulz, V.: In: Loew, D., N. Rietbrock: Phytopharmaka in Forschung und klinischer Anwendung, 159–175. Steinkopff Verlag, Darmstadt 1995. [4] Linde, K., et al.: Br. Med. J. 313, 253 – 258 (1996). [5] Volz, H.-P.: Pharmacopsychiatry 30 (Suppl.), 72–76 (1997). [6] Ernst, E., J. I. Rand, J. Barnes, C. Stevison: Eur. J. Clin. Pharmacol. 54, 589–594 (1998). [7] Friede, M., P. Wüstenberg: Z. Phytother. 19, 309–317 (1998). [8] Müller, W. E., C. Schäfer: Dtsch. Apoth. Ztg. 136, 1015–1023 (1996). [9] Müller, W. E., A. Singer, M. Wonnemann: Dtsch. Apoth. Ztg. 139, 1741–1750 (1999). [10] Grefe, J., E. Rüther: Dtsch. Apoth. Ztg. 129, 1131–1141 (1989) [11] Mutschler, E.: Arzneimittelwirkungen. 7. Aufl., Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1996. [12] Suzuki, O., Y. Katsumata, M. Oya, S. Bladt, H. Wagner: Planta Med. 50, 272–274 (1984). [13] Demisch, L., J. Hölzl, B. Gollnik, P. Kaczmarczyk: Pharmacopsychiatry 22, 194 (1989). [14] Sparenberg, B., L. Demisch, J. Hölzl: Pharm. Ztg. Wiss. 138, 50 (1993). [15] Hölzl, J., S. Sattler, H. Schütt: Pharm. Ztg. 139, 3959–3977 (1994). [16] Thiede, H.-M., A. Walper: Nervenheilkunde, 12, 346–348 (1993). [17] Bladt, S., H. Wagner: Nervenheilkunde 12, 349–352 (1993). [18] Cott, J. M.: Pharmacopsychiatry 30 (Suppl.), 108–112 (1997). [19] Müller, W. E., M. Rolli, C. Schäfer, U. Häfner: Pharmacopsychiatry 30 (Suppl.), 102–107 (1997). [20] Müller, W. E., A. Singer, M. Wonnemann, U. Häfner, M. Rolli, C. Schäfer: Pharmacopsychiatry 31 (Suppl.), 16–21 (1998). [21] Perovic, S., W. E. G. Müller: Arzneim.-Forsch./Drug Res. 45 (II), 1145-1148 (1995). [22] Müller, W. E. G., R. Rossel: Nervenheilkunde 12, 357–358 (1993). [23] Teufel-Mayer, R., J. Gleitz: Pharmacopsychiatry 30 (Suppl.), 113–116 (1997). [24] Erdelmeier, C. A. J.: Pharmacopsychiatry 31 (Suppl.), 2–6 (1998). [25] Chatterjee, S. S., M. Nöldner, E. Koch, C. Erdelmeier: Pharmacopsychiatry 31 (Suppl.), 7–15 (1998). [26] Chatterjee, S. S., E. Koch, M. Nöldner, A. Biber, C. Erdelmeier: Phytomedicine 3 (Suppl. I), 106 (1996/1997). [27] Koch, E., C. Erdelmeier, S. S. Chatterjee: XIIIth International Congress of Pharmacology, München, 26–31 July, 1998. [28] Chatterjee, S. S., S. Bhattacharya, A. Singer, M. Wonnemann, W. E. Müller: Pharmazie 53, 3 (1998). [29] Butterweck, V.: Dissertation, Universität Münster 1997. [30] Larisch, R., A. Klinke, H. Vosberg, S. Löffler, W. Goebel, H.-W. Müller-Gärtner: NeuroImage 5, 251–260 (1997). [31] Kleber, E., T. Obry, S. Hippeli, W. Schneider, E. F. Elstner: Arzneim.-Forsch./Drug Res. 49 (I), 106–109 (1999). [32] Winterhoff, H., V. Butterweck, A. Nahrstedt, H. G. Gumbinger, V. Schulz, S. Erping, F. Boßhammer, A. Wieligmann: In: Loew, D., N. Rietbrock: Phytopharmaka in Forschung und klinischer Anwendung, 39–56. Steinkopff Verlag, Darmstadt 1995. [33] Butterweck, V., A. Wall, U. Liefländer-Wulf, H. Winterhoff, A. Nahrstedt: Pharmacopsychiatry 30 (Suppl.), 117–124 (1997). [34] Butterweck, V., F. Petereit, H. Winterhoff, A. Nahrstedt: Planta Med. 64, 291–294 (1998). [35] Enna, S. J., E. W. Karbon, R. S. Duman: In: Bartholini, G., K. G. Lloyd, P. L. Morselli: GABA and Mood disorders: Experimental and Clinical Research, 23–49. Raven, New York 1986. [36] Nielsen, N. P., B. Cesana, S. Zizalfi, V. Ascalone, P. Priore, P. L. Morselli: Acta Psychiat. Scand. 82, 366–371 (1990). [37] Petty, F., G. L. Kramer, C. M. Gullion, A. J. Rush: Biol. Psychiatry 32, 354–363 (1992). [38] Petty, F., G. L. Kramer, M. Fulton, F. G. Moeller, A. J. Rush: Neuropsychopharmacology 9, 125–132 (1993). [39] Petty, F., H. Trivedi, M. Fulton, A. J. Rush: Biol. Psychiatry 38, 578–591 (1995). [40] Cott, J. M., A. Carlsson, J. Engel, M. Linquist: Naunyn Schmiedebergs Arch. Pharmacol. 295, 203–209 (1976). [41] Cott, J. M., J. Engel: J. Neural Transm. 40, 253–268 (1977). [42] Müller, W. E., C. Schäfer, M. Rolli, M. Wonnemann: Phytomedicine 3 (Suppl. I), 100 (1996/1997). [43] Bauereithel, K. H., K. B. Büter, A. Engesser, W. Burkhard, W. Schaffner: Pharm. Acta Helv. 72, 153–157 (1997).

    Fußnote ¹ Libertin®, Hersteller: Robugen GmbH, Pharmazeutische Fabrik, Postfach 100336, 73703 Esslingen.

  • Während die Wirksamkeit von Johanniskraut (Hypericum) bei leichten bis mittelschweren Depressionen weitgehend anerkannt ist, gehen die Meinungen über die entscheidenden Wirkstoffe in der Droge bzw. im Extrakt auseinander. Ging es anfangs um die Frage "Hypericin oder Hyperforin?", so ist nun noch das Biapigenin Amentoflavon als wichtiger Wirkstoff hinzugekommen. Doch allen im Extrakt enthaltenen Reinsubstanzen ist nach dem gegenwärtigen Wissensstand der Gesamtextrakt überlegen.

    0 Kommentare

    Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.